- Material/Nachrichten:
|
- 1. Die
Verheißung (18.9.00)
- 2. Huhn
Britney (3.12.00)
- 3. Die
entgrenzte Kreatur (5.12.00)
- 4. Britisches
Gesetz zum therapeutischen Klonen (22.12.00)
|
- 5. Computer
lösen genetisches Puzzle (5.4.00)
-
6. Bundeskanzler: "Darf man töten?"
(12.1.00)
- 7. Exzerpt
zu Kollek
- (27.01.01)
- 8. Werner
Bartens (12.04.01)
|
- 9. Kanzler
beruft Ethikrat (03.05.01)
- 10. DFG
Stammzellenforschung (04.05.01)
- 11. Lord
Ralf Dahrendorf: "Gefragt - moralische Urteile"
(5.5.01)
|
Dr. Wilke: Scharfe
Kritik am Schwenk der DFG (21.06.01)
|
- 1. Einstiegstext: "Die
Verheißung"
- 18.09.2000
|
Aufgabe: Nach der Teambildung
Text in Stillarbeit studieren, dann im Team diskutieren,
Präsentation des Textes bis 10. Oktober vorbereiten
|
2.
Huhn
"Britney"
eingestellt von Simone
Wiesler
am 03.12.
2000
3. Leitartikel der
"Badischen Zeitung" dazu (Britney)
"Die
entgrenzte Kreatur" 05.12. 2000
mitgeteilt von M.
Seeger
|
London -
Das schottische Forschungsinstitut, das 1997 das geklonte Schaf
"Dolly" züchtete, hat nun ein gentechnisch
verändertes Huhn namens "Britney" geschaffen.
Die Eier sollen Proteine liefern, die ein wichtiges Protein im
Kampf gegen Krebs und andere Krankheiten liefern. Nach einem
Bericht der britischen Zeitung "Mail on Sunday" wurde
Henne Britney in zweijähriger Forschungsarbeit vom Roslin
Institute in Edinburgh und der US-Biotechnologiefirma Viragen
geschaffen.
Eier enthalten Proteine für
Krebsmedikamente
Durch eine Veränderung der Gene in der
Stammzelle werde erreicht, dass das Huhn Eier lege, in deren
Eiweiß sich bestimmte Proteinverbindungen befinden, berichtet
die "Mail on Sunday". Diese Proteine, die bislang nur
durch ein kompliziertes und teures Verfahren hergestellt werden
konnten, sollen in Medikamenten gegen Hautkrebs,
Gebärmutterkrebs und Brustkrebs eingesetzt werden.
Die Entwicklung wichtiger Medikamente
werde durch die Knappheit bestimmter Proteine behindert, so die
"Mail on Sunday". Jetzt könne jede gentechnisch
veränderte Henne etwa 250 Eier pro Jahr legen. Jedes Ei
enthalte etwa 100 Milligramm der gesuchten Proteine, die leicht
entnommen werden könnten. Zum ersten Mal sei es den Forschern
gelungen, ein Tier zu "konstruieren", das tatsächlich
Eier mit den benötigten Proteinen liefert.
Henne "Britney" soll nach
Angaben der "Mail on Sunday" am Mittwoch der
Weltöffentlichkeit vorgestellt werden. (AOL/dpa)
|
- 4. Pressemeldungen zur
britischen Gesetzesinitiative zum therapeutrischen Klonen
- 20./22. 12. 2000
mitgeteilt von Simone
Wiesler
Klonen:
Gefährliches Spiel
Merkel
fordert Kanzler-Nein zum Klonen
Das
Schaf Dolly
Klonen
als Therapie
Die
Technik des Klonens
|
-
- Das britische Unterhaus hat
mit großer Mehrheit für eine Gesetzesänderung gestimmt,
die das Klonen menschlicher Embryonen zu medizinischen
Zwecken erlaubt - falls auch das Oberhaus zustimmt, wäre
Großbritannien das erste europäische Land, in dem
menschliche Embryonen für Forschungszwecke geklont werden dürfen.
-
- Die Süddeutsche Zeitung mahnt
eindringlich zu einem hiesigen Verzicht der Nachahmung:
"In Deutschland tut man gut daran, am totalen
Klonverbot festzuhalten. Dringend geprüft werden muss aber
eine Lücke im Embryonenschutzgesetz: Demnach ist der Import
von Zellen erlaubt, die im Ausland aus geklonten Embryonen
erzeugt wurden. Gesundheitsministerin Andrea Fischer hat gut
daran getan, solche und andere Fragen bereits im Frühjahr
auf einem Kongress zur Vorbereitung eines
Fortpflanzungsmedizin-Gesetzes zur Diskussion zu stellen.
Schon bei dieser Debatte mussten Befürworter des Klonens
aber zu mehr Ehrlichkeit ermahnt werden: Es geht derzeit in
der Praxis nicht um Therapien für Kranke, sondern um
medizinische Grundlagenforschung. Der Begriff
„therapeutisches Klonen“ verschleiert dies, er sollte
durch „Klonen für die Forschung“ ersetzt werden. Und
wer tatsächlich bereits von Therapien mit Menschen-Klonen
träumt, muss offen zugeben: Für 100.000 Patienten bräuchte
er wahrscheinlich 100.000 Embryonen – und damit 100.000
Frauen, die eine Eizelle spenden. Ein bedenkliches
Opfer."
-
- Die Bild-Zeitung sieht in der
Entscheidung Englands bereits die Grundsteinlegung einer
Spaltung Europas: "Das britische Unterhaus hat jetzt
das Klonen erlaubt. Damit ist Europa gespalten. Denn in
anderen Ländern sind solche Experimente streng verboten –
wie bei uns. Die Folgen der Entscheidung von London kann
sich jeder ausmalen: Unheilbar Kranke, die mit Hilfe
geklonter Zellen zu heilen wären, werden sich über kurz
oder lang an englische Ärzte um Hilfe wenden, die ihnen
deutsche Ärzte nicht bieten könnten. Die ethischen
Bedenken, die vielen jetzt noch heilig sind, werden doch
wohl rascher verschwinden, als wir heute ahnen..."
-
- Die Hamburger Morgenpost wirft
Großbritannien indes wirtschaftlichen Antrieb für die
Entscheidung vor: "Dem Londoner Parlament geht es bei
der begrenzten Freigabe des Klonens nicht nur darum, kranken
Menschen besser zu helfen. Ebenso wichtig sind die
handfesten ökonomischen Vorteile. Denn internationale
Biotechnologie-Konzerne werden sich dort ansiedeln, wo ihnen
am wenigsten Schranken auferlegt werden. Dadurch lastet auf
Deutschland ein enormer Druck, das Gleiche zu tun.
Medizinische Forschung ist aller Ehren wert. Genauso wie der
Wunsch, damit gutes Geld zu verdienen. Aber dieses
wirtschaftliche Ziel darf weder der wichtigste Antrieb noch
der einzige sein. Dann nämlich bliebe schnell die Würde
des Menschen auf der Strecke. Und das Vertrauen in die
Wissenschaft sowieso."
-
- In der Frankenpost wird die
Entscheidung Englands als unwiderruflich eingestuft:
"Ein Blick auf die deutsche Rechtslage zeigt, wie
problematisch schon zarte Anfänge sein können. Bei uns ist
das Gewinnen embryonaler Stammzellen strikt verboten; die
Forschung an und mit solchen Zellen hingegen ist erlaubt.
Die ersten Förderanträge für Experimente mit aus den USA
importierten Embryonenzellen laufen bereits. Gebrochene Dämme
sind nicht zu flicken. Schon gar nicht, wenn ohne hindernde
Dämme richtig viel Geld zu verdienen ist. Das ist das
eigentlich Bedenkliche an der britischen
Unterhaus-Entscheidung: Sie schafft Fakten; sie ist nicht rückholbar.
