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Sascha Lobo:REALITÄTSSCHOCKZehn Lehren aus der Gegenwart KiWi 2019 (Köln) 400 S., 22,00 EUR ISBN: 978-3-462-05322-7 gelesen Februar 2020
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Was ist der Cover-Aufkleber "Bestseller" wert, vor allem als Bestseller aus dem eigenen Haus? Auf jeden Fall eine Steigerung der Verkaufszahlen. Mit Qualität hat dies oft nichts zu tun. So auch im vorliegenden Fall. Gut, Lobos Analyse unserer Gegenwart ist solide. Der schon in der Einleitung dargestellte methodische Kritikpunkt Lobos ist einsichtig: Wir Erwachsene, wir Alten, sind im 20. Jh. geprägt worden und schauen deshalb mit den Kategorien des letzten Jahrtausends auf die Probleme der Gegenwart und die Herausfoderungen der Zukunft, weshab wir häufig weder verstehen noch verändern können. Stattdessen trifft uns der Realitätsschock mit aller Härte. Hoffnung soll dagegen von den Jungen kommen. ... Dazu unten mehr.
Gelernt habe ich durch die Lektüre kaum etwas. Zu bekannt sind die in 10 Kapiteln von Lobo dagestellten Phänomene. Das wird jedem wachen Zeitgenossen so gehen. Wer selbst bei den Freitags-Zukunft-Demos teilnimmt, muss von Lobo wirklich nicht über den Klimaanstieg aufgeklärt werden.
Ein Lichtblick stelt das Kapitel DIE CHINESISCHE WELTMASCHINE dar. Allein die Wucht der blanken Zahlen, macht deutlich, wie künftig der Hase läuft, wo der Wind herweht. Wir können den Eurozentrismus, den "Westen" beerdigen. Ein Beispiel:
"In drei Jahren von 2011 bis 2014 hat China mehr Beton verbaut als die USA im gesamten 20. Jahrhundert. Durch die chinesisce Bevölkerung weht ein Fortschrittsoptimismus, der die amerikanische und eurpäische Zukunftsfreude der 1950er-Jahre matt wirken lässt." (S. 198)
Lobo bewirbt und vermarktet auf den ihm zur Verfügung stehenden Kanälen (z.B. in in spiegel-online) seinen Bestseller und hat zum Buch sogar eine eigene Webpräsenz geschaffen. Dort im Blog habe ich meinem Ärger über den undifferenziert verwendetenriff Begriff "Rassismus" Luft verschafft. Es geht um die Kapitel Migration und (gescheiterte) Integration. Natürlich muss mal wieder als Kronzeuge für den herrschenden Rassismus Thilo Sarrazin herhalten, dessen Bücher Lobo kaum gelesen haben kann. Schließlch argumentiert er wie jener, schließlich stützt er sich wie jener als Quelle auf Mansour, schließlich verteidigt er sich wie jener prophylaktisch gegen einen möglichen Rassismus-Vorwurf:
„Kann Realität, abgebildet mit Statistiken, rassistisch sein? Nein.“ (S. 121)
In letzter Zeit ist der Rassen-Begriff in Frage gestellt worden. Wenn es keine Rassen gibt, weil das nur Konstrukte seien, kann es auch keinen Rassismus geben. Es gibt Initiativen, den Begriff "Rasse" aus dem Grundgesetz zu tilgen. Hat Lobo davon noch nichts mitbekommen? Wir sollten das Narrativ vom Rassismus durch das der Diskriminierung ersetzen!
Methodisch stützt sich Lobo für seine Thesen jeweils auf ein bis zwei Autoren, gegen die natürlich nichts einzuwenden ist. Statt eines populären Buches hätte man sich aber ein wissenschaftliches gewünscht. Das hätte aber erfordert, dass man erstens die Quellen breiter streut, und zweitens dieses bibliographisch sauber referenziert. Mit seinem eher journalistischen Schreiben befindet sich Lobo eher in der Nähe des von mir unlängst besprochenen Franz Alt und weit entfernt von den in dieser Reihe rezensierten Autoren Mansour, Sarrazin, Pinker, welche mit breitester Empirie überzeugen können.
Die Hoffnung also auf die mögliche Rettung der Welt, kommt - wie eingangs erwähnt - von den Jungen. Klar, ihnen gehört die Zukunft und sie engagieren sich für eine lebenswerte Welt (> Fridays). Wie Lobo diese Perspektive aber begründet, ist höchst fragwürdig. Wie zeigen die Jungen uns Alten denn den Weg? Sie kommunizieren auf innovative Weise! Sie brechen die Monopole, indem sie die Anbieter von sozialen Medien ständig wechseln. Statt der Textnachrichten verwenden sie am Handy Sprachnachrichten. Wow!!! Wenn das kein Fortschritt ist! Sie signalisieren die Bereitschaft anders zu konsumieren, um den Klimawandel zu bekämpfen (S. 381). Tun sie es auch???
Michael Seeger, 29. Februar 2020
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