Orientalischer Mythos - souverän erzählt
Nachdem ich in jungen und mittleren Jahren fast alles von Thomas gelesen hatte, habe ich mir auf Anraten die Josephs-Tetralogie für meinen altersweisen Lebensabschnitt aufbewahrt und jetzt mit dem ersten Roman begonnen.
Ich hätte ihn auch als junger Mann lesen können, ist er thematisch doch verwandt mit "Das Gesetz". Jedenfalls bin ich genüsslich eingetaucht in den Mythos des Alten Testaments und fand da wieder: Gewalt, Betrug, Liebe, Begehren, Raffgier, Kampf um den rechten Gott, Patriachalimus, Zwangsbeschneidung (mit dem Steinmesser versteht sich!), Missgunst und Neid. Erneut frage ich mich: Was soll das als Heilige Schrift? Im Kern geht es darum, den (männlichen) Samen weiterzugeben, fruchtbar (Söhne selbstredend!) zu sein, Isaaks Segen als Kinderreichtum und Wohlstand zu erleben und zu steigern, das Volk Israel im Bunde mt Gott irgendwann in das verheißene Land zu führen.
Thomas Mann stellt den Romanen den Essay "Höllenfahrt" voran, den man auch überspringen könnte, wenn man sich dies, das Lob des präterialen Erzählens, merkte:
"Ist nicht das Vergangene Element und Lebensluft des Erzählers, ihm als Zeitfall vertraut und gemäß wie dem Fisch das Wasser?" (S. 54) - "Fest der Erzählung, du bist des Lebensgeheimnisses Feierkleid, denn du stellst Zeitlosigkeit her für des Volkes Sinne und beschwörst den Mythus, dass er sich abspiele in genauer Gegenwart! Todesfest, Höllenfahrt, bist du wahrlich ein Fest und eine Lustbarkeit der Fleischesseele ...." (S. 55)
In seiner bekannten auktorialen Souveränität verschränkt Thomas Mann die Ereignisse um Jaakob zeitlich (beliebig?), spielt mit Leser und Gegenstand, ironisiert seine Figuren und sich selbst als Erzähler, spart nicht mit (belehrenden) Sentenzen.
"der junge Sichem, ein verhätscheltes Herrensöhnchen mit eigenem Harem, ein Teppichlieger und Süßigkeitenschlepper, eine elegante Drohne ..." (S. 153)
"Ist es doch schlechthin der Luxus der Übersachlichkeit und der Scheinvorrang ehrenhalber der schönen Form, eingerechnet den hochherzig unbekümmerten Zeitverbrauch um ihretwillen, welche das menschlich Würdige, nämlich das mehr als Natürliche und also Gesittete eigentlich ausmachen." (S. 159)
Wir werden erinnert an die Topoi und Motive, welche sich in der biblischen Geschichte wiederholen:
- die feindlichen Brüder
- die unfruchtbare Erstfrau und die fruchtbare Sklavin
- das Menschopfer und/oder dessen Vermeidung
- den Wiederholungszwang (z.B. des Betruges), ... damit die Schrift sich erfülle
Und wie der "alte weiße (Thomas) Mann" sich in der Psyche und im Körper der Frau auskennt!:
"Hier kam ihrem (Rahels) Frohmut wohl eine eigentümliche und organische Vergeßlichkeit der Frauen zu Hilfe, von denen wohl manche in Kindesnöten es laut verschwört, je wieder den Mann zu erkennen, um das nicht noch einmal zu leiden - und ist doch schwanger von neuem schon übers Jahr; denn jener Schmerzensdruck verfliegt dem Geschlecht auf besondere Weise." ( S. 372)
Neben den die Sprache beherrschenden verschnörkelten komlexen Syntaxkonstruktionen findet sich vereinzelt auch dies - als Verschränkung von Leseraddressierung und Erzählbericht:
"Welche Freude! - Ach, mäßigt nur euren Jubel, erinnert euch und verstummt! Rahel starb. So wollte es Gott." (S. 370)
Wie der Erzähler souverän mit der Zeit und Chronologie umgeht, werde ich es mit der weiteren Lektüre halten. Es werden historisch jüngere Erzählgegenstände (z.B. Ch. Hein) und Sachbücher eingeschoben, um von Jahr zu Jahr die Tetralogie lesend zu komplettieren.
