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ihr Bruder Simon könne so gottlos nicht sein, der Knabe gehöre
gewiss
nicht ihm, Ähnlichkeiten wollen nichts beweisen. Hatte sie doch selbst
vor vierzig Jahren ein Schwesterchen verloren, das genau dem fremden
Hechelkrämer glich. Was glaubt man nicht gern, wenn man so wenig hat und
durch Unglauben dies wenige verlieren soll!
“Das
dacht ich mir; geh in Gottes Namen, aber beichte wie ein guter Christ.”
“Das will ich”, sagte Friedrich.
“Denk an die zehn Gebote: du sollst kein Zeugnis ablegen gegen deinen Nächsten!”
“Kein falsches!”
“Nein, gar keines; du bist schlecht unterrichtet; wer einen andern in der
Beichte anklagt, der empfängt das Sakrament unwürdig.”
Beide schwiegen.
“Ohm, wie kommt Ihr darauf?” sagte Friedrich dann, “Euer Gewissen
ist nicht rein; Ihr habt mich belogen.
”Und
bald sah Margreth den beiden nach, wie sie fortschritten, Simon voran, mit
seinem Gesicht die Luft durchschneidend, während ihm die Schöße des
roten Rocks wie Feuerflammen nachzogen. So hatte er ziemlich das Ansehen
eines feurigen Mannes, der unter dem gestohlenen Sacke büßt.
Er
war bald verschollen, vergessen. Ohm Simon redete selten von ihm, und dann
schlecht.
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Diese Textstelle stellt die Vaterschaft Hermann Mergels in Frage und
spielt auf Friedrichs wahre Rolle als Simons Sohn an, was den Inzest in
der Familie Margreths, für den Margreth und ihr Bruder Simon
verantwortlich sind. Dabei kommt Simon allerdings die wahrscheinlich weit
schwerwiegendere Schuld zu.
Friedrich lässt sich von Simon einschüchtern, bis er das schlechte
Gewissen der juristischen Bestrafung für Simon vorzieht. Darin kommt die
schlechte Beeinflussung Friedrichs durch Simon zum Ausdruck, der
seine kriminellen Taten als eigentlich gerechtfertigt verkauft und seine
Schuld am Mord an Brandis herunterspielt.
Diese Stelle betont die dämonische Ausstrahlung Simons, die ab und an in
seinem Wesen durchscheint und in seinen Worten aufblitzt. Er verkörpert das
leibhaftige Böse, das Margreth verführt, ihren Sohn zu opfern.
Obwohl er in Friedrich einen von ihm
kontrollierten Sohn-Ersatz und Mitarbeiter in kriminellen Aktivitäten
verloren hat, fühlt er weder Reue noch Mitleid. Im Gegenteil, er
schwärzt ihn nach seinem Verschwinden an, trotz dem tragischen Schicksal
Friedrichs, das er zu großen Anteilen mit zu verantworten hat.
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Das Gespräch der Mutter mit der Nachbarin
Mein Weg in die Hölle ist gepflastert. Ich schickte meinen eigenen Sohn dorthin, und ich werde ihm dorthin
folgen. Denn nicht er ist der Schuldige an seinem verbrecherischen
Werdegang, es bin ganz allein ich. Mein Bruder stellte mich vor die
eindeutige Wahl. Er fragte mich ganz offen, ob ich bereit sei die
Verantwortung für die Erziehung meines Sohnes zu übernehmen und ihn so
zu erziehen, wie ich es für richtig hielt, oder meine Verantwortung aus
der Hand zu geben, ohne zu wissen, in welche Richtung die Erziehung meines
Bruders ihn führen würde. Ich war zu schwach. Ich traf die falsche
Entscheidung, obwohl es offensichtlich war, welche Entscheidung hier die
richtige gewesen wäre. Hätte ich sie sorgfältig überlegt, wäre mir
wohl bald klar geworden, was Simon vor hatte. Es war allzu durchsichtig.
Doch
verschloss die Augen vor der Realität, und es war letztendlich wohl meine
Angst vor der Verantwortung für Erziehung meines Sohnes, die ihn ins Unglück
stürzte. Seine Sünden, die er jetzt begeht und schon beging, sind nicht
größer als meine Sünde, sein Leben leichtfertig meinem Bruder
anzuvertrauen. Ich muss nun die volle Verantwortung dafür tragen, damals,
als es auf mich ankam, vor der Verantwortung weg gelaufen zu sein. Es war
eine Verantwortung, der ich nicht gewachsen war.
Ach, wäre doch ich statt Hermann gestorben. Er hätte der Verantwortung
stand gehalten, er hätte es nicht so weit kommen lassen. er hätte ihn
sicherlich gut erzogen, vielleicht hätte er sich sogar vom Alkohol losgelöst
im Angesicht der Verantwortung für den Sohn, den er liebte.
Friedrich hatte von Anfang an eine sehr viel stärkere Bindung zu
seinem Vater, als zu mir, als hätte er es geahnt. Sein Vater war die
wahre Erziehungsperson für ihn, die einzige Autorität, der er sich gerne
unterwarf.
Wäre Hermann nicht gestorben, wäre aus Friedrich wohl ein guter Mensch
geworden. Zunächst hielt ich es noch für gut, dass Hermann tot ist, er quälte
mich zu oft, als dass ich es ihm hätte verzeihen können, sein Tod war
eine Genugtuung für mich und ich dankte Gott für seine Gnade, mich von
dem Elend dieser zerstörerischen Ehe zu befreien. Ich hatte nur mein
eigenes Schicksal im Kopf.
