Michael Seeger Rezensionen Forum

Riese

Kazuo Ishiguro: 

Der begrabene Riese

2015; deutsch: München 2016 (Heyne 42000)
414 S., 9,99 EUR

gelesen Dezember 2017

>> Was vom Tage übrig blieb

Autor

Langweiliger "Abenteuer"roman

 

Wenn der von mir so geschätzte Daniel Kehlmann den jüngsten Roman des Literaturnobelpreisträgers 2017 euphorisch feiert als "phantastisch unterhaltsam und historisch relevant" (http://www.badische-zeitung.de/literatur-und-vortraege/der-englische-samurai--142952190.html), ist es keine Frage, zu welchem Buch man als zweites greift, um zu verstehen, warum Ishiguro nobelpreiswürdig ist. Das Ergebnis ist ernüchternd. Statt der versprochenen Spannung stellt sich bald eine öde Langeweile ein. Eine andere Kritikerstimme sagte, dass, wer vom Fantasie-Genre prinzipiell nichts hält, hier die Nagelprobe machen könne. Fazit: Ich bin nicht fantasiegeeignet! Mit der Drachin Querig, welche den Protagonisten die Erinnerung vernebelt, kann ich ebensowenig anfangen wie mit dem überraschenden Auftauchen des greisen "historisch relevanten" Artus-Ritters Gawein.

Ein großer Schriftsteller darf ja nicht nur Plots erfinden, er muss vor allem durch die Sprache und Erzähltechnik überzeugen. Der Roman besteht zu großen Teilen aus Dialogen, welche noch gestelzter wirken als im Butler-Roman. Statt der von den Rezensenten versprochenen Spannung und action wird endlos geschwafelt, etwa vor dem finalen Zweikampf zwischen Wistan und Gawein: "Niemals denke ich gut von einem Krieger, der auf die schnell gezogene Klinge setzt, um sich einen Vorteil gegenüber dem Gegner zu verschaffen. Lass uns also mit gezogenen Schwertern aufeinander zugehn, wie du es vorschlägst. (...) Also gut, Herr. Mit deiner Erlaubnis." (s. 376 f). Teilweise erinnern die Dialoge an die manirierten Gespräche in den Karl-May-Abenteuerromanen.

Ishiguros Erzählhaltung ist völlig disparat. In personaler Innenschau lernen wir das Erleben nicht e i n e r sondern m e h e r e r e r Figuren kennen, ohne dass der Perspektivwechsel motiviert wäre. Dann geriert sich der Erzähler wieder allwissend mit nervender Leseradressierung: "Ihr fragt euch vielleicht, weshalb Axl nicht seine Nachbarn bat, ...." (S. 14), um sich im letzten Kapitel wertend und richtend als auktorialer Ich-Erzähler in den Fährmann (Charon??) zu verwandeln, welcher das wandernde alte Ehepaar Axl und Beatrice auf die Insel mit dem Denkmal des verstorbenen Sohnes übersetzt: "Du und dein Mann seid ein Paar, wie wir Fährleute es selten zu Gesicht bekommen. Ich habe eure ungewöhnlich innige Verbundenheit gesehen, ...." (S. 401)

Für mich war die Lektüre weder Unterhaltung noch Einsicht in philosophische Grundfragen, sondern gelangweilte Zeitverschwendung. Damit schließe ich das Kapitel Ishiguro.

 

Michael Seeger, 18. Dezember 2017

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