Mögen noch so viele Bekundungen ethischen
Verantwortungsbewusstseins, noch so viele freiwillige
Selbstbeschränkungen formuliert werden: Die Konsequenz ist
unausweichlich. Wer einmal angefangen hat, Menschen zu
klonen, der macht auch weiter. Und dann?"
-
- Der Mannheimer Morgen fordert
eine klare Abgrenzung zum rein reproduktiven Klonen:
"Die Grenzen zwischen Fluch und Segen verlaufen auf
diesem revolutionären Feld allerdings sehr fein. Und sie
sind fließend. Erstmals sei es nun gesetzlich erlaubt, der
Schöpfung ins Handwerk zu pfuschen, sagen die Kritiker.
Dieser Einwand ist nicht von der Hand zu weisen. Doch schon
heute werden sogenannte überzählige Embryos, die bei der
Produktion von Retorten-Babys entstehen, vernichtet. Ohne
dass der Gesetzgeber bisher Grund zum Einschreiten sah.
Trotz aller Bedenken muss letztlich ein wichtiger Punkt
festgehalten werden. Die Abgrenzung zum reproduktiven Klonen
bleibt bestehen. Sie ist sogar schärfer gezogen worden als
jemals zuvor. Die Schöpfung eines kompletten Menschen ist
streng verboten. Man darf hoffen, dass das so bleibt. Nicht
alles, was möglich ist, muss auch geschehen. Garantien dafür
gibt es aber nicht."
-
-
-
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- Kommentar: Kein Leiden in der
Petrischale
- Klonen zu Forschungszwecken?
Stimmen Sie ab!
- AOL Wissen: Thearapeutisches
Klonen
-
- Berlin - In der Diskussion über
die Gentechnik hat die CDU-Vorsitzende Angela Merkel
Bundeskanzler Gerhard Schröder vorgeworfen, ihm fehle ein
"klares Wertegerüst". Es habe nichts mit
ideologischen Scheuklappen zu tun, Chancen und Risiken abzuwägen,
sagte Merkel der Tageszeitung "Die Welt".
-
- Schröder hatte sich in einem
Beitrag für die Zeitung "Die Woche" gegen solche
"ideologischen Scheuklappen und grundsätzliche
Verbote" in der Gentechnik ausgesprochen. Eine
Selbstbescheidung Deutschlands würde nur dazu führen, dass
importiert werde, "was bei uns verboten, aber in
unseren Nachbarländern erlaubt ist", so Schröder. Das
britische Parlament hatte am Dienstag ein Gesetz gebilligt,
nach dem bis zu 14 Tage alte Embryos für therapeutische
Zwecke geklont werden dürfen.
-
- Merkel forderte vom Kanzler
eine klare Aussage, "dass in Deutschland das Klonen von
Embryonen verboten ist und bleibt". Ein Ja zur
Forschung müsse eingebettet sein in ein ethisches
Fundament. Schröder äußere sich aber nur vage.
-
- Nach dem britischen Beschluss,
das Klonen zu erlauben, verlangte die Deutsche
Forschungsgemeinschaft, zunächst Alternativen zu prüfen.
Vor allem müsse untersucht werden, ob Stammzellen von
Erwachsenen den Einsatz embryonaler Stammzellen überflüssig
machen können. Sollte das nicht möglich sein, "muss
neu überlegt werden", stellte die
Forschungsgemeinschaft fest.
-
- Ein Sprecher des Verbandes
Forschender Arzneimittelhersteller sagte der "Kölnischen/Bonner
Rundschau", aus Respekt vor der Würde des Menschen
lehne die Organisation das Klonen ab. Langfristig befürchtet
der Verband jedoch auch Wettbewerbsnachteile gegenüber dem
Ausland. (AOL/dpa)
-
-
- Das wohl bekannteste Schaf der
Welt ist Dolly. Dolly wurde nicht in der Liebesnacht zweier
Eltern-Schafe gezeugt, Dolly wurde im Labor geklont. Es ist
damit vollständig identisch mit dem Schaf, dessen Erbmasse
für die Klonierung verwendet wurde.
-
- 1997 wurde Dolly
"produziert". Dazu entnahmen die Forscher einem
gesunden weiblichen Schaf eine Eizelle. Eine Eizelle enthält
in ihrem Zellkern normalerweise die vollständige
Erbsubstanz der Mutter. In diesem Fall wurde aber der
Zellkern samt Erbsubstanz - den Genen - aus der Eizelle
entfernt und statt dessen der Zellkern einer Hautzelle eines
anderen Schafes eingepflanzt.
-
- Der so künstlich hergestellte
Embryo wurde in die Gebärmutter des weiblichen Schafes
eingesetzt. Anders als bei einer künstlichen Befruchtung,
wo die Samenzellen des Mannes mit der Eizelle der Frau außerhalb
des Körpers verschmolzen werden und so eine gemeinsame
Erbsubstanz besitzen, besaß diese neue Eizelle also die
Erbsubstanz eines bereits existierenden Schafes.
-
- Von der ursprünglichen
"Mutter", welche die Eizelle "gespendet"
hatte, waren also überhaupt keine Erbinformationen mehr
vorhanden. Tatsächllich wuchs ein gesundes Schaf - Dolly -
heran, das vollständig identisch mit dem Schaf war, das
ursprünglich die Hautzelle gespendet hatte.
-
- Das Ungewöhnliche daran war:
Eine Hautzelle ist eine sehr spezialisierte Zelle ist, und
man hatte nicht erwartet, dass die Erbmasse dieser Zelle für
die Entwicklung eines kompletten Organismus ausreichen würde.
-
- Wenn also jede Zelle, die
gesamten Erbinformationen eines Organismus enthält, so könnte
man möglicherweise auch gezielt nur einen bestimmten Teil
dieses Organismus klonen. Das war die weitere Überlegung
und damit der Grundgedanke zum therapeutischen Klonen
gesetzt.
-
-
- Bei "therapeutisches
Klonen" denken die meisten Menschen gleich an die künstliche
Verdoppelung einer bereits existierenden Person. Diese
Erschaffung eines Menschen hieße aber "reproduktives
Klonen" und das ist zur Zeit gar nicht Gegenstand der
Diskussion.
-
- Therapeutisches Klonen will,
kurz gesagt, ein "Ersatzteillager" für kranke
menschliche Gewebe und Organe schaffen. Gewebe und Organe,
die zur Zeit noch von anderen Menschen gespendet und
transplantiert werden müssen - zum Beispiel bei einem
Nierenversagen - könnten aus der Erbinformation des
erkrankten Menschen gezüchtet werden. Dieser Patient könnte
dann seine eigene "nachgezüchtete" Niere
erhalten.
-
- Diese Methode hätte den
enormen Vorteil, dass die Gewebe nicht wie bisher als
Fremdgewebe abgestoßen würden. Die vielen Menschen, die während
der Wartezeit auf einen passenden Organspender versterben, könnten
überleben.
-
- Außerdem sind Behandlungsmöglilchkeiten
vorstellbar, an die zur Zeit niemand einen Gedanken
verschwenden würde. Krankheiten wie Alzheimer, Diabetes
oder Querschnittslähmungen könnten möglicherweise geheilt
werden.
-
- Kritiker halten das
therapeutische Klonen für ethisch nicht vertretbar, weil für
dieses Ersatzteillager menschliche Embryonen verwendet würden,
also menschliches Leben vernichtet werde. Außerdem sei der
Nutzen immer noch fragwürdig.
-
- Die Erfolge des
therapeutischen Klonens werden aber immer deutlicher. Erst
vor einiger Zeit gelang es Forschern, in Mäusen Muskel- und
Nervenzellen nachwachsen zu lassen.