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Auktorial die Klaviatur gespielt
Kritik vorneweg: Klar, Mann bedient sich bewusst einer altertümelnden gespreizten Sprache. Aber - bei aller Elaboriertheit, so redet kein Achtjähriger (Benjamin), auch wenn es alttestamentarisch klingen soll:
"Das ist offenbar, du hast recht, und ich sehe es ein, Josephja,
Jachup, mein Jehosiph. Du bist über die Maßen klug, und was
du sagst, könnte nicht ich sagen. Aber wenn du es sagst, so sehe ich es und ergebe mich in deine Gedanken, so dass es auch meine sind und ich so klug bin, wie du mich machst." (S. 59)
Die auktoriale Sentenzhaftigkeit persistiert auch im 2. Roman:
">>Bedenke aber, daß alles zu zweien ist in der Welt, Stück und Gegenstück, damit man es unterscheide, und wenn neben dem einen das andre nicht wäre, so wären sie beide nicht. Ohne Leben wäre kein Tod, ohne Reichtum die Armut nicht, und käme die Dummheit abhanden, wer wollte von Klugheit reden?<<" (S.154f)
Den Leser zu belehren, zu lenken, mit ihm zu spielen sowie auf Distanz zum Erzählten zu gehen ist die ironisierende Grundhaltung des allwissenden Rhapsoden:
Hier fielen Worte, die wir nicht unmittelbar wiedergeben, weil sie eine neuzeitliche Empfindlichkeit erschrecken, und eben in unmittelbarer Form, die Brüder (...) in ein übertrieben schlechtes Licht setzen würden. Es ist Tasache, daß Schimeon und Levi sowie der gerade Gad sich erboten, dem Gefesselten kurzerhand den Garaus zu machen. Jene wollten es mit dem Stabe besorgen, ausholend mit beider Arme Kraft nach guter Kainsart, daß er hin sei. (...) Diese Vorschläge wurden gemacht, es ist nicht zu leugnen; aber es liegt nicht in unseren Wünschen, daß der Leser endgültig mit den Jaakobssöhnen zerfalle und ihnen auf immer die Verzeihung verweigere, darum lassen wir es nicht geradezu in den Worten der Brüder laut werden." (S. 174)
Nicht moralisierend, aber berichtend weist der Erzähler darauf hin, dass und wie der Bruderhass nicht aus dem Nichts gekommen ist. Wir verstehen, wie die Narzisshaftigkeit des schönen und erwählten Joseph, wie seine Naivität und Plapperhaftigkeit, mit der er glaubt, den Brüdern unbedingt seinen Garbentraum erzählen zu müssen, Sprachlosigkeit, Minderwertigkeitsgefühl, Hass und dann eben Gewalt in den zurückgesetzten Brüdern wachsen lässt.
Großartig und in jeder Hinsicht aktuell ist die ausführliche Schilderung der Schuld. Wie die Brüder verdruckst und mit hängenden Schultern dem "auf den Rücken gefallenen" alten Jaakob begegnen, wie ihre Tat sie quält, ohne dass viel darüber gesprochen wird. Die mühsam erfundene Unterscheidung zwischen "Tun" und "Geschehen" hilft ihnen nicht viel. Nichts haben "sie gewonnen (...) durch Josephs Beseitigung" (S. 268), sie quälen sich, wenn sie des Vaters Augen sehen, aus denen der Arwohn spricht.
Aber Thomas Mann wäre nicht Thomas Mann,wenn er zum Ende nicht einen gewissen Trost bereit hielte:
"Die Zeit aber verging und schuf Gewöhnung". ( S. 270)
Der zweite Roman, mehr dem Plot, also dem Erzählbericht, verhaftet, vermag Spannung und, ja, auch Unterhaltung zu bieten, und weckt Vorfreude auf die weiteren Bände. ....
Michael
Seeger, 11. Februar 2019
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