Michael Seeger Rezensionen Forum

Sarrazin

Thilo Sarrazin

Feindliche Übernahme


Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht

FBV München 2018

ISBN: 978-3-95972-162-2

495 S. 24,99 EUR

gelesen September/Oktober 2018

Cover

Unangenehme Fakten, Wahrheiten, Thesen

Der skandalisierte Autor Sarrazin sieht sich in seinen Warnungen von 2010 bestätigt
und untermauert sie mit einer fakten- und meinungsstarken (Meta)Studie.

Fast so bemerkenswert wie das Buch selbst ist seine einschlägige Ablehnung in der liberalen Rezeption.

Es kam, wie ich es vorausgeahnt hatte: Die Renzensionen - allesamt (soweit mir bekannt) wütende Verrisse - fallen über den Verkünder unangenehmer Wahrheiten her. Dabei haben nicht alle Kritiker sein Buch wirklich gelesen, wie etwa B. Schulte in der BZ vom 11.10.2018.

Da spart das Feuilleton nicht mit harten Bandagen: Sarrazin sei ein "Hetzer", "Rassist" 1, eröffne einen "eugenischen Weltbürgerkrieg", rufe "alte Ängste um Reinheit und Blut" an, liefere eine "primitive Koran-Exegese", betreibe die "Ausweitung der biologistischen Kampfzone", "Hass schürendes Schwarz-Weiß-Denken", verrate "Herrenmenschendenken", sei ein "Brandbeschleuniger von Gewalt". Schön versammelt sind diese Zuschreibungen bei Sonja Zekri in der SZ.

Es ist eben so, dass die liberalen Medien sich seit 2010 ("Deutschland schafft sich ab") auf Sarrazin eingeschossen haben. Kräfte in der SPD wollen immer wieder seinen Parteiausschluss befeuern. Es ist seit Ende August still darum geworden, obwohl eine Expertenkommission mit Gesine Schwan da nichts Gutes verheißt.2 Vielleicht ist die SPD inzwischen auch darauf gestoßen, dass viele von Sarrazins Thesen sich wie Blaupausen von Statements unseres allseits verehrten Altbundeskanzlers Schmidt lesen. Der, dem Hass und eine Nähe zu Gewalt unterstellt wird, versucht aber gerade Hass und Gewalt, sofern sie dem Islam innewohnen, von uns fernzuhalten.

Beginnen wir, weil wir gerade bei den Verrissen sind, mit einigen Problemzonen des Buches. Ja, der Autor verwechselt an einer Stelle (S. 24) Apostasie mit Blasphemie, sicherlich ein Flüchtigkeitsfehler. Beide Begriffe sind im umfangreichen Sachregister 20 Mal aufgelistet.

Ja, mehrfache Redundanzen sind ermüdend. Sie kommen zustande, weil der Autor die Quintessenz seiner Islam-Kritik in jedem Kapitel vertieft. Da er den Leser transparent durch seine Darstellung führt, ist dies methodisch sauber, erheischt aber solche Wiederholungen.

Ja, das Buch ist an jeder Stelle pointiert subjektiv, im Ich-Ton verfasst. Mag Sarrazins Islam-Exegese schlicht sein. Er unterrichtet uns Leser aber zu Beginn darüber, dass er den Koran zunächst ohne Sekundärbeeinflussung im (übersetzten) Quellentext lesen und darstellen will. Gleichwohl bleibt Sarrazin aber nicht dabei. Fleißig hat er sich wissenschaftlich in das Thema eingearbeitet, wovon 47 Seiten Anmerkungen mit ungezählten Literaturhinweisen zeugen. Man hätte sich darüber hinaus ein gesondertes Literaturverzeichnis gewünscht. Wahrscheinlich wollte Sarraazin aber gar nicht als Wissenschaftler daherkommen. Gleichwohl ähnelt die fakten- und statistikreiche Darstellung in ihrer Methode etwa der viel gelobten Bildungs-Metastudie Hatties. Über das Thema hinaus verrät er einen profunden Bildungshorizont.

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Der - als Provokation gemeinte - Titel ist unglücklich gewählt. Denn die "Übernahme" wird im Buch gar nicht thematisiert. Da lag Houllebecq mit dem Titel "Unterwerfung" besser! Wenn in diesen Tagen manche Kindergärten den Martinsumzug lieber Laternenfest nennen, wird dies ja nicht von muslimischen Migranten gefordert. Vielmehr unterwerfen sich diese Kindergärten in vorauseilender Anbiederung einem als korrekt empfundenen Multikulturalismus und geben dabei die eigene abendländische Tradition preis.

