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Neue
Neuronen für Parkinson-Patienten, Nervenzellersatz auch für
Schlaganfallopfer und Schwachsinnige, Hautzellen für Brandverletzte,
Herzmuskelgewebe zur Rettung nach dem Infarkt. All das wollen Forscher im
Labor züchten. Die Mutigen unter ihnen wollen gar noch mehr: Niere, Leber
oder Herz aus der Retorte. Mit dem Organmangel in der
Transplantationsmedizin soll es endlich vorbei sein. Gewaltige
Verheißungen.
Doch die Verheißungen münden in ein grundsätzliches moralisches Dilemma. Um ihre Ziele zu erreichen, wollen die Forscher mit embryonalen Stammzellen arbeiten. Anders als die Körperzellen eines erwachsenen Menschen sind sie noch nicht auf ein bestimmtes Schicksal festgelegt. Ihnen steht es offen, Haut oder Herz, Leber oder Lunge zu bilden. Sie sind das ideale Rohmaterial für die Ersatzteilzucht im Labor. Doch sie zu gewinnen ist heikel, manche sehen darin schlicht ein Verbrechen. Die Forscher müssen die Zellen menschlichen Embryonen entreißen, die nach einer Retortenbefruchtung übrig geblieben sind. Oder sie müssen aus erwachsenen Zellen Klone zeugen, embryonale Kopien ihrer Patienten. Britische Mediziner haben ihrer Regierung gerade empfohlen, beide Verfahren zuzulassen. Und die Regierung will, wenn das Parlament zustimmt, dieser Empfehlung folgen. Doch darf man, für welch hehres Ziel auch immer, menschliche Embryonen töten, menschliche Kopien anfertigen? In Deutschland ist beides streng verboten. Noch fällt es leicht, solche Forschung aus moralischen Erwägungen weiterhin abzulehnen. Noch sind die neuen Therapien nur Versprechungen. Doch die Entwicklung schreitet schnell voran, und an ihrem Ende wird eine Therapie stehen, die unzählige Menschenleben retten kann und zugleich moralisch unbedenklich ist. Denn mithilfe der Erkenntnisse aus Stammzellforschung und Klonexperimenten kann es dereinst gelingen, aus dem Gewebe von erwachsenen Patienten die ideale Stammzelle zu isolieren und im Labor zu formen. Diese Zelle kann vieles werden - Niere oder Haut, Blutgefäß oder Ohrmuschel -, eines aber gerade nicht: ein kompletter Mensch, eine Kopie, ein Klon. Moralische Bedenken gegen die biomedizinische Heilung Schwerkranker und Todgeweihter kann man dann kaum noch vorbringen. Kein Embryo muss mehr sein Leben lassen, kein Klon wird mehr gezeugt, um anschließend getötet zu werden. Einzig der Weg, auf dem die Methode entwickelt wurde, die toten Embryonen, die Klone, die ihn pflastern, mögen manchen noch mit Grauen erfüllen. Die Hände schmutzig gemacht hätten sich deutsche Politiker, Forscher, Mediziner dabei nicht, das haben sie Briten (und Amerikanern) überlassen. Doch die Hände aufhalten werden deutsche Patienten gewiss. Ersatzorgane aus eigenen Zellen - eine schöne Utopie? Nein, eine medizinische Notwendigkeit. Denn bei der Übertragung von Gewebe, das aus den Stammzellen überzähliger Embryonen gewonnen wurde, werden die Mediziner auch in Zukunft mit den alten Unverträglichkeitsproblemen der Transplantationsmedizin zu kämpfen haben. So jung die Zellen sein mögen, fremd sind sie immer noch. Es ist daher unwahrscheinlich, dass tiefgefrorene Embryonen zu Ersatzteillagern degradiert werden. Auch das therapeutische Klonen nach der Dolly-Methode wird kaum zum Alltag werden. Um die Zelle eines erwachsenen Menschen in einen embryonalen Zustand zu versetzen und dann aus ihr beliebige Gewebe zu züchten, bedarf es einer entkernten menschlichen Eizelle. Doch genügend Eizellen, um von jedem Patienten die nötigen embryonalen