-
-
-
- Beim therapeutischen Klonen
wird aus einer menschlichen Eizelle der Zellkern mit den
enthaltenen Erbinformationenen entfernt. Diese Eizelle
stammt von einer beliebigen Frau. Sie muss mit dem Menschen,
der behandelt werden soll, nicht verwandt sein. Anschließend
wird der Zellkern zum Beispiel von einer Hautzelle des
erkrankten Patienten in diese Eizelle implantiert.
-
- Die neu entstandene Eizelle
wird im Labor zur Teilung angeregt. Es entsteht daraus ein
Embryo, der mit dem Spender der Hautzelle genetisch
identisch ist. Würde dieser Embryo weiter heranwachsen,
entstünde hieraus ein "Duplikat" des kranken
Patieten.
-
- Beim therapeutischen Klonen
wird dieser Vorgang aber unterbrochen und nur einige
Stammzellen aus dem Embryo entnommen, die sich dann zu
verschiedenen Gewebetypen weiter entwickeln können. Auf
diese Weise könnte gezielt ein spezielles Organ wie die
Niere gezüchtet werden.
-
- Da dieses Organ dem des
erkrankten Menschen genetisch entspricht, ist mit einer
Unverträglichkeit bei der folgenden Transplatation nicht zu
rechnen. Ob aber tatsächlich nur ein bestimmtes Gewebe gezüchtet
werden kann, ist bislang noch nicht sicher.
- weitere
Infos:
-
- http://www.storyfinder.de/cgi-bin/storyfinder.pl?suche=klonen
|
5. mitgeteilt von M.
Seeger
FAZ.NET - F.A.Z. Aktuelle Ausgabe Dossiers Gentechnik
|
Bioinformatik von Universitäten und
Industrie gefördert / Großer Mangel an Fachkräften
Die Genomforschung stellt die
Wissenschaftler vor eine Herausforderung besonderer Art. Täglich
werden riesige Datenmengen gewonnen, vor allem über die
Bausteinfolge, die DNS-Sequenz von Erbmolekülen. Es gilt, die
in den Sequenzdaten verborgenen Informationen wie einen Schatz
zu heben und ihren biologischen Sinn zu entschlüsseln. Diese
Informationsflut zu bewältigen fällt indessen schwer. Ein
noch recht neuer Wissenschaftszweig, die Bioinformatik, spielt
hierbei eine Schlüsselrolle. Mit ihrer Hilfe versuchen die
Genomforscher in der Bausteinfolge von Erbmolekülen Gene zu
identifizieren und die Funktion der entsprechenden Proteine zu
bestimmen. Letztlich wollen sie das Zusammenwirken sämtlicher
Biomoleküle in gesunden und kranken Zellen verstehen.
Computergestützte Analysen haben den Molekularbiologen und
Genomforschern bereits in den vergangenen Jahren bei der Suche
nach Genen und deren Funktion wertvolle Hilfe geleistet. Die
riesige Datenfülle ist zunächst sinnvoll zu strukturieren,
um sie leichter analysieren zu können. Mit speziellen
Suchprogrammen lassen sich Gene in den monoton erscheinenden
Genomsequenzen anhand charakteristischer Muster finden. Andere
Programme dienen dazu, aus einer Gensequenz die Aminosäurereihenfolge
des entsprechenden Proteinproduktes abzuleiten. Aus den
Strukturelementen bekannter Proteine versucht man schließlich,
auf die mögliche Funktion eines bislang unbekannten Eiweißmoleküls
zu schließen. Nicht zuletzt geht es darum, sämtliche in
einer Zelle gebildeten Proteine zu erfassen. Auf diese Weise
lassen sich Unterschiede etwa zwischen einer gesunden Zelle
und einer Krebszelle erkennen. Auch für die Analyse
resistenter Bakterien oder besonders gefährlicher
Erreger-Varianten ist die Bioinformatik von großem Wert.
Die Verfahren der Bioinformatik sind noch nicht völlig
ausgereift. So hat sich bei dem kleinen Fadenwurm
Caenorhabditis elegans, dessen Erbgut unlängst vollständig
entziffert wurde, gezeigt, dass nur etwa jedes zweite anhand
der Erbgutsequenz bestimmte Protein völlig korrekt
vorhergesagt war. Manche waren zu groß, andere zu klein, oder
es handelte sich in Wirklichkeit um zwei Eiweißmoleküle. Mit
den besten bislang zur Verfügung stehenden Suchprogrammen
lassen sich die in eine Folge von Aminosäuren übersetzten
Genabschnitte, die so genannten Exons, meist gut erkennen.
Ganz zuverlässig ist der Suchvorgang aber noch nicht.
Bereiche, die der Steuerung von Erbanlagen dienen, sind
bislang nur schwer zu finden. Man kennt noch zu wenige
charakteristische Strukturelemente dieser Genomabschnitte.
Erforderlich ist unter anderem eine noch leistungsfähigere
Software. Auch neue Algorithmen sind zu entwickeln, die Daten
unter völlig neuen Gesichtspunkten analysieren. So haben
Genomforscher unlängst damit begonnen, anhand von Ähnlichkeiten
in Stoffwechselwegen bestimmten Genprodukten eine
physiologische Rolle zuzuschreiben. In den Vereinigten
Staaten, in Europa und in Japan sind zentrale Datenbanken für
Gene entstanden, die seit vielen Jahren sämtliche veröffentlichten
Sequenzen sammeln. Das Europäische Molekularbiologische
Laboratorium (EMBL) in Heidelberg hat seine Genbank vor
einigen Jahren nach Hinxton in der Nähe von Cambridge/England
in ein eigens dafür geschaffenes Zentrum verlagert. Die Europäische
Union hatte im vergangenen Herbst beschlossen, dieses für die
gesamte europäische Genomforschung wichtige Europäische
Bioinformatik-Institut nicht länger zu finanzieren. Die
Schließung des Instituts würde einen Zusammenbruch unzähliger
biomedizinischer Forschungsaktivitäten zur Folge haben.
Inzwischen ist Fotis Kafatos, der Leiter des EMBL, indessen
wieder etwas optimistischer, dass die Forschungseinrichtung
letztlich doch erhalten wird.
Außer den zentralen Datenbanken sind an Universitäten,
akademischen Forschungsinstituten und in der Industrie
zahlreiche spezialisierte Datenbanken zum Sammeln von
Gensequenzen des Menschen, von Viren, Bakterien, Pflanzen und
Tieren entstanden. Laufend entstehen weitere kleinere
Datenbanken. Nicht zuletzt gibt es auch Datenbanken speziell für
Proteine. Hierzu gehören das aus dem Max-Planck-Institut für
Biochemie in Martinsried ausgegliederte Martinsrieder Institut
für Proteinsequenz sowie die Datenbank Swissprot in der
Schweiz.
Angesichts der ständig wachsenden Datenfülle steigt die
Nachfrage nach Bioinformatikern immer weiter. Alle Zentren,
die sich wie das Max-Planck-Institut für mole-
Fortsetzung auf der folgenden Seite
kulare Genetik in Berlin, das Max-Delbrück-Centrum für
Molekulare Medizin, das Ressourcenzentrum des Deutschen
Humangenomprojektes und viele andere mit Genomforschung
befassen, sind derzeit dabei, spezielle Abteilungen für
Bioinformatik einzurichten. Am Deutschen
Krebsforschungszentrum Heidelberg besteht eine solche
Abteilung schon seit mehreren Jahren. Doch der Nachwuchs an
solchen Fachkräften ist rar. Sogar renommierte Institute wie
das Martinsrieder Institut für Proteinsequenzen klagen über
Nachwuchssorgen. Sobald die jungen Wissenschaftler Erfahrungen
gesammelt haben, wandern sie in die Pharmaindustrie ab. Sie
werden dort deutlich besser bezahlt.
