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Andrzej Szczypiorski:

Die schöne Frau Seidenman

Aus dem Polnischen von Klaus Staemmler

Diogenes, (detebe 21945) Zürich 1991

279 S. incl. Glossar, 11 EUR

ISBN: 978-3-257-21945-6 - gelesen Mai 2020

Autor

Rund um den Aufstand im Warschauer Ghetto

Die bedrückenden Geschichten werden literarisch wenig überzeugend dargeboten.


Die 21 Episoden sind kaum miteinander verknüpft, allenfalls durch Zeit (1942/43) und Ort (Rund um das Warschauer Ghetto). Auch die schöne Titelheldin - der polnische Orginaltitel heißt "Anfang" - kann die Geschichten kaum verzahnen.

So bedrückend das Thema (der von Juden und "arischen" Polen erwartete Tod durch die SS und Wehrmacht) ist, so wenig berührt der Roman, weil seine Sprache nicht fesselt. Das mag auch an der Übersetzung liegen. Der Autor war selbst am Warschauer Ghetto-Aufstand beteiligt und kann insofern Authentizität für sich beanspruchen. Wie man aber literarisch aus einem Ort in einzelnen Episoden ein überzeugendes Ganzes macht, konnten wir zuletzt bei Regina Scheer bewundern. Ja, Szczypiorskis Sprache ist unprätentiös, teilweise chronikalisch, eine Betroffenheit und einen Lesesog wie etwa bei Christoph Hein kann der Autor aber nicht erzeugen.

Liegt das daran, dass wir unsägliche Formulierungen lesen müssen wie "Angst stahl sich in sein Herz." (S. 85)?

Oder stören uns die oberlehrerhaften Belehrungen des ober-auktorialen Erzählers?

"Gruszecki dagegen verhielt sich zur orthodoxen Kirche mit der gutmütigen Überlegenheit des eifrigen Katholiken, zum Kommunismus mit der mißtrauischen Furcht eines Freundes der alten Reußen. Vor allem jedoch liebte er sein Polentum, dessen würdevolle Vergangenheit und herrliche Zukunft in der Slawenfamilie. Die Deutschen nannte er "Schwaben" und die Juden "Jidden". Er verkündete, berücksichtigt man seine Vergangenheit, etwas erstaunliche Diagnosen, nämlich: Die Jidden richten unser Land zugrunde! Mit Zurückhaltung reagierte er auf die Neuerungen in der römischen Kirche nach dem Vaticanum II." (S. 76)

Man sieht an diesem Ausschnitt, wie der Autor aus dem jahr 1942 immer wieder in die Zukunft springt, wobei das jahr 1968 ebenso Fixpunkt ist wie der gewerkschaftliche Aufbruch der Solidarność. Mit Kritik am volksrepublikanischen Kommunismus der Nachkriegszeit wird nicht gespart, weshalb das Buch in Polen nicht erscheinen durfte.

Vielleicht sind wir im Westen doch schon so lange durch politische Korrektheit geprägt, dass wir eine Entgegensetzung von "Polen und Juden" so wenig akzeptieren können, wie die "Bekehrung von Negerkindern" (S. 67) durch die katholisch bigotte Schwester Weronica.

Ebenso verstörend wirkt der versöhnlich gemeinte Schluss, wenn die als Vierjährige aus dem Ghetto gerettete Miriam später als erwachsene Frau in Israel ontologisiert, dass der brutale Fußtritt eines israelischen Soldaten gegen einen palästinensischen Fedayin in eine ewige Reihe zu stellen sei:

"So stand der römische Legionär vor dem gestürzten Makabäer (...), der fränkische Ritter vor den mit Stricken gefesselten Sachsen, (...), Bismarck in Versailles, Stroop auf den Straßen des brennenden Ghettos, der viatmesische Partisan bei Dien-Bien.Phu." (S. 271)

 Michael Seeger, 22. Mai 2020

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