Das ist quasi das westdeutsche Pendant zum "Tangospieler". War es dort der Unrechtsstaat DDR, der den Protagonisten ins Abseits stellt, ist es hier der rechtsstaatliche Sündenfall des vereinten Deutschland, der hier am Pranger steht. Mehr schon denn als Chronist tritt der Erzähler Hein hier quasi als Historiker auf, der in der Fiktion das Unrecht rächt, welches dem mutmaßlichen Terroristen Oliver Zurek und dessen unermüdlich nachforschenden Vater Richard widerfährt. Es handelt sich um eine realistische Aufarbeitung des GSG-9-Einsatzes vom 27. Juni 1993 um die Festnahme und den Tod des RAF-Terroristen Wolfgang Grams.
Hat Hein im "Tangospieler" einen erzählerischen Flop gelandet, so bringt er es auch hier nicht über ein seichtes Mittelmaß.
Da sind zunächst Ungenauigkeiten und Fehler zu monieren. Beim Tatort Bad Kleinen lässt er den Bäderzusatz weg. Die GSG-9 des Bundesgrenzschutzes wird bei Hein zur "Grenzpolizei". Ob da noch die "Grenztruppe" von Heins Herkunftsstaat dem Autor durch den Kopf spukt? Der ehemalige Gymasialdirektor, die Hauptperson des Romans, wird "Rektor" genannt (S. 115). Das boulevardeske Kapitel 17 um die ehemalige Affaire mit der Geliebten Suse ist so überflüssig wie aufschlussarm.
So versessen der Protagonist Dallow im Tangospieler sich einer Wiedereingliederung verweigert, so obsessiv versucht Richard Zurek seinen getöteten Sohn zu rehabilitieren. Für seinen Frieden braucht es der Vater, dass der Sohn weder sich selbst noch einen Polizisten erschossen hat. All seine rechtsstaatlich unternommenen Versuche scheitern, müssen scheitern! Wann schon gewinnt ein Bürger einen Prozesss gegen den Staat?
Zureks Weg erinnert stark an Kleists Michael Kohlhaas, das Gespräch mit dem Pfarrer an Luthers Ansprache an den Rosshändler.
Unglaubwürdig, geradezu kitschig wirkt das Ende, wenn der ehemalige Gymnasialdirektor mit seinem Staat bricht:
">Da der Staat aber seine eigenen Gesetze nicht wahrt, bin ich von meinem Amtseid entbunden<.
Richard Zurek hob seine rechte Hand in die Höhe und sagte feierlich: >Vor Ihnen allen als meinen Zeugen: Ich widerrufe hiermit meinen Eid<." (S. 268) Dies spricht Zurek an einem Freitagnachmittag vor 25 Schülern, welche zu diesem Auftritt in die Aula gekommen sind.
Nun ist Zurek irgendwie zufrieden und führt seine Frau aus:
"Zieh dich um, Mädchen, wir gehen im Bahnhof essen." (S. 271)
(Dem Mann kann nicht geholfen werden!)
Michael Seeger, 14. April 2020