Um dem Defizit zu begegnen und die Weiterentwicklung der
Bioinformatik an den Universitäten zu fördern, hat die
Deutsche Forschungsgemeinschaft im vergangenen Jahr eine
Initiative Bioinformatik ins Leben gerufen. Sie hat für
diesen Zweck fünfzig Millionen Mark für einen Zeitraum von fünf
Jahren zur Verfügung gestellt. Bislang haben sich meist
Molekularbiologen mit einem Hang für die Arbeit am Computer
in diese Richtung spezialisiert. Viele Biologen bringen aber,
was die Informatik betrifft, nicht die richtigen
Voraussetzungen mit. Den klassischen Informatikern fällt es
hingegen meist schwer, die Probleme der Biologen zu verstehen.
Man hofft daher, mit einer neuen Generation speziell
ausgebildeter Bioinformatiker die Lücke zu schließen.
An vielen deutschen Universitäten versucht man außerdem, die
Bioinformatik als Studienfach zu etablieren. An der Universität
Bielefeld gibt es einen solchen Studiengang schon seit zehn
Jahren. Seit kurzem kann man Bioinformatik auch in Freiburg, Tübingen
und Halle studieren. Fast ein Dutzend weiterer Universitäten
ist auf dem Wege, ebenfalls einen Studiengang Bioinformatik
anzubieten, so zum Beispiel in Berlin, Frankfurt am Main, Gießen
und Leipzig. In Gießen wird als Erstes die Fachhochschule
einen solchen Studiengang anbieten, später auch die Universität.
Die Besetzung der Stellen bereitet jedoch aus Mangel an Fachkräften
erhebliche Schwierigkeiten.
Die Pharmaindustrie hat ebenso große Pläne. Die
Bioinformatiker sollen im Erbgut des Menschen möglichst
schnell Gene identifizieren, die sich an bestimmten
Krankheitsprozessen beteiligen. Die Proteinprodukte dieser
Erbanlagen will man als Zielstrukturen für die Entwicklung
neuer Medikamente nutzen. Die Firmen Motorola und IBM haben
sich unlängst einem internationalen Konsortium von zwölf großen
Pharmafirmen angeschlossen, um gemeinsam die Funktion
menschlicher Gene zu entschlüsseln. IBM will unter anderem
hundert Millionen Dollar speziell für die Strukturanalyse von
Proteinen bereitstellen. Die Firma will einen neuen
Supercomputer bauen, der bei den Proteinen funktionsbezogene
Strukturelemente identifizieren kann. Manche junge
Biotechnologiefirmen wie "Lion Bioscience" in
Heidelberg haben sich ganz darauf spezialisiert, Bioinformatik
als ein Produkt zu liefern. Sie bieten die Suche nach
krankheitsrelevanten Genen Pharmafirmen als Dienstleistung an.
Außerdem entwickeln sie neue Computerprogramme für die Suche
nach den Genen und ihrer Funktion.
Die biologische Forschung unternimmt nun mit dieser Art
Genomforschung den Versuch, die vielen in einer Zelle
ablaufenden Reaktionen ganzheitlich zu erfassen. Rund ein
Jahrhundert lang war es vor allem ihr Ziel gewesen, die
Prinzipien von Lebensvorgängen zu verstehen. Man beschränkte
sie sich auf die Analyse einzelner Teilschritte wie der
Wirkungsweise von Enzymen oder das Speichern genetischer
Information. Die Bioinformatik bietet jetzt die Chance, die
verwirrende Fülle von Einzelvorgängen zu einem komplexen
Bild zusammenzufügen.
BARBARA HOBOM
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6. 12.01.00 mitgeteilt von
M. Seeger
FAZ.NET - F.A.Z. Aktuelle Ausgabe Feuilleton
|
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Die Moral des Bundeskanzlers
"Darf man töten, um . . .?"
- Was der Bundeskanzler antwortet
In der neuen Ausgabe der Zeitschrift "Stern"
gibt Gerhard Schröder ein großes programmatisches
Interview zu nahezu sämtlichen Feldern der aktuellen
Politik. Daß er das gesellschaftspolitische
Zukunftsthema Nummer eins, die Gentechnologie, dort nur
mit einigen wenigen Sätzen behandelt, erstaunt
angesichts der Ausführlichkeit, mit der er sich zu
anderen, eher tagesaktuellen Themen einläßt. Was auf
den ersten Blick als bloßer Proportionsfehler ins Auge
springt, enthüllt sich als kunstvoll eingesetzte
Diskursstrategie, sobald man dann liest, was Schröder
sagt. Hier ist auf engstem Raum ein Lehrstück über das
Verhältnis von Politik, Ökonomie und Moral zu
besichtigen, wie es sich so konzentriert sonst selten
findet.
Zunächst: Man muß dem Bundeskanzler dankbar sein, daß
er die jetzt wieder allenthalben gestellte Frage "Dürfen
wir, was wir können?" einmal offen als das
beschreibt, was sie im Prozeß der politischen
Entscheidungsfindung in aller Regel eigentlich ist: eine
bloße Alibifrage, die nun einmal irgendeiner stellen muß,
damit sie gestellt ist, um sie hernach um so problembewußter
mit einem in tausend Abwägungen gereiften
"Ja" beantworten zu können. Um Abwägungen
geht es bei der Steuerung der biotechnologischen
Revolution in der Tat, will man die therapeutischen
Chancen nicht von vornherein als "Teufelszeug"
verwerfen und einfach die alten Fronten neu eröffnen,
wie sie die großen moralischen Debatten der
Bundesrepublik - Stichwort: Atomenergie -
kennzeichneten: Einer moralischen Komplettverweigerung,
die Ignoranz für Tugend ausgibt, steht die Berufung auf
ein höheres ökonomisches Bewußtsein gegenüber, das
jeden Einwand mit der Fortschrittskeule zu
diskreditieren sucht. Will man sich nicht erneut in
diese Frontstellung hereinmanövrieren, konzentriert
sich alles auf die Frage, welche Parameter im Prozeß
der Abwägung zugelassen sein sollen und welche nicht,
und eben hier hat Schröder Klartext geredet: Der
Bundeskanzler läßt nur Einwände zu, die zwar die
Alibifunktion erfüllen, den technologischen Durchmarsch
aber im Ernst nicht in Frage stellen.
Es kann nun einmal kein Zweifel bestehen, daß im
Zentrum aller gentechnologischen Spezialdebatten - sei
es die um Präimplantationsdiagnostik oder ums
therapeutische Klonen - die Frage nach dem Status des
menschlichen Embryos steht. Hier hat man sich, von der
jahrelangen Abtreibungsdebatte erschöpft, an eine
verlogene Sprachregelung der Doppelmoral gewöhnt, die
die Republik "Skandal" rufen läßt, wenn ein
James Watson im Feuilleton dieser Zeitung seine
eugenischen Thesen publiziert, aber im gleichen Atemzug
die Vernichtung sogenannter überzähliger Embryonen für
durchaus erwägenswert erachtet, wenn sich dafür nur
ein guter Zweck angeben läßt. Die faktische
Doppelmoral ist in dieser Frage auch gesetzgeberisch so
etabliert, daß sie die Kategorie der Moral selbst
verdorben hat: Eine moralische Argumentationsfigur kann
hier nur noch als Witzfigur wahrgenommen werden. Daß es
so ist, daß man lieber bereit ist, die Moral selbst außer
Kraft zu setzen, als die von den Dächern gepfiffene
Doppelmoral für Moral zu halten, mag man andererseits
auch wieder als Hinweis auf eine gewisse Unverwüstlichkeit
des moralischen Wissens lesen. In diesem Sinne glaubt
der Bundeskanzler leichtes Spiel zu haben, wenn er die
im Zusammenhang mit dem therapeutischen Klonen gestellte
Frage der "Stern"-Redakteure: "Darf man töten,
um . . .?" einfach brüsk unterbricht und sich jede
begriffliche Klärung in dieser Sache mit dem Satz
verbittet: "Ich würde bitten, bei diesem
schwierigen Gebiet von so plakativen Begriffen
wegzukommen." Daß Schröder glaubt, Klarheit als
Plakativität diffamieren zu können, ist nur möglich,
weil er an einen Status von Moral anknüpft, den ernst
zu nehmen er nicht für nötig hält. So kommt es zu der
Gleichsetzung von Moral mit "hehrer" Moral, zu
der Abkanzlung jedes noch so verfassungsgestützten
Einwandes mit einem einzigen naßforschen Satz:
"Ich verstehe die Kritik derer, die mir jetzt mit
hehrer Moral kommen, nicht."