Random-House wollte das Buch nicht veröffentlichen, weil es "argumentativ schwach" sei. Was ist damit gemeint? Vielleicht die überbordende Verwendung der "Gewiss/Zwar ..., aber - Denkfigur"?

Kommen wir zum Gewinn, den die Lektüre bringt. Als "Lokalzeuge" der jüngsten Freiburger Masssenvergewaltigung durch sieben syrische Asybewerber freut man sich, wenn der aufgeklärte Freiburger Islamwissenschaftler Ourghi ("Krank an sich selbst") in einer Sarrazin ähnlichen Koran-Sichtung die in dieser Quelle liegenden (sexuellen) Gewaltpotenziale aufzeigt. Nichts anderes tut Sarrazin. Ich nenne gleich mehr als ein Dutzend Autoren, welche - von den Medien hochgelobt - zu gleichen Schlüssen kommen wie unser "Skandal-Autor", bei dem die Thesen dann als "Rassismus" erledigt werden. Sarrazin steht auf verlorenem Posten: Egal, was er sagt/schreibt, die Meute zieht über ihn her, weil er nun einmal zur Negativ-Ikone beim Thema Migration geworden ist. Wer aber sind die Referenzen, auf welche sich Sarrazin beruft, welche er minutiös in sein literaturreiches Werk einarbeitet? Es sind die mir bekannten und allgemein respektierten Tibi, Samad, Ourghi, Mansour, Wolffsohn, Gilles Kegel, Houellebecq, Huntington, Clark, Khorchide (Münster), Broder, Buschkowsky, Kambouri, Kelek. Benjamin Idriz hätte es auch verdient gehabt, von Sarrazin erwähnt zu werden. Schon vor acht Jahren wollte niemand hören, dass und wie Deutschland sich abschafft. Selbstkritisch gibt der Autor zu, dass er sich getäuscht habe, dass nämlich das Wachstum der muslimischen Bevölkerung in Europa wesentlich dynamischer ist, als vor einer Dekade prognostiziert. Wer will denn die Augen verschließen vor so schlichten wie eindrücklichen Zahlen: Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland beträgt 22,5 %, bei den unter 15-jährigen aber 36,4 % (Mikrozensus 2016). Noch Fragen über die Zukunft? "Soziologische Tatsachen, die man beschreibt, ohne dabei jemanden zu beleidigen, können (...) niemals anstößig sein." (S. 246).

In seinen Wiederholungsschleifen gelingt es Sarrazin immer wieder die "Bedrohung" zu markieren, welche für die freiheitlichen Gesellschaften des Westens vom Islam ausgehen: "patriarchalisches Familienbild, Gewalttätigkeit, Paralleljustiz, Unterdrückung von Frauen und Mädchen, Kriminalität, Bildungsferne, Familiengründung in jungen Jahren und überdurchschnittliche Kinderzahl." (S. 263) Weitere Aspekte sind: Clanstrukturen, Ablehnung des demokratischen Staates (vgl. Zustimmung der Deutschtürken zu Erdoğan), Schwimmunterricht, Genitalverstümmelung, Misserfolge in moderner Technologie, Opfermentalität, Zunahme der Kopftuchdichte auch in den muslimischen Metropolen (Izmir, Ankara, Istanbul, Kairo, Gaza), Verwandtenheirat, Ehrenmord, Scharia, Anteil der Transferempfänger, konservativer "Mainstream-Islam". Sarrazin wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass überall dort, wo die Muslime die Mehrheit stellen, es keine Demokratie, keine Religionsfreiheit, wenn nicht gar (Christen)verfolgung gibt, dass Muslime in der Minderheit unangemessen Sonderrechte beanspruchen (Islamkonferenz). Über die muslimischen Verbände liest man auch bei oben erwähnten Autoren nichts Gutes. Wer für seine Beurteilung des Islamthemas einen einfachen Kompass braucht, findet ihn in der Stellung der Frau, verkürzt gar in der Kopftuchfrage: "Ich bin mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, dass die Stellung der Frau in der Religion des Islam und in den islamischen Gesellschaften zentral für nahezu alles steht, was an dieser Religion problematisch ist und die Rückständigkeit der islamischen Länder bewirkt." (S. 165)

Welche Erkenntnisse waren für mich überraschend?

