Michael Seeger Rezensionen Forum

 

Franz Alt:

Die ALTernative

Plädoyer für eine sonnige Zukunft

Edition Chrismon Leipzig 2019, 128 S. 10,00 EUR

ISBN 978-3-96038-208-9

gelesen 1. Januar 2020

 

"Macht euch der Erde untertan"!1

Nach der bekannten apokylyptischen Beschreibung bringt Alt sein überzeugtes "Yes we can"!

 

Franz Alt neuestes Buch ist schnell gelesen. Die Lektüre fällt leicht und war an einem einzigen Tag geschehen; ist es doch mehr oder minder in einer Art mündlicher Sprache verfasst. Offensichtlich lagen dem Manuskript die Texte der mehr als 4.000 weltweit gehaltenen Vorträge zugrunde. Parataxe überwiegt.

Der erste Teil des Büchleins (bis S. 90) ist der Zustandsbeschreibung unserer Gegenwart gewidmet und muss - wie bei allen Autoren, die sich dieser Aufgabe widmen - zwangsläufig apokalyptisch ausfallen. Man erfährt nichts Neues; es ist eben "5 vor 12." Der Wert der Zustandsbeschreibung besteht vor allem darin, dass die bekannten Fakten, welche unseren Planeten und damit uns bedrohen, in kompakter und gut lesebarer Form zusammengefasst sind. Alt bemüht sich auch um eine salopp-humorvoll bis satirische Sprache, die sich gerne auch in Kalauern ergeht:

"...wer an Silvester bei unserer heutigen Feinstaubbelastung noch immer viel ballert, hat eifach einen Knall." (S. 11)

Kalauer sind die Skylla, Charybdis sind Banalitäten in einer eher populärwissenschatlichen Darstellung:

"... es ist ein großer Fehler, wenn wir aus Fehlern nichts lernen." (S. 34)

Wir kennen Persönlichkeiten, denen das Christliche mit der Muttermilch gegeben war und die sich dann gerne in der CDU engagiert haben, bis sie auf Abstand gingen, als sie den Mangel an "C" in der Partei erkannten. Ich erinnere an Jürgen Todenhöfer, Claus Töpfer, Norbert Blüm, Heiner Geissler. Sie wurden wie Franz Alt schließlich zu Kritikern des profitorientierten Kapitalismus. Sie suchen nach Aternativen - Alt mit seinem kalauernden Titel expressis verbis - müssen aber, da sie nicht sozialistisch werden wollen, zwangsläufig schwammig bleiben:

Im "Jahrhundert der Genossenschaften" (S.7ff) plädiert Alt für eine schön klingende Transformation:

"Ein menschlicherer Kapitalismus ist möglich - eine ökosoziale Marktwirtschaft mit weniger Gier und Egoismus, mit mehr Gemeinwohl. Von der Ich-Wirtschaft zur Wir-Wirtschaft. (S. 19)

Diese Art des moralischen Appells prägt das Buch, welches ein wahrer Ich-Text ist. Man wünschte sich als Leser auch stilistisch eine Transformation vom Ich-Text zum Welt-Text. Aber Alt argumentiert sehr persönlich, z.B. indem er - um zu zeigen, dass Menschen sich ändern können - an acht Beispielen seine "persönlichen Wandlungsprozesse" (S. 39ff) erzählt; sie erscheinen quasi als fortgesetztes Damaskus-Erlebnis. Die Ehefrau war dabei involviert und so verneigt er sich öffentlich vor ihr: "Danke, Bigi!" (S. 39). Der Sohn eines Kohlenhändlers hat sich vom atomar-fossillen Ideologen zum Sonnenkind gemausert.

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Das populärwissenschaftliche Buch zitiert umfangreich nahestehende Autoritäten und nennt unter "Weiterführende Literatur" (S. 121f) einige Titel, ohne sie im Text genau zu referenzieren. Es dominieren dabei moralisch argumentierende Autoren wie Dala Lama, M. Gorbatschow, E.U. v. Weizäcker, Muhammad Yunus, M. Gandhi und natürlich Jesus v. Nazareth - aber bitte nach aramäischen Urtexten! (S. 43). Wo gibt es die?

