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Zusatz-Aufgabe Angelika Sauer (Deutsch)

Michael Seeger (Geschichte)

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Das Dorf

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http://www.lpb.bwue.de/aktuell/bis/1_01/wald03.htm

Das Dorf B. galt für die hochmütige, schlauste und kühnste Gemeinde des ganzen Fürstentums. Seine Lage inmitten tiefer und stolzer Waldeinsamkeit mochte schon früh den angeborenen Starrsinn der Gemüter nähren; die Nähe eines Flusses, der in die See mündete und bedeckte Fahrzeuge trug, groß genug, um Schiffbauholz bequem und sicher außer Land zu führen, trug sehr dazu bei, die natürliche Kühnheit der Holzfrevler zu ermutigen, und der Umstand, dass alles umher von Förstern wimmelte, konnte hier nur aufregend wirken, da bei den häufig vorkommenden Scharmützeln der Vorteil meist auf Seiten der Bauern blieb. Dreißig, vierzig Wagen zogen zugleich aus in den schönen Mondnächten mit ungefähr doppelt soviel Mannschaft jedes Alters, vom halbwüchsigen Knaben bis zum siebzigjährigen Ortsvorsteher, der als erfahrener Leitbock den Zug mit gleich stolzem Bewusstsein anführte, als er seinen Sitz in der Gerichtsstube einnahm. Die Zurückgebliebenen horchten sorglos dem allmählichen Verhallen des Knarrens und Stoßens der Räder in den Hohlwegen und schliefen sacht weiter. Ein gelegentlicher Schuss, ein schwacher Schrei ließen wohl einmal eine junge Frau oder Braut auffahren; kein anderer achtete darauf. Beim ersten Morgengrauen kehrte der Zug ebenso schweigend heim, die Gesichter glühend wie Erz, hier und dort einer mit verbundenem Kopf, was weiter nicht in Betracht kam, und nach ein paar Stunden war die Umgegend voll von dem Missgeschick eines oder mehrerer Forstbeamten, die aus dem Walde getragen wurden, zerschlagen, mit Schnupftabak geblendet und für einige Zeit unfähig, ihrem Berufe nachzukommen."
(Seite 4 Zeile 29 - Seite 5 Zeile)'


Annette von Droste-Hülshoff

Dorf B.:   Gemeint ist der heute noch existierende Ort Bellersen bei Brakel im Osten von Nordrhein-Westfalen, etwa zwischen der Stadt Paderborn und der Weser.

Fürstentum:   Das Gebiet gehörte damals zum Bistum Paderborn /Kurfürstentum Köln.

Wald:   Hier die bewaldeten Teile des Eggegebirges, das sich im Südosten an den Teutoburger Wald anschließt.

Fluss:   Die ca. 15 km entfernte Weser, über die das Holz per Frachtkahn zur Nordsee (hier: "die See") transportiert wurde, wo es offenbar vorwiegend als Schiffbauholz Verwendung fand.

bedeckte Fahrzeuge:   Geschlossene Frachtkähne, deren Ladung unter Deck verstaut wurde und damit vom Ufer aus nicht entdeckt werden konnte.

Förster:   Waren damals der natürliche Feind der Dörfler, da sie von der Obrigkeit dazu bestellt waren, den Holzdiebstählen Einhalt zu gebieten. 

Scharmützel:   Kleines Gefecht oder Kampf; hier zwischen Holzfrevlern und Förstern.  

 Holzfrevel

Bilder:

Die Dorfbewohner

Beschreibung:


http://www.lpb.bwue.de/aktuell/bis/1_01/wald03.htm


http://www.lpb.bwue.de/aktuell/bis/1_01/wald03.htm

 

 

 

 

 

 

 