Ein Satz, der Schröder in der Tat als Kanzler des
gesunden Menschenverstandes ausweist, eines Verstandes
freilich, der mit der Rhetorik der reinen Vernünftigkeit
jede Frage nach Recht und Ethos als "ideologische
Scheuklappe" abtut. Nun setzen wir uns doch alle
mal an einen Tisch und seien ehrlich - so etwa scheint
es der Kanzler zu meinen, wenn er an die Evidenz eines
neuen Common sense appelliert, an "eine vernünftige
Balance zwischen der ökonomischen Nutzbarkeit und der
ethischen Verantwortbarkeit". Daß die Frage nach
der ethischen Verantwortbarkeit gegebenenfalls die Frage
nach unbedingten Unterlassungsgeboten einschließt, dafür
ist in Schröders Konzeption von Rationalität kein
Platz, welche mit Vernunft stets nur den ökonomischen
Kompromiß zu meinen scheint und jeder Frage nach
weitergehenden Prioritäten ein Papperlapapp entgegenhält.
Was für ein Verfassungsverständnis offenbart ein
Kanzler, der die umständliche ethische Debatte über
Leben und Tod dadurch beenden will, daß er ganz im Stil
des neunzehnten Jahrhunderts die Gefahr eines "Bündnisses
zwischen Fortschrittsfeindlichkeit und konservativem
Fundamentalismus" an die Wand malt. Dabei geht es
wohlgemerkt nicht nur um nationale Fragen, es geht
bereits um internationale Fragen der Biopolitik: Kerstin
Holm beschreibt im heutigen Feuilleton die Situation in
Rußland, der der Westen nur mit normenfester und
aufgeklärter Politik begegnen kann. Schröder sitzt
nicht mehr in Hannover.
CHRISTIAN GEYER
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9. Politik mitgeteilt von
M.
Seeger
Experten
sollen Regierung in Fragen der Gentechnik beraten
Kanzler
beruft Ethikrat
BERLIN (dpa).
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat am Mittwoch erstmals
einen „Nationalen Ethikrat“ berufen. Das Expertengremium
soll sich mit moralischen Fragen und Grenzen bei der Bio- und
Gentechnik beschäftigen. Dazu hat Schröder namhafte
Wissenschaftler verschiedener Disziplinen und Repräsentanten
des öffentlichen Lebens, wie Vertreter der Kirchen,
Gewerkschaften und einer Behinderten-Selbsthilfegruppe
ausgesucht. Der auf persönliche Initiative des Kanzlers
eingesetzte Expertenkreis soll Bundesregierung und Parlament
beraten und „auch Einfluss nehmen auf konkrete politische
Entscheidungen“. Aktueller Auslöser der Gründung ist die
derzeit in der rot-grünen Bundesregierung und in allen
deutschen Parteien kontrovers diskutierte Frage moralischer
Grenzen bei der Stammzellenforschung, beim Klonen und bei
Gentests von Embryos zur Vermeidung schwerer Erbkrankheiten.
|
10. Politik
mitgeteilt von
M.
Seeger
Deutsche
Forschungsgemeinschaft für neue Regeln
Forschung
an Embryonen?
BONN (dpa/KNA).
Deutsche Wissenschaftler dürfen nach Meinung der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) embryonale Stammzellen aus dem
Ausland importieren und damit arbeiten. Es gebe keine
Rechtfertigung dafür, die Forschung mit legal im Ausland
hergestellten embryonalen Stammzellen grundsätzlich auszuschließen,
hieß es in einer am Donnerstagabend in Bonn veröffentlichten
Mitteilung. Falls erforderlich solle der Gesetzgeber sogar überlegen,
Wissenschaftler in Deutschland „aktiv an der Gewinnung von
menschlichen embryonalen Stammzelllinien“ arbeiten zu lassen.
Dies bedeute eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes. Die DFG
gibt jedoch weiterhin der Forschung mit Stammzellen von
Erwachsenen den Vorrang.
Die DFG berät Regierung und Bundestag in wissenschaftlichen
Fragen. Ihre Entscheidung bedeutet einen Kurswechsel: In einer
Erklärung von 1999 hatte die Forschungsgemeinschaft die Nutzung
embryonaler Stammzellen als gegenwärtig nicht notwendig
bezeichnet. Sie hatte dabei auf alternative Möglichkeiten bei
der Gewinnung menschlicher Stammzellen verwiesen, beispielsweise
aus Nabelschnurblut oder aus den Körpern bereits geborener
Menschen. Außerdem verbiete das Embryonenschutzgesetz alle
fremdnützige Forschung an menschlichen Embryonen.
Unterdessen hat sich Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD)
erneut in die Debatte um Genforschung am ungeborenen Leben
eingeschaltet. Er halte das Embryonenschutzgesetz von 1990 für
ein „gutes Gesetz“, sagte er der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung
. Es gebe allen Grund „es zunächst
einmal so zu belassen, wie es ist“.
|
11. Politik
mitgeteilt von
M.
Seeger
5.
Mai 2001 Badische Zeitung |
Von Lord
Ralf Dahrendorf
LEITARTIKEL
Gefragt:
moralische Urteile
Schwierige Fragen,
die Entscheidungen von moralischer Verbindlichkeit verlangen,
hat es immer schon gegeben. In den vergangenen Jahrzehnten gehörte
dazu vor allem die der Abtreibung. Neuerdings auch die
Sterbehilfe. Hier wird deutlich, dass es in modernen
Gesellschaften weder einen Konsens in ethischen Dingen gibt noch
eine Institution, deren Haltung bestimmende Kraft hat. Die
entstehende Verlegenheit fordert „moderne“, also säkularisierte
und eher anomische Gesellschaften heraus und wird das auch in
Zukunft tun.
Nun ist indes zu solchen Herausforderungen eine weitere
hinzugekommen. Sie wird an der Verwendung von Embryos zur
Erforschung und möglicherweise Heilung zerstörerischer
Krankheiten besonders deutlich, ist jedoch nicht auf diese
beschränkt. Dürfen wir alles tun, was wir tun können? Das ist
noch die einfachste Frage. Komplizierter wird es, wenn es darum
geht, das explosive Gemisch von wissenschaftlich Möglichem,
kommerziell Interessantem, politisch Durchsetzbarem und
moralisch Akzeptablem zu entschärfen, und so zu einem vernünftigen
Entscheidungsprozess zu kommen.
