Seminarkurs 2000/01 "Dolly": Humangenetik Diskurs Naturwissenschaft - Geisteswissenschaft

Material

Tina Hellige/A.F.

Exzerpt zu: 
Regine Kollek , „Klonen ist Klonen – oder nicht?“, 

in: Hello Dolly?, Über das Klonen, hrsg. v. J.A. Ach, G. Brudermüller und C. Runtenberg, (es 2060), Frankfurt 1998, (251 S.); S.19-45

KONEN IST KLONEN – ODER NICHT?
Die Autorin Regine Kollek versucht diese Frage mit Hilfe von sechs Unterthemen zu beantworten. Drei davon möchte ich bearbeiten.

1. Das „Dolly“ Phänomen und die Dimensionen der Technikbewertung
 
Als erstes benennt Kollek die Gruppen in der Öffentlichkeit, welche am meisten von der Sensation um das geklonte Schaf betroffen sind.
 
-          Biologen ( für absolut erklärte Lehrmeinung wurde revidiert )
-          Philosophen ( Problem der Menschenwürde )
-          Juristen ( Frage der Verwandtschaftsbeziehung zwischen Klon und Geklonten )
 
Nach Verkündigung dieser Nachricht formierten sich einige Gemeinschaften, mit der Intention ein Verbot des Klonens von Menschen zu fordern.
Befürworter erklärten daraufhin, dass durch einen Boykott die medizinischen Vorteile der Klonierungstechnologie verhindert werden würden.
Doch immer wieder steht die Frage der Menschenwürde im Mittelpunkt von Diskussionen.
Kollek selbst äußert sich dazu. Sie ist der Ansicht, allein das Annehmen der Forschung an menschlichen Embryonen stellt ein zentrales Problem dar. (Unbedingt Passage S. 21 einbauen!, MS) Des weiteren spricht sie die Reduzierung des Menschen auf einen Organbildner an und beklagt den mangelnden moralischen Schutz.
Die Offenlegung dieses Skandals wird durch die wissenschaftliche Methode der Zerlegung in einzelne Bruchstücke erschwert. („Fragmentierung“)
 
 
2. Künstliche Mehrlinge und echte Klone
 
Allgemein bedeutet Klonierung die identische Vervielfältigung einer identifizierbaren Einheit.
Die künstliche Mehrlingsbefruchtung ( auch genannt: Embryonensplitting ) kann auf zwei Wegen erfolgen.
 
1.       Vereinzelung der Blastomere ( Zellen des Embryos vom zwei – bis Achzellstadium ), sie sind totipotent ( Fähigkeit zu allen Zelldifferenzierungen )
2.       Teilung der Keimscheibe (fortgeschrittenes Entwicklungsstadium der befruchteten Eizelle) bzw. des Embryoblasten ( ein Teil entwickelt sich zum Embryo, der andere zu Mutterkuchen )
 
Bei jeweils beiden Methoden entstehen Keime aus der Verschmelzung von Ei – und Samenzelle.
 
DOLLY:  Eine Zelle wurde aus der Milchdrüse des zu klonierenden Schafes mit einer entkernten Eizelle eines anderen Schafes verschmolzen.
 
 
3. Klonieren von Tieren: lukrative Geschäfte in Sicht
 
Bei der Klonierung von Tieren differenziert man zwischen drei Hauptanwendungsgebieten:
 
-          Vermehrung von Hochleistungstieren ( Überlebensfähigkeit der Klone sinkt jedoch erheblich nach Wiederholung des Verfahrens )
-          Gebiet der Pharmazie, Arzneimittelherstellung ( Erzeugen von transgenen Tieren, denen ein Gen implantiert wird mit einer bestimmten Information )
-          Xenotransplantation ( Ersatzorgane für Menschen, bis jetzt starke Abstoßreaktionen, gentechnischer Eingriff soll dies minimieren, aber Gefahr: Übertragung unbekannter Krankheitserreger )
Der Pharmakonzern NOVARTIS investiert unter anderem in diese Forschung.
 
