Ägyptischer "Goldmund"
Es geht weiter, als wäre keine Pause gewesen zwischen Band 2 und 3. Wie es sich für den großen Romancier einer Tetralogie gehört, wird der Leser aber immer wieder an Geschehnisse und Deutungen der ersten beiden Bände erinnert. Das Lesekontinuum stellt sich also ganz von alleine ein.
Thomas Mann hat sich nicht nur in die Zweistromlandmythen und -götterwelten eingearbeitet, sondern hier - fast noch intensiver - in die altägyptische Religion und Sprache - zumindest auf der Namensebene. Manchmal werden einem die mythischen Bezüge in dieser uns doch so fremden Welt auch zu viel.
Nicht aber die Geschichte Josephs, der von Händlern aus der Grube gezogen wird, in welche ihn seine neidischen Brüder (siehe Band 2) geschmissen hatten, um ihn als Sklaven nach Ägypten zu verkaufen.
Er soll nicht an irgendwen losgeschlagen werden, sondern im Hause des hochrangigen Potiphar seine Karriere beginnen, welche ihn ganz nach oben zum machtvollen Verwalter des Hauses führen wird.
Ja, es ist auch ein Entwicklungsroman; und so hat Joseph gelernt. Er unterdrückt bewusst die ihm von Gott geschenkten Gaben der Schönheit und Klugheit, um nicht den Fehler des Hochmuts wie damals seinen Brüdern gegenüber zu wiederholen. Mit Anpassung, Schmeicheleien, wohliger Rede, bescheidener Klugheit, Schönheit, Geduld, Rücksicht auf mögliche Kollateralschäden, Beflissenheit, praktischer Intelligenz, Pflichtübererfüllung, Gottvertrauen - zusammengefasst mit DIENST - erarbeitet er sich nimmermüde seinen Aufstieg. Gleichwohl ist er sich seiner kulturellen, intellektuellen und religiösen Überlegenheit innerlich stets bewusst, glaubt auch einen Auftrag seines Gottes erfüllen zu müssen.
Bewundert und erhoben wird er auch beneidet, vor allem aber begehrt von der Frau des Wesirs, der schon älteren - quasi vertrockneten - , gleichwohl schönen Mut-em-enet. Joseph widersteht.
Köstlich, wie Th. Mann die erotische Wirkung des 26-jährigen Jünglings auf die Dame, ja ihren ganzen weiblichen Hofstaat erzählt:
Joseph soll bei Muts "Kaffeekränzchen" den apfelschälenden Hofdamen Wein ausschenken:
"Alle Damen aber, sowohl die, welche ihn bei Gelegenheit schon gesehen, wie auch die, welche ihn noch nicht kannten, vergaßen bei seinem Anblick nicht nur ihre Hantierung, sondern auch sozusagen sich selbst, indem sie nichts anderes mehr wußten, als auf den Schenken zu schauen, worüber denn die tückischen Messerechen ihr Werk verrichteten und die Damen sich samt und sonders fürchterlich in die Finger schnitten - und zwar ohne des verunreinigenden Malheurs auch nur gleich gewahr zu werden, denn einen Schnitt von so extrem überschärfter Klinge spürt man kaum, zumal in so gründlich abgelenktem Zustande, wie der, worin Eni's Freundinnen sich eben befanden." ( S. 542)
Und der Erzähler kommentiert- voll erotischer Symbolik:
„… wie willst du, daß es einem nicht in die Glieder fährt und einem die Augen nicht übergehen, wenn ein solcher Gottesfratz auf der Bildfläche erscheint und neigt seinen Krug über deinen Kelch?“ (S. 545)
Mehr noch als in den ersten beiden Bänden spielt der Rapsode als auktorialer - auch selbstverliebter - Alleswisser mit dem Stoff und seiner Darstellung:
„Und somit kommen wir zu jener ausschlaggebenden ersten Begegnung und Unterhaltung Josephs mit Potiphar, im Baumgarten, deren in keiner der mannigfachen Darstellungen dieser Geschichte, weder den morgen- noch den abendländischen, auch nur gedacht wird und von der weder die prosaischen noch die in Versen abgefaßten etwas zu melden wissen - so wenig wie von zahlreichen anderen Einzelheiten, Genauigkeiten und sichernden Begründungen, die zutage zu fördern und den schönen Wissenschaften einzuverleiben unsere Version und Fassung sich rühmen darf.“ (S. 219)
Es ist behauptet worden, Goethe verfüge mit 100.000 Wörtern über den größten Wortschatz deutscher Sprache. Ich halte dem Goethes selbsternannten Epigonen Thomas Mann entgegen, der uns mit ungezählten Neologismen -vor allem im Bereich der Abstracta - nervt und beglückt:
"Irrtumsgeborgenheit" (S. 386); "Zeitentiefe"; "Vergangenheitsdurchblick"
(S. 413); "Liebeserlesenheit" (S. 464)
Mehr davon dann im vierten Roman ....
Michael
Seeger, 22. September 2019
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Es ist vollbracht!
Nicht 56 Jahre - dem Alter Josephs am Ende des 4. Bandes - aber 13 Monate hat es gedauert, das Bad in den 4 Josephsbänden.
Nach fast 2.000 Seiten ist man mit dem Geschehen, den Orten, den Figuren, den Göttern, der authentischen Ausstattung vor allem aber mit der zunehemd schalkhaften Erzählhaltung Thomas Manns vertraut.