Auf den ersten Blick gibt es zwei Wege, um Entscheidungen über
solche Fragen von großer Tragweite zu treffen. Der eine ist der
demokratische Weg, also die Entscheidung durch Mehrheiten gewählter
Parlamente. Dieses Prinzip ist so wichtig, dass man nicht
leichten Herzens von ihm abgehen sollte. Es hat aber in den
fraglichen Fällen zwei Schwächen. Die eine ist, dass
politische Mehrheiten unzulänglich scheinen, wenn es um Fragen
von ethischer Tragweite geht. Die andere Schwäche ist, dass das
große Prinzip des Parlamentarismus, das Urteil des gesunden
Menschenverstandes, hier nicht mehr zureicht. Die Frage (zum
Beispiel), ob durch intensivere Erforschung so genannter adulter
Stammzellen die Verwendung von Embryos überflüssig werden
kann, ist keine Frage für die normale Urteilskraft aller Bürger.
Der andere Weg zur Entscheidung führt über die Gerichte. Er
ist vor allem in Deutschland, aber auch in den Vereinigten
Staaten gängig. Doch lässt sich nicht alles in plausibler
Weise auf einen Verfassungstext zurückführen, dem die
spezifische Mischung von wissenschaftlichen, kommerziellen,
politischen und ethischen Fragestellungen, um die es geht,
durchaus fremd war. Verfassungsrecht wird dann also Richterrecht
– und warum sollten gerade Richter berufen sein, für die
ganze Gesellschaft verbindliche moralische Urteile zu fällen?
In dieser Lage scheint es durchaus plausibel, zwischen Parlament
und (Verfassungs-)Gericht eine andere Instanz zu schieben, zum
Beispiel einen Ethikrat. Jedenfalls ist dies plausibel, wenn
mindestens drei Bedingungen erfüllt sind: (1) Der Rat ist dem
gewählten Parlament verantwortlich; er führt gewissermaßen
die anders nicht mögliche, aber nötige Debatte über komplexe
Themen. (2) Der Rat muss angehört werden; es gibt also
Verfahren (wie etwa beim Sachverständigenrat der Ökonomen), um
seine Erwägungen vor die Entscheidungsinstanzen zu bringen. (3)
Der Rat ist so zusammengesetzt, dass die Mehrzahl nicht nur von
Meinungen, sondern auch von Interessen erkennbar repräsentiert
ist, aber die Methode der unabhängigen Untersuchung und Erörterung
von Fragen von allen akzeptiert wird.
Der von Bundeskanzler Schröder eingesetzte Ethikrat erfüllt
diese Bedingungen nur teilweise. Das ist bedauerlich, aber
vermutlich nicht irreparabel. Frankreich hat schon seit längerem
eine ähnliche Institution. In Großbritannien hat ein Ausschuss
des House of Lords jedenfalls für die Stammzellenforschung die
Aufgabe übernommen. Als Mitglied dieses Ausschusses bin ich
gewiss Partei; doch zeigt sich hier ein ernanntes Parlament mit
vielfältiger Expertise von seiner besten Seite. Wahrscheinlich
müssen wir noch etwas experimentieren bevor wir eine
befriedigende Lösung finden; aber so viel bleibt richtig, dass
die klassischen Institutionen von Demokratie und Rechtsstaat bei
komplexen Entscheidungen von großer ethischer Tragweite nicht
zureichen.
|
Dr.
Dietrich V. Wilke per E-Mail am 21.06.2001
Gesellschaft am Scheideweg: Die Instrumentalisierung
menschlichen Lebens durch die Empfehlungen der Deutschen
Forschungsgemeinschaft - DFG - zurStammzellenforschung
Empfehlungen fordern eine sorgsame Prüfung besonders dann
heraus, wenn sie
schon qua Absender den Eindruck erwecken, mit dem hehren Anspruch
wissenschaftlicher Güte erarbeitet worden zu sein.
Die DFG hat als einflussreicher Repräsentant der deutschen Wissenschaft für
deren Forschungsethik die Postulate des 'Lege artis' und des gehörigen
Selbstzweifels kodifiziert. So erwartet man von ihr selbst deren Befolgung
umso mehr, wenn es um so etwas Fundamentales wie das Menschenbild geht,
das
letztlich hinter allen ethischen Fragen an die Stammzellenforschung steht.
In ihren Empfehlungen spricht sich die DFG für die verbrauchende
Forschung
an importierten Stammzellen sowie die Gewinnung embryonaler Stammzellen
aus
'überzähligen', 'totgeweihten' Embryonen aus. Sie knüpft große
Hoffnungen an
die Stammzellenforschung insbesondere zur Heilung bisher unheilbarer
Krankheiten. Neben einer Reihe vager therapeutischer und überzogener
Erwartungen, vor denen neben anderen international renommierten
Biowissenschaftlern der DFG-Präsident selber warnt, ist in einer mehr und
mehr utilitaristisch orientierten Erfolgs- und Leistungsgesellschaft, die
danach trachtet, sich im 'Menschenmachen' einen neuen lukrativen
Zukunftsmarkt zu erschließen, ein großes Missbrauchs-Potential
gentherapeutischer Eingriffe zu erahnen, für das auch die embryonale
Stammzellenforschung als Türöffner genutzt werden kann.
Die DFG hebt in ihren Begründungen - den Diskurs ethischer
Fragestellungen
in ein Hintergrund-Kapitel stellend - ausschließlich auf die existierende
positive Rechtslage in Deutschland ab, in der durch das
Embryonenschutzgesetz der Import pluripotenter Stammzellen - also der
Zellen, die für die Züchtung bestimmter Organgewebe erforderlich sind -
nicht geregelt ist. Von blindem Forschungsinteresse geleitet, unterläßt
sie
es, nach dem potentiellen Willen des Gesetzgebers zu fragen, hätte er den
heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand gehabt, und kommt zu dem Schluß,
dass der Import pluripotenter Stammzellen unter bestimmten Bedingungen aus
dem Ausland rechtlich auch dann erlaubt sei, wenn dadurch Embryonen
außerhalb des deutschen Rechtsraumes vernichtet werden. Indem sie die
Forschung an den so entnommenen Stammzellen empfiehlt, gibt die DFG der
Vernichtung menschlichen Lebens für Forschungszwecke ex post ihr
wissenschaftsethisches Plazet.
Der Gesetzgeber hat sich im Embryonenschutzgesetz von 1990 mit den sog.
'überzähligen' bzw. 'totgeweihten' Embryonen, nicht befasst, die bei der
künstlichen Befruchtung dann anfallen, wenn das betreffende Paar seine
Reimplantation in die Gebärmutter nicht mehr will oder sie durch den
zwischenzeitlichen Tod bzw. eine Erkrankung der Mutter nicht mehr möglich
oder mit einem Risiko behaftet ist. Die dadurch entstandene Rechtslücke
ist
um so bedauerlicher, als dass der Gesetzgeber diese potentielle
Konfliktlage
trotz der Auflage, dass nur so viele Embryonen 'hergestellt' werden dürfen,
wie unmittelbar zur Implantation kommen, hätte bei Verabschiedung des
Gesetzes erkennen können. Der Bundestag hat mit seiner Zustimmung zu
dieser
Lücke der Medizin und der Gesellschaft ein ethisch schwerwiegendes
Dilemma
überantwortet, für das aus Anlass der Stammzellenforschung nun eine mit
dem
Grundgesetz zu vereinbarende Lösung gefunden werden muss.
Dieses rechtliche Vakuum versucht nun die DFG-Stellungnahme zu nutzen, um
der Stammzellenforschung ein menschliches Forschungsreservoir zu eröffnen,
indem sie für diese Embryonen, die offiziell auf 150 geschätzt werden,
den
verfassungsmäßigen Rechtsanspruch auf Achtung der Menschenwürde in
Frage
stellt, weil ihnen keine Lebenszukunft gegeben sei. Man kann nach allen
Erfahrungen medizinischer Praxis von einer vielfach höheren Dunkelziffer
ausgehen, wenngleich die Quantität für den prinzipiellen ethischen
Diskurs
ohne Belang ist.