Tina Hellige, 27.01.2001
 
4. RISIKEN DES KLONENS IN ZEITLICHER PERSPEKTIVE
 
Für eine ethische Bewertung bzw. für die Abwägung zwischen Risiko und Nutzen der Gentechnik ist eine Analyse der möglichen Konsequenzen, welche sie in sich birgt, nötig.
 
  Die biologischen Konsequenzen sind immer von der Zeitperspektive abhängig.
 
  Hier kann man in erster Linie die UNMITTELBAREN PHYSISCHEN KONSEQUENZEN des Verfahrens für den Klon nennen. Gemessen an den beobachteten Schäden, die für die Tiere ent-  standen sind, sind diese nicht so gravierend.
 
  Die LANGFRISTIGEN EVOLUTIONÄREN KONSEQUENZEN, die hier für Tier und Mensch   entstehen, sind nur relevant, wenn ein für die Evolution wichtiger Bestandteil der Individuen der
  unterschiedlichen Spezies durch Klone ersetzt werden würden.
 
  Eher unbeachtet war bisher die MITTLERE ZEITSPANNE, die die LEBENSSPANNE der Klone
  und deren Nachkommen umfasst. Hier stellt sich die Frage, ob durch den Eingriff in die Embryonal-
  entwicklung kurz- oder langfristige Konsequenzen hervorgerufen werden. Als Hinweis hierzu
dient das biologische Phänomen des IMPRINTING, welches in spezifischer Weise auf den Genomen zu finden ist. Bei Imprinting handelt es sich um reversible Veränderungen des Erbmaterials, die nicht den eigentlichen Informationsgehalt der Gene beeinflussen, wohl aber ihre Expression, also ihr Ablesen.
  Dieses Imprintingmuster kann sich bei der Klonierung verändern und somit auch das Muster der
  Expression. Manipulationen, die wie das Klonen in die frühe embryonale Entwicklung eingreifen,
  stehen demzufolge zumindest unter dem Verdacht zu phänotypischen Konsequenzen führen zu
  können.
 
  Ein weiteres Kriterium, welches für die ethische Urteilsfindung zu untersuchen ist, hängt mit dem   TELOMEREN zusammen. Als Telomere bezeichnet man die Enden der Chromosomen. Durch die   Zellteilung und somit mit zunehmendem Alter verkürzen sich die Telomeren immer mehr. Gesetzt   den Fall, bei einer Konierung würde der Zellkern eines erwachsenen Individuum verwendet, so   könnte dies dazu führen, dass der daraus hervorgehende Klon nicht mehr so lange zu leben hätte,
  wie eine embryonale Zelle, die noch über die volle Telomerenlänge verfügt.
 
  Des weiteren könnten bei der Verwendung der Körperzelle eines Erwachsenen genetische Ver-
  Änderungen auf den Klon übertragen werden. Dies ist. z.B. der Fall, wenn bei der Spenderzelle
  genetische Schäden vorhanden sind oder diese durch Umwelteinflüsse ausgelöst wurden.
  Trotz vieler Indizien für mögliche durch Gentechnik entstehende Konsequenzen kann noch keine  genaue Risikoabwägung erfolgen, auch aufgrund der mangelnden Erfahrung mit Tierversuchen  auf diesem Gebiet und weil nicht bekannt ist, inwieweit Ergebnisse auf die menschliche Spezies  zu übertragen sind.
 
 
5. MENSCHLICHE KLONE?  DIE ZUKUNFT HAT SCHON BEGONNEN
 
Trotz anfänglicher oder auch immer noch anhaltender Schreckensvisionen von geklonten Menschen scheint der Konsens über die Legitimation auf diesem Gebiet relativ stabil zu sein. Ist dem wirklich so?
 
  Der Weg für die Klonisierung von Menschen wurde schon durch das Aufkommen der In-Vitro-
  Fertilisation bereitet, durch welche menschliche Embryonen erstmals im Reagenzglas verfügbar   wurden. Mitte der 80er Jahre setzte dann die Forschung um Embryonen ein. Derartige Verfahren   wurden dem Versprechen auf die Vermeidung von Krankheiten oder die Verbesserung der künst-  lichen Befruchtung begründet. Somit wurden von der In-Vitro-Fertilisation „übrig“ gebliebene   Embryonen zu Forschungszwecken beansprucht.
 
