Michael Seeger Rezensionen Forum

Krüll

 

Marianne Krüll

Im Netz der Zauberer.

Eine andere Geschichte der Familie Mann.

Fischer 11381, (Zürich 1991) Ffm 1993, 527 S, 13,95 €

ISBN 3-596-11381-4

gelesen September 1998 

Krüll-Cover

„Im Netz der Zauberer“ verstrickt!

 

M.K. kennt sich ganz gut im Werk und Leben Klaus Manns aus, mit dem sie auch einige Empathie verbindet. Sein Selbstmord ist Ankerpunkt und Rahmen der Monograhie, wobei schnell deutlich wird, worauf sie hinaus will: Schuldzuweisung. Erstens gegenüber dem Über-Vater, zweitens gegenüber dem Netz und den Schatten, die – wie in der griechischen Tragödie etwa der Tantalidenfluch – über dem Geschlecht als unausweichliches Schicksal liegen.
Soweit sie die von Harpprecht her bekannten und neue Fakten liefert ist das in schlichter Parataxe leicht geschriebene Buch lesenswert. Die feministische Soziologin M.K. möchte sich aber gar nicht mit den Fakten begnügen, sondern das Netz stricken, das sie dann über die Mann-Männer werfen kann.
Unausweichlich wirken die Schatten über Generationen nach. Besonders stark sind die Gene des „Großen Blonden“ (Johann Ludwig Hermann Bruhns/Joao Luiz Germano, geb. 1821, gest. 1893 in Kassel). Die Mann-Mutter Julia hat dann von diesem großen Blonden die meisten Gene an Heinrich weitergegeben, so dass sie für Thomas kaum noch welche übrig hatte! Der musste dann als verwöhnter Mama-Liebling immer den erstgeborenen Heinrich ausstechen und ihm die Geige kaputtmachen. Dies hielt ein Leben lang. Letztlich hat er auch seine Kinder kaputtgemacht. Seine Schwestern und seine Frau sowieso!
M.K. ist eine begeisterte Psychosomatikerin. Da darf niemand an einer Herz- oder Krebskrankheit sterben, auch nicht Mitte 60 im 19. Jh., ohne dass sie danach fragt, welche psychische Deformation diesen Infarkt, jenen Krebs ausgelöst hat. Sie findet immer Antworten. Da all diese Spekulation nicht gesichert ist, kommt es immer kompakt am Kapitelende in rhetorische oder Ob-Fragen gekleidet. Da atmet das Buch viel weiblich Logik. Da Thomas homoerotische Neigungen hatte und beide Dichter-Brüder gerne Inzest-Geschichten phantasierten, findet die Autorin natürlich herrliches Futter für ihre ödipalen Ergüsse.

Beliebt ist bei ihr auch die von Literaturwissenschaftlern scharf kritisierte „Schüler-Methode“, von einer Roman-Figur, die der Autor via Montagetechnik mit Zügen wirklicher Menschen ausgestattet hat, auf eben jene Personen zu schließen, ja die Stories sogar als Beweis für schlüpfrige Homo-Thesen etc. zu nehmen. So ist es offensichtlich das Ziel der Autorin, methodisch die Ob-Fragen so zu lancieren, dass die suggerierten Antworten im Bewusstsein des Lesers zu Tatsachen werden.
Hier zwei symptomatische Textauszüge:

"Die Geschichte von Thomas Manns unterdrückter Homoerotik ist damit aber noch nicht zu Ende erzählt. Wir werden später sehen, wie sie sich in seinem weiteren Leben manifestierte, wie dieser »Typ«des begehrenswerten blonden, jungen Mannes ihm noch viele Male in seinem Leben begegnete. Es sei nicht vergessen, daß auch Heinrich, Thomas' Bruder, diesem Typ entsprach. Die Verliebtheit in die Blonden, Blauäugigen könnte also auch als Ausdruck von Thomas' Sehnsucht nach dem Bruder angesehen werden.
Hat Thomas möglicherweise in Armin Martens und Paul Ehrenberg seinen Bruder gesucht, jenen Heinrich, der als Kind ein unerreichbares Vorbild für ihn gewesen war, dem er die Geige, das Symbol für dessen Selbstwertgefühl, heimlich stehlen mußte, um daran teilzuhaben? Möglicherweise gab es über Heinrich eine verborgene Verbindung zum "großen Ludwig", dem starken Großvater, dem Heinrich vielleicht mit seinen Frauengeschichten nachstrebte und der für Thomas völlig unerreichbar war. Thomas' Homoerotik könnte genährt gewesen sein von dem Wunsch, seinen Bruder Heinrich zu vereinnahmen, ihn ganz für sich zu haben und somit an einer männlichen Stärke teilzuhaben, die er selbst wegen seines »Prinz-sein-Müssens« für die Mutter - nicht in sich fühlte." (S.167)

„Und warum wurde Katja lungenkrank? Welcher seelische Schmerz fand in der Tuberkulose seinen Ausdruck? Es kam sicher vieles zusammen, was ihr das Gefühl gab, in einer Falle zu sitzen, „keine Luft mehr“ zu bekommen.“ ...(S. 205)

Michael Seeger, 11. September 1998

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