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Michel Houellebecq, Unterwerfung
aus dem Französischen von Norma Cassau und Bernd Wilczek, Roman, DuMont, (2015), Köln, 22015, 271 S., 22,99 EUR
Kein Roman - eher ein Essay!
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Die Machart des Buches ist ähnlich wie in "Elementarteilchen" (>> meine Rezension): In Huxleyscher Manier wird aus der Perspektive der Zukunft "erzählt": Der Muslimbruder Ben Abbes ist französischer Präsident geworden und die (Universitäts)Welt der Sorbonne und mit ihr - etwas retardiert durch einige aus seiner alten abendländischen Kultur stammenden Widerstände - der Ich-Erzähler vollziehen eine schleichende Unterwerfung. "Unterwerfung" ist die Übersetzung von "Islam". Gewiss verdankt der Autor diesmal seinen Erfolg der Tatsache, dass die Neuerscheinung gerade mit den Anschlägen auf Charlie Hebdo zusammenfiel. Hatte der Erfolgsautor mit seinem Roman also den richtigen Riecher?
In gewohnt sachlich-emotionsloser Sprache berichtet Houellebecq vom Niedergang des alten Frankreich, ein Paradigma für den Niedergang Europas und die "Erlösung" durch den Islam. Ja, er "berichtet", denn das "Erzählen", was man von einem Romancier eigentlich erwartet, kann er aufgrund des gestelzten Konstruktes kaum leisten. Es ist eben kein Roman, sondern eher ein politischer Essay, ein religionswissenschaftlicher und kulturgeschichtlicher Diskurs, den Houellebecq in eine wenig überzeugende (Nicht)Handlung zwängt. Im Gegensatz zu "Elementarteilchen" sind die pornografischen Passagen, die der alternde Ich-Erzähler (geplagt von "Rohrproblemen" S. 247) einstreut, eher marginal, aber ebenso wenig erotisch:
"Sie (Myriam) hockte sich vor mich und leckte mir zuerst lange und zärtlich die Rosette, dann nahm sie mich bei der Hand und ließ mich aufstehen. Ich lehnte mich gegen die Wand. Wieder hockte sie sich hin und leckte mir die Eier, während sie mich in kurzen, schnellen Bewegungen wichste." (S. 89)
Brauchen wir so etwas als Literatur? Vielleicht braucht es Houellebecq, um schon zu Beginn des Buches "die notwendige Unterwerfung der Frau und die Rückkehr des Patriarchats" (S. 248), wie es der konvertierte Sorbonne-Rektor Rediger postuliert, als Sehnsucht des Helden antizipierend aufblitzen zu lassen.
Der Held der Ich-Erzählung ist diesmal aufgestiegen: War Bruno in "Elemantarteilchen" noch Literaturlehrer, so ist der Held diesmal Literaturprofessor, wegen seiner Forschungen zu J.-K. Huysmanns hoch angesehen - auch bei den als "Frischblut" bezeichneten Studentinnen des ersten Semesters. Die als Sexobjekte jeweils für ein Semester gebrauchten jungen Frauen emanzipieren sich jeweils nach den Semesterferien mit "Ich habe jemanden kennen gelernt." Die oben erwähnte Geliebte Jüdin Myriam verabschiedet sich aber nach Israel, weil ihre Eltern sie überzeugen können, dass Juden im nun muslimisch gewordenen Frankreich nicht mehr leben können. Dieses Verlassenwerden löst im alternden Professor (der doch erst Mitte 40 ist!) eine traurige Einsamkeit aus, die er offensichtlich als härter empfindet als den Verlust seiner Professur.
Waren das II. und III. Buch noch als Tagebucheinträge gestaltet - in kritischer Replik auf 1968 sinnigerweise im Mai angesiedelt - und so von der Wirkung des politischen Transformationsprozesses auf den Erzähler geprägt, verliert sich mit zunehmender Dauer mehr und mehr der Romancharakter. Houellebecq will eine Vision entwerfen, geschichtsphilosophische Bekenntnisse ablegen und hat dabei erzählerisch keine bessere Idee, als diese Gedanken in Form monologischer Suadas in äußerst gekünstelte "Dialoge" zu verpacken: "er verstummte; er hatte mehr als eine halbe Stunde lang ununterbrochen geredet" (S. 138). Diese einschläfernde Rede des Ex-Geheimdienstlers Tanneur füllt volle acht Buchseiten! Wem das nicht genug ist, der darf sich auf eine ebenso gekünstelte Besuchspassage beim neuen zum Islam konvertierten Sorbonne-Rektor Rediger freuen: Ein ganzes Kapitel lang (20 Seiten) darf der Nietzsche-Bewunderer, bedient von seinen zwei Ehefrauen, seine Ideologie von der Harmonie des Islam, "natürlicher Selektion" (S. 264) durch Polygamie und den Lobpreis der Heiratsvermittlerinnen absondern. "Ich war völlig baff" (S. 265). Der Rezensent ist es auch, weniger wegen eines nicht überzeugenden Plots als vielmehr wegen der völlig gescheiterten Erzähltechnik eines doch eigentlich begabten Romanciers.
Die finale Konversion des Protagonisten und seine feierliche Wiedereingliederung in den Universitätslehrkörper ist zwar im Konjunktiv geschrieben. Wer dahinter allerdings eine kritische Distanzierung des Autors sieht, täuscht sich wahrscheinlich. Ein ZEIT-Interview (www.zeit.de/2015/04/michel-houellebecq-unterwerfung-charlie-hebdo-frankreich-radikalisierung/) offenbart zu viele Sympathien mit dem im "Roman" ausgebreiteten Transformationsprozess einer ehemals aufklärerischen Zivilisation.
Michael Seeger, 09. Juni 2015
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