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Urs Widmer:Das Buch des VatersRoman
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Nachgetragene Liebe
Widmer (1938-2014) zieht den Leser in einen Lesesog, zunächst mit einer archaisch, fast schon surreal anmutenden Szene zum 12er-Fest des Vaters, bei dem der „das weiße Buch“ (> Titel) erhält, dann durch die empathisch erzählte Biographie des Vaters, die gleichzeitig – wie bei Axel Capus – Geschichte des 20. Jh. ist. Rechtzeitig kommt der Sohn, also der Erzähler ins Spiel. Stilistisch immer in Apposition: „… hörte er das Kind, seinen längst erwachsenen Sohn, mich, die Treppe hinunterkommen.“
Das Buch ist „nachgetragene Liebe“ (Härtling). Es erzählt so plastisch von der Schweiz, dass man die Laternen des Morgenstraichs oder die Hütten der Schweizer Alpen wie Fotos/Filme vor sich sieht. Widmer – den ich 1995 ja 3 Tage lang kennengelernt hatte – erzählt einfühlsam, empathisch und sehr poetisch! Ein Roman, den man in einem Zug (oder auch Flugzeug !) lesen kann und der seine Qualitäten im Plot, im Thema und im Stil zugleich hat. Viel Frankophilie wird vermittelt: Der Vater ist promovierter Romanist.
Michael Seeger, 18. Januar 2017
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