Recht ist eine zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine bestimmte Region
kodifizierte Ethik oder - wie es auch genannt wird - 'geronnene' Ethik.
Ethik läßt sich im Unterschied zu Gesetzen und Rechtsprechung nicht von
nationaler Grenzziehung aufhalten, wie es die DFG in ihrer Stellungnahme für
die deutsche Forschung reklamiert. Bundespräsident Rau hat in seiner Rede
vom 18. 5. 2001 festgestellt, dass es in fundamentalen ethischen Fragen
"keine Geografie des Erlaubten oder des Unerlaubten" gibt. Die
DFG aber
rechtfertigt den Verbrauch von embryonalen Stammzellen aus dem Respekt vor
den abweichenden Rechtslagen anderer Länder, die "nicht per se anstößig
sind" und leitet daraus ab, dass "Handlungen im Ausland,
abgesehen von
jenen Fällen weltweit geächteten Unrechts, an den jeweils dort geltenden
Rechtsvorstellungen zu messen" seien. Konkret: Es geht um den Respekt
vor
den Rechtssystemen der USA, Israels, Russlands, Englands und ..., die es
zulassen, dass Embryonen für die Forschung vernichtet werden.
Da die Bedingung der DFG, den Import von embryonalen Stammzellen auf
'überzählige' Embryonen zu beschränken, in der Praxis nicht
kontrollierbar
ist, muss davon ausgegangen werden, dass auch speziell für den
Forschungsverbrauch 'hergestellte' Embryonen verwendet werden. Von dem
prinzipiellen DFG-Postulat, ausländisches Recht zu respektieren, wird von
ihr 'weltweit geächtetes Unrecht' ausgenommen. Wer aber entscheidet darüber,
was 'weltweit geächtetes Unrecht' ist? Der DFG-Senat etwa? Dann muss er
sich
fragen lassen, warum das, was die katholische Kirche mit ihrer eine
Milliarde Mitgliedern weltweit als Unrecht ächtet, wie zum Beispiel die
Preisgabe des Schutzes ungeborenen Lebens, nicht darunter zu fassen ist.
Die DFG gibt an dieser Stelle jede ethische Argumentation auf, um über
eine
Lücke in der deutschen Rechtslage den Zielen der embryonlaen
Stammzellenforschung zur Realisierung zu verhelfen und ist sich nicht zu
schade, dafür rechtliche Schlupflöcher auszunutzen, statt sich aus der
Enge
der 'geronnenen' Vorschriften in die diskursive Weite
wissenschaftsethischer
Verantwortung zu begeben. Selbst rechtlich ist die DFG-Empfehlung,
Stammzellen zu importieren, über einen Analogieschluss aus den aufgeführten
Tatbeständen, die dem Schutz des Embryos zuwiderlaufen, zu beanstanden,
wissenschaftsethisch erscheint sie unverantwortlich.
Für den DFG-Präsidenten Prof. Winnacker, der noch vor einem Jahr die
Auffassung vertreten hat, dass man einen potentiellen Menschen nicht für
die
Produktion von Stammzellen opfern und damit zur Sache degradieren dürfe,
ist
der eigentliche ethische Dammbruch durch bestimmte Verfahren der
Schwangerschaftsverhütung, die Abtreibungsrealität wie auch durch die
Praxis
der künstlichen In vitro-Befruchtung, die 'überflüssige' Embryonen zur
Folge
hat, sowie durch die selektierende Pränatal-Diagnostik in unserer
Gesellschaft längst Realität. Die embryonale Stammzellenforschung, die
im
Dienste der Gesundheit erfolgen soll und nur jene Embryonen verwendet,
denen
ohnehin eine Lebenszukunft verschlossen ist, hält die DFG-Stellungnahme
nicht nur für ethisch unbedenklich sondern gar für empfehlenswert. Es
entbehrt jeder rationalen Nachvollziehbarkeit, wie Forschungsfortschritte
dafür sorgen können sollen, dass menschliches Leben zu einer Sache bzw.
-
wie es andere tun - zu einem 'Zellhaufen' degradiert wird. Im Übrigen ist
es
argumentativ unzulässig, aus einer ethisch verwerflichen Prämisse eine
ethisch unbedenkliche Folge abzuleiten, ohne den Stellenwert der Prämisse
selbst ethisch abzuwägen.
In der Begründung für die 'verbrauchende Embryonenforschung' wird ihr
Beitrag zur Heilung Schwerstkranker angeführt. Jede ethisch unzweifelhaft
gebotene Hilfe für Schwerstkranke darf jedoch nie die fundamentalethische
Frage nach dem embryonalen Lebensrecht relativierend in den Hintergrund
der
mit der Vernichtung avisierten therapeutischen Heilshoffnungen verdrängen.
Weil dieses Recht existentiell ist, hat es primäre unbedingte Bedeutung.
Was
hier als wissenschaftlicher und ethischer Differenzierungsdiskurs
erscheinen
soll, vernebelt diese schlichte fundamentale Sicht auf das menschliche
Leben
und sein unantastbares Recht auf die Unverletzlichkeit seiner Würde, wie
es
in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz die abendländisch-christliche
Wertekultur gebietet. Denn diese Wertekultur kennt keine Heilung auf
Kosten
des Lebensrechts unschuldiger Dritter.
Um ihre Intention auch begrifflich zu stützen, nutzt die
DFG-Stellungnahme
bedauerliche sprachliche Verharmlosungen, wenn sie beispielsweise
formuliert
"Bei lebenden Embryonen führt diese [Zell-] Entnahme nach gegenwärtigem
Stand notwendigerweise dazu, dass der betreffende Embryo abstirbt..."
Gliedmaßen und Pflanzen sterben ab, Menschen sterben. Embryonen werden
sprachlich zu Körperteil- bzw. Pflanzen ähnlichen Objekten herabgestuft,
um
heranwachsendem Leben so auf subtile Weise für die anschließende Abwägung
mit dem Rechtsgut der Forschungsfreiheit einen niedrigeren ethischen
Status
zuzuweisen. Ihre 'Güter'-Abwägung zwischen dem "Lebensschutz des
Embryos"
auf der einen Seite und dem "hochrangigen" Ziel der
Forschungsfreiheit auf
der anderen Seite erscheint anmaßend, da sie das fundamentale menschliche
Existenzrecht auf eine Stufe ethischer Vergleichbarkeit mit einem
Berufsethos herunterstuft.
Wenn man sich schon auf die Ebene 'geronnener' Verfassungsethik begeben
will, so spricht selbst die eine eindeutige Sprache zur Rangfolge der
abzuwägenden 'Rechtsgüter': Im Grundgesetz steht die Achtung der
Menschenwürde, die das Existenzrecht umfasst, in Artikel 1, und das
'Recht
auf Leben und körperliche Unversehrtheit' in Artikel 2, danach erst
folgt
drei Artikel später in Artikel 5 Abs. 3 das Gebot der Forschungsfreiheit.
Diese eindeutig vom Gesetzgeber vorgegebene Rangfolge bemüht sich nun die
DFG argumentativ umzukehren, um wissenschaftliche und ökonomische
Interessen
auf Kosten Dritter durchzusetzen. Der derzeitige verfassungsrechtliche
Schlingerkurs des Embryonenschutzes wird dabei als Argumentationshilfe zu
einem Abstecher in die Forschungslandschaft genutzt. Hier missachtet die
DFG
auf das Gröbste den von ihr selbst aufgestellten wissenschaftsethischen
Imperativ des 'Lege artis'.