„...im Dorfe B., das, so schlecht gebaut und rauchig es sein mag, doch das Auge jedes Reisenden fesselt durch die überaus malerische Schönheit seiner Lage in der grünen Waldschlucht eines bedeutenden und geschichtlich merkwürdigen Gebirges. Das Ländchen, dem es angehörte, war damals einer jener abgeschlossenen Erdwinkel ohne Fabriken und Handel, ohne Heerstraßen, wo noch ein fremdes Gesicht Aufsehen erregte und eine Reise von dreißig Meilen selbst den Vornehmeren zum Ulysses seiner Gegend machte - kurz, ein Fleck, wie es deren sonst so viele in Deutschland gab, mit all den Mängeln und Tugenden, all der Originalität und Beschränktheit, wie sie nur in solchen Zuständen gedeihen. Unter höchst einfachen und häufig unzulänglichen Gesetzen waren die Begriffe der Einwohner von Recht und Unrecht einigermaßen in Verwirrung geraten, oder vielmehr, es hatte sich neben dem gesetzlichen ein zweites Recht gebildet, ein Recht der öffentlichen Meinung, der Gewohnheit und der durch Vernachlässigung entstandenen Verjährung. Die Gutsbesitzer, denen die niedere Gerichtsbarkeit zustand, straften und belohnten nach ihrer, in den meisten Fällen redlichen Einsicht; der Untergebene tat, was ihm ausführbar und mit einem etwas weiten Gewissen verträglich schien, und nur dem Verlierenden fiel es zuweilen ein, in alten, staubigen Urkunden nachzuschlagen.  
(Seite 3 Zeile 18 -Seite 4 Zeile 5)

Es ist schwer, jene Zeit unparteiisch ins Auge zu fassen; sie ist seit ihrem Verschwinden entweder hochmütig getadelt oder albern gelobt worden, da den, der sie erlebte, zuviel teure Erinnerungen blenden und der Spätergeborene sie nicht begreift. Soviel darf man indessen behaupten, dass die Form schwächer, der Kern fester, Vergehen häufiger, Gewissenlosigkeit seltener waren. Denn wer nach seiner Überzeugung handelt, und sei sie noch so mangelhaft, kann nie ganz zugrunde gehen, wogegen nichts seelentötender wirkt, als gegen das innere Rechtsgefühl das äußere Recht in Anspruch zu nehmen.  
Ein Menschenschlag, unruhiger und unternehmender als alle seine Nachbarn, ließ in dem kleinen Staate, von dem wir reden, manches weit greller hervortreten als anderswo unter gleichen Umständen. Holzfrevel und Jagdfrevel waren an der Tagesordnung, und bei den häufig vorfallenden Schlägereien, hatte sich jeder selbst seines zerschlagenen Kopfes zu trösten. Da jedoch große und ergiebige Waldungen den Hauptreichtum des Landes ausmachten, ward allerdings scharf über die Forsten gewacht, aber weniger auf gesetzlichem Wege als in stets erneuten Versuchen, Gewalt und List mit gleichen Waffen zu überbieten.“
(Seite 4 Zeile 6 - Seite 4 Zeile 28)

 

Die Handlung spielt in einer ländlich abgeschiedenen Gegend Ostwestfalens. Neben dem geltendem Recht hat sich seit langem ein Gewohnheitsrecht entwickelt, das ständige Übergriffe heraufbeschwört und Unfrieden stiftet, zumal der ansässige Menschenschlag höchst aktiv und wagemutig ist. Jagd- und Holzfrevel sind an der Tagesordnung.

Das geschlossene Auftreten der Dorfgesellschaft übt Druck auf den aus dem Rahmen fallenden aus und fördert Außenseitertum. Geborgen kann sich in diesem sozialen Umfeld nur derjenige fühlen, der sich der Gemeinschaft anschließt und somit der Mehrheit anpasst.

Gleichzeitig verliert er seine Individualität und muss auf seine persönliche Entwicklung weitgehendst verzichten.

Durch die daraus resultierende Enge und Beschränktheit kann eine Öffnung nach außen, ein Anschluss an moderne Entwicklung nicht stattfinden. Die ganze Gesellschaft wirkt intolerant und desorganisiert; jedes Gesetz wird spätestens dann außer Kraft gesetzt, wenn es um den eigenen Vorteil geht. So erscheinen die Vertreter der Ordnung machtlos, die Bewohner hoffnungslos und die gesamte Lage aussichtslos.

Gefangen in ihrem selbst geschaffenen Chaos leben die Menschen umgeben von einer landschaftlich wunderschönen Gegend, welche ohne mit der Wimper zu zucken ausgebeutet wird. 

So destruktiv sich die Dorfbewohner gegen den Wald verhalten, so zerstörerisch verhalten sie sich gegen alles aus der Norm Fallende.

 

Weiterverführende Links:

Die Rolle der Natur

Der Mord am Förster

 

© 2002-2015 Gerrit Gertzmann, Jonas Haaf,  Faust-Gymnasium 79219 Staufen, Letzte Aktualisierung 16.09. 2015