Michael Seeger Rezensionen Forum

>> Schachnovelle

>> Die Welt von Gestern

cover

 

Stefan Zweig

Magellan

Der Mann und seine Tat

Fischer TB 50650, Frankfurt a. M. 1983; © Wien 1938

ISBN: 3-596-50650-6

317 S. 12,00 EUR

gelesen September 2022

Zweig

 

Hommage an einen Helden und seine Heldentat

Zweig ist vom Sujet seines Biographieromans überwältigt und feiert die erste Weltumsegelung emphatisch.


Am 6. September 2022 jährte es sich zum 500. Mal, dass Magellan, bzw. der Rest seiner Flotte als Erste die Welt umsegelt hatten. Was gibt es da Logischeres für einen Deutschland-Umrunder, denn quasi als Hommage an den Helden und seinen Biographen dieses Abenteuer lesend nachzuvollziehen.

Victoriatop

die Victoria

Es ist eigentlich mehr ein Sachbuch als ein Roman, immer wieder bemüht, durch Quellenangaben (vor allem das Tagebuch von Pigafetta!) Authentizität zu erzeugen. Was den im Präsens verfassten "Tatsachenbericht" zur Literatur macht, ist Zweigs Sprache: ein stilistischer Enthusiasmus, der dem verehrten Helden eignet:

"Bis zum letzten Augenblick muß der Mann, der prometheisch der Erde das letzte Geheimnis entreißen will, die marternde Geierklaue des Zweifels fühlen." (S. 183)

In dieses Pathos bettet Stefan Zweig schwülstige Sentenzen über die Welt, die Moral, die Gerechtigkeit, das Schcksal ein:

"Noch einmal rollt ein Haupt in den Sand - ewiges Verhängnis der Menschheit, daß ihre denkwürdigsten Taten fast immer befleckt sind von vergossenem Blut und gerade den Härtesten das Größte gelingt! (S. 177)

Welches Charakterbild des großen Entdeckers schält sich heraus? Magellan ist ein schweigsamer, planender, alles berechnender, vorsichtiger, zweifelnder, konsequenter, autoritärer, charismatischer, penibler, mutiger Admiral und Menschenführer; er ist hart zu sich selbst und zur Mannschaft. Was ihm fehlt, ist Diplomatie. Im Gegensatz zu den brutalen Vorläufern wie Cortez oder Pizarro, sucht und gestaltet er in der Begegnung mit den "armen Naturkindern" (S. 211) den Weg des fairen (?) Tausches und Vertrags. Sein "unbeugsame(r) Wille zur Humanität ... gibt der Gestalt Magellans ein so außerordentlich moralisches Übergewicht über alle andern Konquistadoren." (S. 227). Nach all den Hunger- und Wetterqualen, den Meutereien und Zweifeln findet der Admiral schließlich den "paso", der heute - nach dem Bau des Panamakanals - völlig unbedeutend als Magellanstraße seinen Namen trägt und landet auf den Philippinen, wo er, der Übervorsichtige, im Übermut des Triumphes leichtfertig in eine Falle und damit in seinen Tod läuft; genauer: in Ritterrüstung durchs Korallenwasser watet.

Eine Wikipedia-Darstellung über die Landung auf der Insel Cebu am 7. April 1521 zeichnet ein ganz anderes Bild als der durch Zweig angedichtete Pazifismus:

"Er und seine Leute schüchterten die lokalen Stammesfürsten und Rajah Humabon, den König von Cebu, mit dem Artilleriefeuer der Expeditionsflotte und Kriegsdrohungen ein, und bekehrten den Rajah und viele seiner Gefolgsleute zum Christentum. Ein Dorf, das sich der Christianisierung verweigerte, ließ Magellan niederbrennen." top

Wie sehr sich die Welt seit Zweigs Niederschrift gewandelt hat, wird selbst mir, einem Skeptiker gegenüber verordnetem Antirassismus, Antikolonialismus, Antiautoritarismus und Me-too klar. Was stößt mir auf?