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In letzter Zeit wurde neben dem problematischen Frauenbild der Fokus auch auf das problematische Männerbild gelegt. Bei Sarrazin liest sich das so:

Erst die verklemmte und neurotische Atmosphäre, die die Religion des Islam rund um das Thema Sexualität erzeugt, führt zu der perversen Idee, dass ein gesunder Mann sich nicht beherrschen könne, wenn er eine unverhüllte Frau sieht, und dass er sich auch nicht beherrschen müsse, weil die Frau durch den Verzicht auf Verhüllung anzeige, dass sie entweder ungläubig oder eine Schlampe ist. Noch schlimmer ist es, wenn die jungen muslimischen Männer wegen eines Mangels an Bildung und der generellen Misere der Wirtschaft in der islamischen Welt kein ausreichendes Erwerbseinkommen haben und somit in der Hierarchie der Gesellschaft ganz unten stehen. Dann kann ihr Stolz, als Muslim über den Ungläubigen und als Mann über den Frauen zu stehen, eine ganz unverhältnismäßige Bedeutung annehmen und ihre Fanatisierung fördern. (S. 181)

Ich habe im Buch die Stellen gesucht, welche den Vorwurf der "Eugenik" rechtfertigten. Ist es diese Passage:?

"Der Anteil der Christen und Juden in der islamischen Welt ging zwar stetig zurück, aber ihre durchschnittlichen Fähigkeiten und Leistungen hoben sich immer signifikanter vom Durchschnitt der muslimischen Mehrheit ab. Beide Elemente - selektive Konversion und Ausschluss interreligiöser Heiraten - bewirken so über Jahrhunderte hinweg eine immer stärkere genetische Ausdifferenzierung zwischen den Muslimen und den religiösen Minderheiten." (S. 157f)

M.E. handelt sich hier schlicht um die bekannten Aspekte von Diaspora jedweder Art.

Ein Vorwurf, mit dem sich Sarrazin konfrontiert sieht, besteht darin, dass er dem Islam Veränderungsmöglichkeiten abspreche. Tut er nicht, er prüft diese Frage, kommt dabei allerdings zu diesem Ergebnis:

Es gibt keine begründeten Hoffnungen oder realistischen Erwartungen, dass aus der islamischen Welt plötzlich liberale und pluralistische Einflüsse nach Europa kommen oder dass der muslimische Einwanderungsdruck nach Europa nachlässt. (S. 383)

Wer sich über die vom Islam ausgehende Gewalt (gerne selbst) täuscht, vergegenwärtige sich die Bilder unserer Tage vom Männer-Mob in Pakistan, der hunterttausendfach den Tod von Asia Bibi und ihrer Richter fordert.

Ich habe beobachtet, dass die von mir seit 4. September 2015 kritisierte "Willkommenskultur" mit ihrem "Bereicherungs-Mantra" sich Zug um Zug in Richtung meiner Einschätzung bewegt. Dies geschieht durch nichts anderes als durch die Ersetzung von Ideologie durch Wahrnehmung der Realität. Ich bin mir sicher, dass auch die schärfsten Kritiker Sarrazins eines Tages sich eingestehen werden:

"Der Mann hatte doch irgendwie recht!"

Michael Seeger, 11. November 2018

1 Ist der Islam denn eine "Rasse"??

2 Zum am 18.12.2018 bekannt gewordenen SPD-Ausschlussvorhaben habe ich diesen nicht veröffentlichten Leserbrief an die Badische Zeitung verfasst:

"BZ 18.12.2018

„SPD-Spitze will Sarrazin erneut ausschließen“ und TAGESSPIEGEL: „Rauswurf ist keine Lösung“

Altkanzler Schmidt posthum aus der SPD ausschließen?

Gegen Sarrazin haben sich Politik und Feuilleton verschworen, so dass er kaum noch eine Chance auf sachgerechte Beurteilung hat. Auch der Chefredakteur der BZ unterstellt ihm Rassismus. Islamkritik wird hierzulande vorschnell als Islamophobie verurteilt. In seinem jüngsten Buch schreibt Sarrazin: „Soziologische Tatsachen, die man beschreibt, ohne jemanden zu beleidigen, können niemals anstößig sein.“ (S. 246) In der Konsequenz ihres Ausschlussvorhabens könnte die SPD-Spitze den allseits geschätzten Altbundeskanzler Schmidt posthum gleich mit ausschließen. Viele seiner Statements stimmen mit Sarrazins Analysen nämlich überein.

Michael Seeger, Merzhausen"


Bei einer Diskusssionsveranstaltung mit Prof. Ourghi am 31.01.2019 in Freiburg versicherte mir Sarrazin überzeugend, dass er nicht glaubt, die SPD-Kommission schaffe seinen Ausschluss.

© 2002-2022 Michael Seeger, Letzte Aktualisierung 27.11.2019

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