Kopien zu fertigen, werden nie zur Verfügung stehen. Der alte Engpass bleibt. In der nun beginnenden Debatte geht es also gerade nicht darum, Tausende von Embryonen zur Abschlachtung freizugeben. Die horrenden Zahlen aus Großbritannien - mehr als 50 000 verbrauchte Embryonen seit der Freigabe der Forschung im Jahr 1990 - stammen aus einer Zeit, als es noch nicht gelungen war, embryonale Stammzellen zu kultivieren. Seit 1998 reicht eine einzige Zelle, um eine Kultur anzulegen, an der theoretisch unbegrenzt geforscht werden kann. Nur zu gern jedoch stilisieren Kritiker der Stammzellforschung bedächtige Wissenschaftler zu wahren Monstern im Labor - und machen einen sachlichen Dialog unmöglich, bevor er überhaupt begonnen hat. Doch auch Befürworter der Nutzung embryonaler Zellen haben mit falschen Argumenten der notwendigen Auseinandersetzung einen schlechten Dienst erwiesen. Denn Klonverbot wie Embryonentabu gefährden eben nicht den Bio-Tech-Standort Deutschland, wie oft behauptet wird. Schon die Forschung an möglichen Alternativen bietet genügend Arbeitsplätze wie Karrierechancen für junge Wissenschaftler. Wer die gesellschaftliche Auseinandersetzung über die nächsten Schritte in der Biomedizin frühzeitig nur aus ökonomischer Perspektive führt, lenkt davon ab, dass im Vordergrund das Schicksal von Patienten steht. Es geht wie immer um eine Interessenabwägung: um den Schutz werdenden Lebens auf der einen, die Heilung von Schwerkranken auf der anderen Seite. Moralisch rigoros kann in dieser Situation nur urteilen, wer auf dem katholischen Standpunkt beharrt, wonach alles werdende Leben unter allen Bedingungen zu schützen sei. Nur er kann Patienten die Aussicht auf Heilung verweigern, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln. Wer anders denkt, wird strengere Bestimmungen kaum begründen können. Schon jetzt erfährt ein Embryo im Mutterleib sehr viel weniger rechtlichen Schutz als sein Pendant im Reagenzglas. Mehr noch, dieselben Embryonalstadien, denen die Forscher Zellen entnehmen wollen, dürfen durch empfängnisverhütende Methoden wie die Spirale am Einnisten in die Gebärmutter gehindert und so getötet werden. Die Debatte um unscheinbare Zellhaufen, seien sie nun tiefgefroren oder geklont, offenbart ein grundsätzliches Dilemma bei der Definition menschlichen Lebens: Einerseits dürfen diese frühen Embryonen niemals nur als Gegenstand behandelt werden; sie haben besondere Rechte. Auf der anderen Seite wäre es falsch anzunehmen, der Mensch als Träger solcher Rechte lasse sich allein zellbiologisch definieren. Aus der Biologie lässt sich keine Moral ableiten, die Natur kennt keine Ethik. In Großbritannien gilt - auch weiterhin - die Regelung, dass Forschung an Embryonen dann erlaubt ist, wenn ihre Ergebnisse anderen Embryonen zugute kommen. Eine pragmatische Formel, die aber gerade im Fall von Stammzellforschung und Klonen aufgehen wird, wenn die Arbeit der Wissenschaftler an einer begrenzten Zahl von Embryonen allein dem Ziel dient, den weiteren Verbrauch von Embryonen zu verhindern und somit künftige Begehrlichkeiten einzudämmen. Die britischen Berater haben einen entscheidenden Fehler gemacht. Sie haben das Ziel nicht scharf genug formuliert. In Deutschland könnte die Beschränkung auf ebendiese Forschung die Lösung sein: Sie lässt die fernen Verheißungen näher rücken - und setzt Klonen und Embryonenverbrauch ein natürliches Ende. (c) DIE ZEIT 35/2000 |
Fragen und Kommentare an Michael Seeger © 2000-2013 Faust-Gymnasium Staufen, letztes update 18.09. 2013