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Maja Lunde:Die Geschichte des Wassers(deutsch) Random House München 2019 (btb 71831) 479 S., 11,00 EUR ISBN 978-3-442-71831-3 gelesen September 2019 |
In dieser Reihe habe ich häufig moniert, dass Autoren mit einem flammenden Anliegen oder ihrer historischen-politischen Wahrheit ihren Inhalt zwanghaft in einen Roman-Plot bzw. in Romanfiguren pressen und damit den literarischen Anspruch verfehlen (Seghers, Hosseini, Houellebecq, Menasse, Zeh), weil sie an der Form scheitern. Die genannten AutorInnen sind aber begabte Goldkinder, wenn man sie mit der norwegischen Erfolgsautorin Lunde vergleicht. Wir sind auf das schlimmste gefasst, denn beim "Wasser" handelt es sich - nach den "Bienen" - erst um den zweiten Roman des angedrohten Klima-Quartetts! Wenn in unseren aufgeladenen Zeiten Greta demnächst vielleicht sogar den Friedensnobelpreis bekommt, ist der Literaturnobelpreis für Maja Lunde nicht mehr weit. Man weiß ja nie!
Worum geht es?
„Die leeren Kisten werfe ich wieder auf den Boden, sie sollen nicht ins Wasser, obwohl sie vielleicht trotzdem eines Tages dort landen und sich all den Plastikbergen und -inseln im Meer anschließen und langsam zu Mikroplastik zerfallen, im Verdauungssystem eines Fisches landen, auf einem Teller serviert werden und von einem Menschen verspeist, der seinen eigenen Abfall isst, so wie wir alle jeden Tag unseren eigenen Abfall essen.“ (S. 78)
Wer von uns Lesern hat das mit dem Plastikmüll noch nicht gewusst? Es geht aber noch besser:
„… ich bin ein Frosch, eine Amphibie. Sie sterben, die Frösche, werden still und leise ausgerottet, ohne dass es die Welt kümmert, ein Drittel aller Arten sind ernsthaft bedroht, aber niemand denkt an ihn, den Frosch …“ (S. 80)
So also quakt (sorry!) Signe, die Ich-Erzählerin in der ersten von zwei - künstlich-bemüht miteinander verwobenen - Klimageschichten. Die 70-jährige Umweltaktivistin erzählt im Jahre 2017 im Präsens von ihrer finalen Aktion am Ende eines blitzblanksauberen Ökolebens ihre mutige Einhandsegelfahrt aus dem norwegischen Fjord nach Bordeaux und den Kanal hinauf (Lot?), um ihrem Ex-Geliebten Magnus das (letzte?) in verschweißten Plastikkisten gepackte Gletschereis wütend vor die Füße zu werfen. Sie will ihn damit für den Verrat bestrafen, weil er einst die Seiten gewechselt hat vom Protestcamp als Rebell zum Wasserkraftwerk als Ingenieur.
Ohne Übergänge und damit unvermittelt blendet der Erzählstrom immer wieder zurück in Signes Biographie: Mutter kapitalistische Hotelbesitzerin, Vater quasi Berufsökoaktivist der militanten Art. Signe ist ein Papakind und will keinerlei Versöhnung mit der Mutter, deren Namen Iris sie schon nicht erträgt. Sex muss auch sein: Einmal beobachtet Signe als Kind die Eltern beim Koitus ... und ist ratlos. Mit Magnus zeugt sie nach einem Bad im kalten See ein Kind - natürlich in der freien Natur. Das aber lässt sie in London abtreiben: "... diejenigen, die sich ein Kind wünschten, hätten es begründen müssen, nicht wir anderen ..." (S. 428).
Die zweite Geschichte spielt in der Zukunft im Jahre 2041 und wird im Präteritum erzählt. David und seine Tochter Lou sind Klimaflüchtlinge. Sie haben bei einem Brand im südfranzösischen Argelès die zweite Familienhälfte Ehefrau Anna und Söhnchen August aus den Augen verloren und hoffen in einem Flüchtlingslager in Timbaux/Bordeaux wieder auf Familienzusammenführung. Jahrelange Dürre bringt Südeuropäer zur Flucht in die "Regenländer". Die Situation im Lager (Wasser!!) wird immer prekärer. Trost bietet der (schuldbelastete) Sex mit der alleinstehenden älteren Marguerite. Als auch dieses Lager brennt, ziehen sich Vater und Tochter in ein Boot zurück, welches sie - versandet - in der Nähe an einem ehemaligen Kanal entdeckt hatten. Man ahnt sofort: Das ist Signes Boot von 2017! Eines Tages entdeckt auch Lou die Großen beim Sex, läuft schreiend davon und stolpert auf einem Hügel auf Hartplastik! Es sind die 12 Eiswasserkisten, welche Signe und Magnus 2017 vergraben haben! Wow! "Es würde für fast drei Monate reichen." (S. 468)
Das beste am Buch sind die jeweils offenen Enden. Sprachlich ist es ausgesprochen trivial gestaltet:
"Marguerite setzte sich auf, streckte sich nach ihrem Kleid, zog es über den Kopf und versteckte ihre sommersprossige, helle Haus. Anna wurde braun. Goldbraun. Benutzte nie Sonencreme.
Ein tiefes Schluchzen stieg in mir auf. Ich krümmte mich zusammen und drehte mich weg. Sie sollte das nicht hören.
'Ich steh auf', sagte Marguerite.
'Ja.'
'Kommst du?'
'Mhm.'
Aber ich konnte mich nicht bewegen, ich schloss die Augen, sah nur noch Anna." (S. 342f)Ich aber schließe nicht nur die Augen, sondern auch diese Rezension, nicht ohne den Hinweis, dass die Kritik im Deutschlandfunk noch recht wohlwollend ausfällt:
"Noch dazu wirken die Figuren eigenartig leblos und konstruiert, mehr wie Ideenträger im Dienste einer gut gemeinten Sache und weniger wie jene faszinierenden Wesen, die nur große Literatur zum Leben zu erwecken vermag. Leider bestätigt sich die Vermutung, die schon der Titel nahelegt: „Die Geschichte des Wassers“ ist der Versuch, eine Erfolgsgeschichte weiterzuführen. Aber eben nur der Versuch."
Michael Seeger, 18. September 2019
© 2002-2019 Michael Seeger, Letzte Aktualisierung 18.09.2019