Doch nun, wo ich es erstmals selbst in der Hand hatte, über mein Leben
und mein Schicksal zu bestimmen - auch, und vor allem über das meines
Sohnes - hatte mich die Kraft, dies zu tun, längst verlassen. Ich war zu
gebrochen, und das ist die Schuld meines Mannes. Hätte er mich nicht so
gequält, wäre aus mir eine stärkere Frau geworden, und dann wäre auf
Friedrich niemals ein Verbrecher geworden, denn er hätte Simon dann nie
zu Gesicht bekommen. Und würde
Hermann noch leben, so hätte Friedrich Simon ebenso unter keinen Umständen
kennen gelernt. Aus Hermann wäre
ein guter Vater geworden, zwar kein perfekter, aber er hätte Simons Rolle
als Vaterersatz sinnlos gemacht und ihm keine Chance gegeben, an seinen
Sohn heranzukommen. Und er hätte ihm mehr gute Eigenschaften mitgegeben
als ich und Simon es zusammen taten. Die Schul liegt zu einem drittel bei
Hermann und zu zwei dritteln bei mir, daran besteht kein Zweifel. Ich
flehe den Allmächtigen jeden Tag an, er möge Friedrich nicht in die
Verdammnis schicken, sondern ihn verschonen, und mich dafür büßen
lassen, aus meinem Sohn einen Verbrecher gemacht zu haben.
Denn es war nur der erste Fehler, dass ich ihn weggab. Während dieser
Zeit saß ich zu Hause, wurde immer schwächer und musste zusehen, wie
Friedrich bei Simon verdorben wurde. Doch selbst damals, als ich eindeutig
sah, dass Friedrich unter Simons Autorität auf die schiefe Bahn gelangen
würde und Schritt für Schritt zu Simons Nachfolger erzogen wurde war ich
außerstande, etwas zu unternehmen. Ich habe weg geschaut, wie immer, als
es darauf ankam. Ich habe die Augen verschlossen und gar nicht richtig
wahrgenommen, was aus Friedrich wurde. Und das war der eigentliche,
wesentlich verhängnisvollere Fehler, den ich beging. Denn selbst als er
bereits
weg war, ich als seine Mutter hätte auf seine schreckliche Entwicklung,
die er unter Simons Obhut nahm, reagieren müssen und zurückholen in die
Stätte seiner Geburt, auf dass er durch Beichte, Buße und vernünftige
Arbeit wieder zu einem gesellschaftsfähigen und für Gott annehmbaren
Menschen würde, mit reinem Herzen und reinem Gewissen. Ich hätte das
Recht gehabt, ihn zurückzuholen, denn ich bin seine Mutter , und dieses
Recht hätte mir niemand, auch nicht Simon, streitig machen können. Jetzt
ist es zu spät, ich kann nichts mehr für ihn tun, er ist verloren, so
wie ich es bin, seit ich ihn verloren habe. Nun kann ich Friedrich nicht
mehr erreichen. Er hat das Geschenk des Lebens nicht angenommen, weil er
niemals die Chance hatte, es anzunehmen. Sein Leben ist sinnlos, und damit
auch das meine. Denn der Sinn meines Lebens, aus meinem Sohn einen guten
Menschen zu machen wurde von mir nicht erfüllt. Im Gegenteil, ich habe
das Leben an sich beschmutzt, ich habe es weggeworfen, das meine und, was
noch viel schlimmer ist, das meines Kindes auch. Kann einer Mutter etwas Schlimmeres passieren, als wenn sie
in der Erziehung ihrer Kinder versagt und ihre Kinder, wenn aus ihnen
erwachsene Menschen geworden sind, zu nichts taugen. Ich habe Friedrich
nichts auf den Weg des Lebens mitgegeben und wenn ich sterbe wird er sich
ein paar Jahre nach meinem Tod wohl nicht mehr an mich erinnern. Aber das
spielt jetzt sowieso keine Rolle mehr.
Mir blüht die Verdammnis, doch ich flehe dich an, mein Herr, dass mein
Sohn mir nicht folgen wird, und du mich seine Sünden vergelten lässt. Ich
hasse mich, doch Friedrich kann ich nicht hassen.
Er ist mein Opfer, ein vollkommen wehrloses Opfer, ich bin die wahre
Verbrecherin. Ich habe meinen Sohn sozusagen psychisch vergewaltigt, bis
seine kaputte, zerfressene Seele nicht mehr Gutes von Bösem und
Schlechtem unterscheiden konnte. Ihm wurde gesagt, das, was eigentlich
falsch ist, sei richtig, und irgendwann verstand er die Welt nicht mehr
und gab sich auf. Er hat die Kontrolle über sein eigenes Leben verloren,
was meine erzieherische Fehlleistung deutlich dokumentiert. Er
ließ und lässt sich gehen und hat sein Leben aufgegeben. Er lässt
sich zu kriminellen Handlungen drängen, ohne dass er sich wirklich etwas
daraus machen würde, es ist ihm alles egal und gleichgültig. Er ist die
personifizierte Passivität. Die Verbrechen sind nicht seine Ideen, er führt
sie lediglich aus, weil sie ihm aufgetragen werden. Er führt sie aus,
ohne das sein Gewissen ihn daran hindert, weil sein Gewissen das Wort
'falsch' nicht kennt. Ich weiß nicht ob er weiß, was er tut, er führt
Aufträge aus um ihrer selbst willen, er ist ein von Simon programmierter
Roboter, doch auf keinen Fall ist er er selbst. Er befindet sich unter
einer Dauerhypnose, die wohl sein Leben lang anhalten wird. Und sollte er
dies irgendwann einmal merken, so wird er sich wohl auf der Stelle töten.
Es war nicht ich, der ihn in diese Hypnose versetzte, doch es war ich, der
ihn zum Hypnotiseur schickte. Und das macht mich schuldig.
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