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Markus Werner:

Bis bald

München (dtv 12112) 1995, 92006, 224 S., 8,00 EUR, bei dtv vergriffen

ISBN: 3-423-12112-5

gelesen Juni 2020

 

Werner

Schließlich gelassen dem Tod entgegen

Schon 21 Jahre vor seinem Ende setzt sich der Autor mit dem Unvermeidlichen auseinander.

 

Als Singlemann alleine in Tunesien unterwegs erleidet der Ich-Erzähler einen Schwächeanfall, welcher sich schon im Gastland als veritabler Herzinfarkt herausstellt. Zurück in der Schweiz setzt sich der Held - zunächst ignorant und widerwillig - dann immer bewusster mit seinem Verfall auseinander und muss zur Kenntnis nehmen, dass in seinem Fall nicht einmal mehr eine Bypass-OP hilft, sondern nur noch eine Herztransplantation:

"Ich habe nicht gezaudert, ich habe sofort zugestimmt, und seither rinnt der Sand vernehmlicher, gleichzeitig, welch ein Widersinn, ist mir, als sei der Fluß gestaut." (S. 220)

Aber schon bald entschließt er sich, sein Zuhause, sein "Wartezimmer" wieder in "eine gute Stube" rückzuverwandeln: "Es gibt Musik, habe ich gedacht, ich höre sie, und ich verglühe trotzdem. Dann habe ich geraucht, ich bin gelöst gewesen, ich habe Doktor Kiesling angerufen und ihn beauftragt, mich zu streichen. (S. 223f)

Der Roman ist ähnlich strukturiert wie Julie Zehs "Neujahr": Ein Anschlag auf den eigenen Körper während einer Reise gibt den Anlass, das eigene Leben zu erinnern: die wenigen Erfolge und die heftigen Rückschläge, das Scheitern - vor allem in der Liebe (zu/mit Regina).

Der melancholische Grundton erfasst auch den Leser, der aber aufwacht, wenn der Ich-Erzähler die Welt mir sarkastischer Kulturkritik überzieht:

"Gang durch die klägliche Medina (Hammamets), alles verdorben, alles verwüstet, nichts als Folklore und nordische Bäuche, Tourismus muß strafbar werden. Am Handgelenk gepackt, in ein Geschäft gezerrt, mit Lederkamelen und Kamelleder bedroht, Flucht auf die Kasbah, Rentnerinnenschenkel, von Böen entblößt, Flucht an den Stadtrand, dort dann das Unverfälschte: ein Souk für Hiesige, bunt und betäubend, Schrauben, Gewürze, Hühner, alles, dabei die Scham, hier einzudringen, verschleierte Frauen zu streifen, und plötzlich Gemurmel und finstere Blicke, ein Weib, ein blondes T-Shirt-Weib in schwarzen Stiefelchen und schändlichen Hotpants wedelt sich durchs Gewimmel, bauchnabelfrei, bauchnabelfrei!" ( (S. 9)

Ich trauere um den schon vor vier Jahren verstorbenen Schriftsteller (Lungenemphysem!), dessen Roman "Am Hang" auch in der Verfilmung überzeugt. Ich hätte noch gerne mehr Bücher von ihm gelesen.

Michael Seeger, 05. November 2020

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