Wenn man diese Verächtlichkeiten als dem Zeitgeist der 30er Jahre geschuldet sehen will, so bleibt es für einen Schriftsteller, der penibel in den Archiven und Bibliotheken für seinen Roman recherchiert, unverzeihlich, dass er für das 16. Jh. auf anachronistische Weise moderne Begriffe seiner Gegenwart verwendet. Obwohl Manuel und Karl, die Könige von Portugal und Spanien (Karl als der V. dann römisch-deutscher König und später Kaiser) als Akteure in der Begegnung mit Magellan geschildert werden, ist bei Zweig dann alles Monarchische, Dynastische, das Herrschaftliche vs. Untertanentum ersetzt durch "Vaterland" (S. 68), "Nation" (S. 29), "Staatsbürgerschaft" (S. 85), "Nationalflagge" (S. 118). Magellans Flotte fuhr natürlich nicht unter einer wie auch immer gearteten "Nationalflagge", sondern unter dem königlichen Banner Karls I / V. top

Königliche Banner zur Zeit Magellans

Nationalflaggen im 20. Jahrhundert

Banner der katholischen Koenige

Banner der katholischen Könige 1492-1504, das auch in den Kolonien aufgesteckt wurde.

Banner Karl V

Kurz vor Magellans Ausfahrt am 20.09.1519 wurde der span. König Karl I als Karl V des HRR zum römisch-deutschen König gewählt. Magellans Flotte dürfte also mit diesem Banner beflaggt worden sein, vielleicht auch mit der (ähnlichen) span. Version Karls I von Spanien.

2. Republik 1931-39

Flagge der 2. Republik 1931 bis 1939, also zur Entstehungszeit des Romans. Diese Republikflagge kann man getrost als Nationalflagge bezeichnen.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Flag_of_Spain_(1931–1939).svg

Francos Flagge ab 1945

Der Diktator Franco hat die Flagge mehrfach modifiziert (hier die Version ab 1945), blieb aber bei den Anklängen an das Span. Großreich ("Non plus ultra"). Auch das faschistische Emblem kann man - temporär - als Nationalflagge ansehen, analog dem NS-Hakenkreuz.

"Von 1506 bis 1785 zeigte die spanische Kriegsflagge mit Hinweis auf die Herkunft der herrschenden Dynastie das Kreuz von Burgund. Es verweist auf das Haus Habsburg, da der erste in Spanien regierende Habsburger, Philipp der Schöne, als Erbe seiner Mutter Maria von Burgund den Titel eines Herzogs von Burgund führte, und wurde in der Bourbonen-Zeit weiterverwendet. Sie war auch die vorherrschende Flagge in den spanischen Kolonien, als diese noch unter der unmittelbaren Herrschaft des Mutterlandes standen. Diese Flagge war allerdings keine Nationalflagge im heutigen Sinne, weil das Konzept Nation damals noch nicht existierte (Hervorhebg. M.S.). Die Aufgabe, den Staat zu repräsentieren, trug nach wie vor das königliche Wappen, welches in Form einer Flagge auf rotem oder weißen Grund gezeigt wurde."

Quelle: https://dewiki.de/Lexikon/Flagge_Spaniens#google_vignette

Genug gemeckert! Fasziniert hat mich die abenteuerliche Fahrt Magellans gleichwohl, nicht nur weil ich die trostlose Einsamkeit und Ödnis Patagoniens und Feuerlands sowie die Magellanstraße aus eigener Anschauung kenne. Gelernt habe ich, woher die Namen Patagonien (Riesenfüße der Ureinwohner) und Feuerland (ständige Feuer, weil die Bewohner die Kunst des Feuermachens nicht beherrschten) stammen. Verneigen muss ich mich vor einem Menschen (bei Zweig "Mann"), dessen wissenschaftliche Überzeugung, dessen unbändiger Aktionswille, dessen Ausdauer und Resilienz zum Ziel führen, welches in der heroischen Sprache Zweigs Triumph heißt.

Michael Seeger, 17. Oktober 2022 top

© 2002-2024 Michael Seeger, Letzte Aktualisierung 02.12.2022