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Joachim Zelter:IM FELDRoman einer ObsessionKlöpfer & Meyer Tübingen 2018 154 S. 22 EUR ISBN: 978-3-86351-461-7 - gelesen Juni 2020 |
"Nicht aufgeben!" gilt für den ambitionierten Radsportler wie für den geduldigen Romanleser. Ich kann es aber niemandem verübeln, der lesend diese Maxime verletzt!Ein Autor muss sich entscheiden: Gestalte ich die Orte rein fiktiv - durchaus mit ins Auge springenden Anspielungen auf realexistierende Orte (wie das etwa Lutz Seiler in "Stern 111" mit Hiddensee macht) oder erzähle ich - eher chronikalisch - neben der Geschichte auch ganz realistisch von der Topographie. Zelter tut keines von beidem. Sein Radfahrerbuch spielt in Freiburg. Konkret werden die Orte Cernay, Grand Ballon, Le Markstein, Colmar und Breisach genannt. Das war es dann aber auch schon. Topographisch stimmt sonst gar nichts mehr, was den in Freiburg lebenden Lokalpatrioten natürlich ärgert. Das beginnt damit, dass der Radlertreff beim Heidegger-Denkmal stattfindet. Wohl deshalb, weil der Ich-Erzähler Frank Staiger arbeitsloser Philosoph ist. Heidegger, der berüchtigte Uni-Rektor von 1933 wird in Freiburg allenfalls kritisch gewürdigt. In Zähringen gibt es einen unbedeutenden Martin-Heidegger-Weg. Für ein Denkmal reicht es in der geschichtskritischen Stadt niemals. Über eine halbe Stunde fährt Staiger mit dem Rennrad durch die Stadt zum Treffpunkt! Da müsste er das Rad ja schieben! Auch mit den religiösen Festen nimmt es der Autor nicht so genau. Er datiert die gnadenlose Ausfahrt symbolträchtig auf den Himmelfahrtstag und lässt dabei Reste von Prozessionen passieren - wohl mit Fronleichnam verwechselt. Auf der Rückfahrt aus den Vogesen geht es ab Colmar via Breisach im "Sägezahnkurs" nach Freiburg mit nicht endenden Anstiegen. Dabei ist die Rheinebene hier über 50 km topfeben! Außer dem Grand Ballon haben die zu erklimmenden Berge logischerweise auch keine Namen. Der Held trägt ein Trikot der "Radsportvereinigung Göttingen". In der Stadt, die bekanntlich am Fuße des Harz liegt, muss der Pedalist dutzende Male Tiefgaragenrampen fahren, um sich eine Bergform anzutrainieren.
Damit wären wir nach der Topographie- bei der Radsportkompetenz des Autors, der sich im Klappentext selbst als passionierten Radsportler bezeichnet. Das hat er immerhin Julie Zeh voraus, die in "Neujahr" sich ja auch am Radsport versucht ... und ebenfalls scheitert. Es nützt aber nichts. Ein Radfahrer, der mehrere tausend Höhenmeter am Tag bewältigen kann, jammert nicht schon beim ersten Anstieg. Die gesamte Ich-Erzählung ist aber gequälte Larmoyanz eines Radfahrers, der sich genötigt sieht, dem Antreiber LANDAUER sklavisch zu folgen und sich dabei fast selbst verliert. Wie Julie Zeh verzahnt Zelter das Radfahrleiden seines Helden mit dessen manchmal halluzinatorischer Reflexion über ein gescheitertes Leben und die belastete Ehe mit Susan. Dabei steht - wie schon im Motto - Albert Camus mit seinem Sisyphus-Prinzip Pate. Angesichts der Banalität des Erzählten greift hier Zelter eindeutig zu hoch in den philosophischen Himmel.
Radfahrtechnisch ist der Roman dann so spannend und existenzialistisch erzählt wie etwa hier:
"Hochschalten
Runterschalten
Hochschalten
Runterschalten" (S. 57)"Plötzlich erlebte ich die reinste Bodenlosigkeit. Die Bodenlosigkeit dessen, wer ich bin, und wer ich nicht bin, und auch nie sein werde. Ich werde es nie sein. Mit aller Wucht wurde mir das klar. Und mit dem ganzen Körper. Ich werde es nie sein. ...." (S. 54)
Was für tiefschürfende Sätze! Das "Gnoti seauton" und "sapere aude" darf dann auch nicht fehlen. Camus, hilf!!!
Beim "zweiten Vogesenpass" wird die Reflexion über das gescheiterte Berufsleben dann in die erzählte Quälerei der zu absolvierenden Serpentinen gepackt: "Nächste Serpentine, nächste Serpentine ...." (S. 68 bis 71). Das wiederholt sich 24 Mal! Da bin ich schon fast auf dem Stilfser Joch! Und das alles in der Nähe der Route des Crêtes, wo es solche Serpentinen überhaupt nicht gibt. Es gibt dann "fliegende Pausen bei Kilometer 60 ... links, rechts, links, rechts .... (S. 73). Ja, so steht es im Text. Zelter meint wohl "bei 60 km/h". Die beachtliche Strecke fährt Staiger in einem 31,4-er-Schnitt. Wer das bei all den Steigungen leisten kann, ist ein so gut trainierter Halbprofi, dass er keinen einzigen Grund zum Jammern hätte!
Der Radausfahrtgruppenleiter Landauer, welcher locker Tagesritte wie Freiburg - Dijon - Freiburg fährt, kommt im Jahr auf vom Erzähler bewunderte 20.000 km (S. 140). Das ist natürlich für so einen Schleifer viel zu wenig. Das macht schon mein Nachbar!
Da die Erzählung des elfstündigen Tagesrittes - entgegen der lobenden Literaturkritik - sprachlich banal bis kitschig-trivial daherkommt, ist die Lektüre ausgesprochen langweilig. Wenn die Radgruppe dann nach 345 km und 4.367 Höhenmetern wieder in Freiburg ankommt, geht der leidende Erzähler in die Badewanne und ... Überraschung! ... ins Bett, während ich mich auf meinen Renner schwinge, um mich pedalierend von diesem Schrott freizustrampeln.
P.S. Wer als Radsportler lesend genießen will, den kann ich - jetzt nach dem vierten Versuch - auf kein anderes Buch als VENTOUX verweisen.
Michael Seeger, 27. Juni 2020
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