Zu den medizinisch wie ökonomisch interessantesten Forschungsfeldern zählt die Entwicklung von Verfahren zur Herstellung von Ersatzgeweben, die letztlich der Transplantation dienen sollten. Hier konzentriert man sich vor allem auf die Nutzung sogenannter EMBRYONALER STAMM-ZELLEN, aus welchen die unterschiedlichsten Zelltypen entstehen können. Da jedoch auch hier das Risiko der Gewebeunverträglichkeit besteht, ist es erstrebenswert, dass das Erbgut der für die Geweberegeneration eingesetzten Zellen mit dem des Patienten identisch ist. Um dies abzusichern wäre es nötig das dazu gebrauchte Material von dem späteren Empfänger selbst zu entnehmen. Somit würde ein embryonaler Klon entstehen, welcher hier als Ersatzgewebe fungiert. Für die Klonierung  jedoch würde dann eine Unmenge an Eizellen benötigt werden, da diese zur knappen Ressource würden. Hier stellt sich die Frage, was dies für die gesamte weibliche Weltbevölkerung bedeuten würde. Somit wird über tierische Alternativen nachgedacht, welche die Entstehung von Chimären zur Folge hätte.
 
 
6.      SIND DIE KLONE NOCH ZU VERHINDERN?
 
Grundsätzlich kann kein mit einem anderen Menschen genetisch weitgehend identischer Klon und kein davon abgeleitetes Gewebe hergestellt werden ohne dass zuvor ein Embryo entsteht.
Wollten Länder, welche wie Deutschland ein Embryonenschutzgesetz haben, dem internationalen Markt standhalten, so müssten diese Restriktionen aufgehoben werden.
  Meist werden von Gegnern dieser Gesetze neue normative Ziele mit eingebracht, die in der westlichen  Werteskala weit oben angesiedelt sind. Dies sind hauptsächlich: FORTPFLANZUNG; GESUNDHEIT und FORSCHUNGSFREIHEIT. Somit wird von den Gentechnikbefürwortern auf Basis dieser Werte argumentiert. Werden aber diese Argumente so beliebig und beifällig von Menschen oder Institutionen gebraucht, welche eher die Verbesserung ihres ökonomischen Stand-punktes anzustreben scheinen, verlieren sie zunehmend an Glaubwürdigkeit und Überzeugungs- kraft. Dies kann dazu führen, dass die Begegnung mit menschlichen Klonen eher ausbleibt, zu-mindest in naher Zukunft. Die ersten Klone werden sowieso nur schwer als solche zu erkennen sein, da sie hauptsächlich in Form von Zellhäuflein auftreten werden.
  Je abstrakter und unoffensichtlicher aber der Prozess des Klonierens wird, desto schwieriger wird es        werden, ihn als Verstoß gegen fundamentale Werte anzuklagen und zum Gegenstand der öffent-   lichen Debatte zu machen.
Klonen ist klonen – oder nicht? „Ob ein Kompromiss zwischen ein bisschen mehr und ein bisschen weniger möglich ist, bleibt abzuwarten.“ (S.45)
 
A.F., 27.01.2001
   
Aufgaben:
 
Im Laufe der Woche finden Sie diesen Text auch elektronisch auf der HP unter „Material“
 
1.       Arbeiten Sie den Text mit Textliner durch.
 
2.       Formulieren Sie Fragen zum Text.
 
3.       Bringen Sie in der nächsten Sitzung zu den angesprochenen Aspekten Ihr Expertenwissen ein (Z.B. Silke Wiesler: Rechtliche Lage der bei In-vitro-Fertilisation überschüssigen Embryonen).
 
4.       Wenden Sie die bisher bekannten ethischen Kategorien auf den dargestellten Sachverhalt an.
Info: www.faust.fr.bw.schule.de/semkurs/argument.htm

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