Die medizinischen Experimente an KZ-Insassen hatten im Nationalsozialismus
das Ziel, dem Fortschritt der Gesundheitsforschung zu dienen. Eine 'prima
vice' unter dem ausschließlichen Aspekt der Forschungsförderung überzeugende
Intention, die jedoch dazu führte, dass Menschen mit 'niederrangigem
Lebensrecht' für die Forschung instrumentalisiert und geopfert worden
sind.
Medizinethischen Bedenken hatte ein skrupelloser politischer
Totalitarismus
damals den Boden entzogen. An dieser Stelle bekommt der ethische
Kursschwenk
der DFG eine brisante Note: An der rückhaltlosen Analyse der
Verwicklungen
der DFG in die von nationalsozialistischer Ideologie beeinflußte Menschen
instrumentalisierende Forschung während der dreißiger und vierziger
Jahre
wird derzeit gearbeitet. Dass diese DFG nun nach 70 Jahren - also eine
Generation später - ohne sich in den Ergebnissen der noch ausstehenden
Untersuchung gespiegelt zu haben, mit dem Ziel des medizinischen
Fortschritts eine Forschung ansteuert, die - medizinethische Bedenken
erneut
außer Acht lassend - embryonales menschliches Leben für behauptete
"hochrangige" Forschungsziele instrumentalisieren will, kann nur
blankes
Entsetzen auslösen. Vielleicht ist diese Haltung zugleich bitterer
Ausdruck
dafür, dass eine Generation schon ausreicht für den ethischen
Gedächtnisverlust einer Gesellschaft, die allen Anspruch darauf hat, vor
der
Skrupellosigkeit eines sich anbahnenden neuen Totalitarismus
wissenschaftlicher Provenienz geschützt zu werden.
Winnacker und sein Präsidium hätten eine große Chance gehabt, aus
Anlass der
wissenschaftsethischen Reflexion der Embryonenforschung statt dem -
richtig
konstatierten - ethischen Dammbruch in der Embryonenbehandlung einen
weiteren hinzuzufügen, an seiner Reparatur mitzuwirken, indem sie darauf
hingewirkt hätten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten der Forschungsförderung
die
Praxis der künstlichen Befruchtung dahingehend zu beeinflussen, dass es
in
Zukunft keine 'überzähligen' bzw. 'überflüssigen' Embryonen mehr gibt,
die
sie in ihren Empfehlungen als Materialreservoir für die Forschung
beanspruchen.
Dass die DFG die Abtreibungspraxis ohne Umschweife als ethischen
'Dammbruch'
charakterisiert hat, ist unzweifelhaft ihr rhetorisches Verdienst,
wenngleich sie dieses - auch verfassungsrechtliche - Debakel nur zur
Unterstützung der eigenen Argumentationslinie einsetzt. Die Ableitung der
ethischen Unbedenklichkeit der eigenen Interessen aus vorangegangenen
Fehlern anderer, hat jedoch eine fatale Konsequenz: Jeder weitere
Dammbruch
lässt den Ethik überschwemmenden Flutungspegel in unserer Gesellschaft
weiter ansteigen und ist - um es mit den Worten des Bundespräsidenten zu
sagen - Ausdruck 'ethischer Kapitulation'.
Prof. Winnacker scheint zu spüren, dass seine zunächst ablehnende
Haltung
zur Embryonenforschung mit der Installation und Besetzung eines Ethikrates
durch den Bundeskanzler in Zukunft kaum noch eine Chance haben wird.
Hinter
der wissenschaftsethischen Kehrtwende der DFG stehen offensichtlich neben
therapeutischen auch ökonomische und arbeitsmarktpolitische Intentionen.
Ohne Frage geht es um einen lukrativen biomedizinischen Markt mit einem
großen Potenzial zukunftsträchtiger Arbeitsplätze. Da der Arbeitsmarkt
kurz-
und mittelfristig hohe politische Priorität genießt, deren Maßnahmen im
Gegensatz zur Ethik statistisch evaluierbar sind, besteht die berechtigte
Sorge, dass diesem Handlungsziel die weniger fassbare und nicht in
Legislaturperioden evaluierbare politische Ethik nur als nachrangige
Arabeske an die Seite gestellt werden soll. Die Zusammensetzung des
nationalen Ethikrates, die jetzt schon deutliche Mehrheits-Voten für die
Stammzellenforschung und für die PID erwarten lässt, kann als
empirischer
Beleg für diese Vermutung gelten.
Die Empfehlungen der DFG zeigen einmal mehr, dass wissenschaftliche
Reputation und ethische Gesinnung - wie es schon Einstein, Max Planck und
andere Naturwissenschaftler klar gesehen haben - zwei verschiedene Dinge
sind. Sie werden in der aktuellen Debatte um die Embryonenforschung von
der
DFG gekreuzt, um die substantielle Aufgabe ethischer Verantwortlichkeit
hinter einschränkenden Bedingungen, engen Grenzziehungen und Vorbehalten
verbal zu verbergen. Damit soll der Eindruck weitreichender Berücksichtigung
ethischer Kriterien erweckt werden. Im Kern aber befremdet diese
Relativierung des embryonal-menschlichen Lebensrechts, weil ein Gremium
von
wissenschaftlicher Autorität in einem eklektischen Schlingerkurs zwischen
Rechtsprechung, Verfassung und Ethik das unbedingte Existenzrecht völlig
hilfloser Embryonen zur wissenschaftlichen Disposition empfiehlt und die
negativen Auswirkungen ihrer Instrumentalisierung auf das menschliche
Leben
eine Gesellschaft in ihrem Selbstbild abgrundtief herausfordern. Hier wird
-
unter beschwichtigenden Hinweisen auf ausländische Beispiele und
vorangegangene Fehlentscheidungen - für unsere Wertekultur ein
Menschenbild
eingeläutet, das sich vom abendländisch-christlichen weit entfernt, weil
es
die Heilungsabsicht auf Kosten des Lebensrechts unschuldiger Dritter
anstrebt, die - anders als bei der Organspende - nicht einmal die Fähigkeit
besitzen, dazu ihre Zustimmung zu verweigern und deswegen besonderes
staatlichen, rechtlichen und gesellschaftlichen Schutzes bedürfen. Die
darin
liegende gesamtgesellschaftliche Brisanz der Instrumentalisierung
menschlichen Lebens wird der Öffentlichkeit langsam bewusst und - so ist
zu
hoffen - nicht ohne Resonanz und Konsequenzen bleiben. Wo sich die
Gesellschaft in ihrem Nerv getroffen sieht, haben sich Wissenschaft und
Forschung ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung in ganz besonderer
Weise zu stellen.
Aber die DFG teilt uns mit ihren Empfehlungen zur
Stammzellenforschung
auch - wenngleich unbeabsichtigt - ein indirektes Indiz ihres eigenen
Selbstzweifels mit, dass Anlass zur Hoffnung gibt: Ihre Stellungnahme ist
im
Senat einstimmig verabschiedet worden. Dieser Konsens soll nach außen den
Eindruck einer geschlossenen, zweifelsfreien wissenschaftsethischen
Überzeugung dokumentieren, doch hat uns Politik immer schon gezeigt, dass
Einstimmigkeit als Ausdruck eines selbstbestärkenden gegenseitigen
Haltgebens letztlich Verunsicherung offenbart.
Die gesellschaftliche Reaktion sollte - unter Berücksichtigung des Ausmaßes
der in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannten Realität der pränatalen
Selektions-Diagnostik und der aktiven Sterbehilfe sowie in Anbetracht
würdeloser Diskussionsbeiträge über die embryonale Menschenwürde - in
einen
Aufstand des Gewissens gegen diesen Wahn einer neuen Hybris münden, in
der
sich der Mensch zum Herrn über Leben und Tod erhebt. Nach dem Philosophen
Robert Spaemann gibt sie Anlass zu schlimmen Befürchtungen...für das
Leben
Tausender von Menschen."
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