Für die Riesenaufgabe einer Entfaltung des "menschlicheren Kapitalismus" hätte man sich auch die Referenzen Felber2 und Piketty3 gewünscht.

Das Buchcover ist sinnstiftend: Der ehemals eher schwarze Autor ist zum Grünen mutiert, die Sonne (und "Gott, die Sonne hinter der Sonne, ... die Energie, die Urkraft" - S. 52) erscheint als Lösung der Probleme: "Solarstrom ist Sozialstrom!"

Der Modus der Argumentation ist wie in einigen anderen Büchern Alts der Predigtton. Wohltuend heben sich davon ab die Best Practice-Beispiele zur Verkehrswende: Augsburg, Wien, Madrid, Luxemburg zeigen erfolgeich, dass Alternativen zum Autoverkehr gelingen können. Warum aber sind andere Versuche, z.B. in Tübingen gescheitert? Mit welchen Maßnahmen oder von mir aus auch mit welchen psychosozialen Tricks können die Determinanten in unserem Reptiliengehirn überwunden werden, damit neu und zukunftsfähig gedacht und vor allem gehandelt werden kann?

Ich frage mich seit Jahren, warum fast alle Autoren, die sich mit der Umwelt- und Naturzerstörung befassen, die Hauptursache umschiffen, nämlich das ungebremste Bevölkerungswachstum. Dieser Planet ist schlicht für eine in moderner Existenzform lebende Bevölkerung von demnächst 11 Milliarden nicht geschaffen. Alt nennt diese Zahlen, die wir alle kennen. Er skandalisiert sie aber nicht, sondern lediglich das nicht nachhaltige Wirtschaften. Warum ist es - anders als in den 1960er Jahren - heute irgendwie Tabu, Themen wie Geburtenkontrolle und Maßnahmen gegen zu viel Fortpflanzung anzugehen? In Akrika liegt die durchschnittliche Fertilitätsrate immer noch bei 4,4 Kinder/Frau, in Niger gar bei 7,5! Als im November 2019 die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer einen kurzen Blick auf den CO2 -Fußabdruck jedes (zusätzlichen) Menschen warf, war die Empörung groß. Der Autor Franz Alt hört in seiner Analayse wie viele andere an der entscheidenden Stelle ebenfalls auf.

Das Büchlein ist schlampig lektoriert. So ist Bangladesch ein "Inselstaat" (S. 67) und so wird der VW-Dieselskandal auf 2017 datiert (S. 49). Schmunzeln muss ich, wenn der aus Untergrombach (Bruchsal) stammende Autor in den "badischen Akkusativ" verfällt:

"Ohne fruchbare Böden gibt es keine Zivilisation: kein köstlicher Wein (sic!) und kein sauberes Wasser, kein Brot und keine Butter, (...) kein Rasen (sic!) und keine Rose. (S. 113)

Nicht allein steht der Autor mit der Auffassung, Frauen seien die besseren Menschen: "Der Sinn für Gerechtigkeit ist das Urgefühl von Frauen." (S. 21) Denn "ihre Kinder haben ihnen oft zugerufen: >>Das ist ungerecht.<<" (S. 20f). Das jüngste finnische und österreichische Kabinett sowie die Zusammensetzung der aktuellen EU-Kommission spiegeln diese Auffassung ebenso wie das Postulat einer "feministischen Außenpolitik" (Schweden).

Was ist mir durch die Lektüre klar(er) geworden?

Und ... zu eigen mache ich mir Alts Neuübersetzung der Genesis:

"Macht euch der Erde untertan!"1


1 S. 87

2 Christian Felber, Gemeinwohl-Ökonomie, München (Piper) 2018, EAN 978-3-492-31236-3

3 Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, (CH. Beck) München 2014, ISBN 9783406671319

Michael Seeger, 2. Januar 2020

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© 2002-2020 Michael Seeger, Letzte Aktualisierung 22.04.2020