Zu diesem Vertraut-Sein gesellt sich dem Leser ein Gottvertrauen - analog dem Josephs -, so dass man keine Sekunde bangt, es könne etwas schiefgehen. In dieses Gottvertrauen Josephs mischt sich immer wieder auch seine DNA: Arroganz und Überheblichkeit. Priivilegiert gefangen wegen Mut-em-enets verleumderisch-falscher Anklage, entdeckt Joseph, dass er nicht nur eigene, sondern auch fremde Träume zu deuten weiß. Diese Fähigkeit erhebt ihn schließlich zum "Ersten Mund Pharaos". Es ist die bekannte Prophezeiung der sieben fetten und sieben mageren Jahre, welche der kluge Joseph quasi mäeutisch aus Pharao herauskitzelt.
Seine Vorsorge für die mageren Jahre bewirkt nicht nur die Errichtung ungezählter Kornspeicher, sondern auch eine sozialrevolutionäre Umverteilung der Eigentumsverhältnisse: Die Kleinen bekommen das Korn günstig, die großen werden geschröpft, bis schließlich fast alles Land zu Pharaos Staatsland wird.
Köstlich, wie der große und mächtige Verwalter incognito seine Brüder verhört, welche, um nach Korn nachzufragen, die 17-tägige Reise von Hebron her unternommen haben. (S. 323ff)
Vertraut bin ich längst auch mit der super-auktorialen Hybris des Erzählers, der sogar einmal vom majestätischen "Wir" ins "Ich" changiert:
"Ich weiß nicht, ob euch das nahe geht, ..." (S. 456)
Wundern muss ich mich über zahlreiche Anachronismen Th. Manns: "barock" (S. 160); "Papperlapapp" (S. 199); "Barone" (S. 228); "Prunk-Avenue" (S. 312); "abkanzeln" (S. 510). Da der Erzähler aber immer wieder erklärt, dass er sowohl in als auch außer der Geschichte stehe, sei ihm dies verziehen. Nicht verzeihen mag ich, dass er stellenweise zum "Erlebenden Ich" wird - in seinen Zeitangaben: "diesjährig" (S. 229); "gestern" (S. 399, 460); "vorhin" (S. 482).
Ähnlich wie bei Astrid Lindgren müssten die politisch-korrekten Sittenwächter auch Manns "Negergrenze" (S. 94) und "Negerländer" (S. 153) umschreiben. Zum Glück haben diese Moralapostel weder Zeit noch Muße, diesen wuchtigen Roman zu zensieren.
Dem heidnischen Leser gefällt es natürlich zu erfahren, dass es "ohne die Versetzung des Ich und seines Heils in den Mittelpunkt aller Dinge (...) Frömmigkeit nicht" gibt. ... "Wer sich nicht wichtig nimmt, ist bald verkommen." (S. 442f). Hier spricht Th. Mann sicherlich auch über sich selbst.
Stärker als in den ersten drei Bänden bricht sich Manns Ironie Bahn und erinnert im Duktus durchaus an die Krull-Bekenntnisse: Der fromme und seinem israelischen Gott treue Jaakob will durchaus nicht in Ägypten, sondern bei seinem Großvater Abraham zu Hebron seine letzte Ruhe finden:
"Gerade aus seiner Vorschrift, ihn nicht in Ägypten zu begraben, ergab sich, daß er ägyptisch begraben wurde, prunkvoll ausgestopft und verschnurrt zur Osiris-Mumie. (...) Mit einem krummen Eisen zogen sie ihm das Gehirn durch die Nasenlöcher heraus und füllten die Hirnschale mit Spezereien. (...) Die leere Leibeshöhle spülten sie gründlich mit Dattelwein und taten statt des Gekröses das Beste hinein, Myrrhe und Würzrinde von den Wurzelschößlingen des Lorbeers. (S. 527)
Anzuerkennen ist, wie der durchaus auch salbadernde Th. Mann der Lakonie fähig ist:
"Da unterbrach ihn der Tod, er streckte die Füße, sank tiefer ein in das Bett, und sein Leben stand still." (S. 525)
Wem verdanke die genüssliche Lektüre der Tetralogie? Meinem Ex-Kollegen und Bergführer Klaus S., der - damals 50-jährig - mich auf zahlreichen Bergtouren dazu animierte, dieses Summum Opus zu lesen. Es hat 40 Jahre gedauert, bis ich es in Angriff nahm. Die Lesearbeit war etappiert: durch Alltäglichkeit und andere Lesegegenstände. Was ich mir aber durchaus als genüsslich vorstellen kann, ist, inspiriert vom Genius Loci zum Beispiel am Ufer des Euphrat, am Toten Meer, an den Gestaden des Roten Meeres oder auf einem Kahn den Nil hinabtreibend eine Woche lang am Stück lesend einzutauchen in diese antik-archaische Welt. Es ist eine Welt, die dem kritischen Bibelleser einmal mehr bestätigt: Es sind - menschengemachte - Mythen, orientalische Erzählungen und Märchen, archaische Überlieferungen, welche uns immer noch als "Wort Gottes" dargestelt werden. Bei Thomas Mann ist es
"die schöne Geschichte und Gotteserfindung von Joseph und seinen Brüdern." (Schlussatz S. 541)
Michael
Seeger, 23. Januar 2020 |