Michael Seeger Rezensionen Forum

Andreas Maier:

Wäldchestag

Roman


Suhrkamp, Fankfurt/M. 2000
315 Seiten, als TB 9,99 EUR

 

Hessisches Gebabbel

Der Konjunktiv läuft sich tot

Warum liest man solches Buch? Für mich als Deutsch-Didaktiker eilte ihm der Ruhm voraus, es handle sich um einen Roman, welcher komplett im Konjunktiv verfasst sei. Das stimmt nicht ganz, denn gelegentlich wechselt der Erzählstrom - völlig unmotiviert - in die direkte Rede:

"Er habe ein handwerkliches Geschick, das wisse sie, er bastle draußen ... an Motoren herum. Dann soll er doch eine Ausbildung machen. Warum macht er denn keine Ausbildung? Kurt Bucerius macht ja auch eine Ausbildung. Und dann das mit China! Schossau, sag einmal selbst, was ist das überhaupt für eine Idee! Mit diesem Bus nach China! Wenn man keine richtige Beschäftigung habe, komme man immer auf falsche Gedanken." ...(S. 33)

Die Passage gibt einen Eindruck vom Inhalt und Stil des Erzählten. Es ist weniger ein Erzählstrom, als ein Redestrom, besser eine Geschwätz-Suada, ab- und losgelassen von den Protagonisten einer Wetterauer Dorfgesellschaft, welch nichts erlebt und daher im Gerüchteküche-Reden über andere die wahre Selbsterfahrung und Selbstbehauptung erfährt. Es passiert also so gut wie gar nichts - gut, es wird, wie es sich für den Wäldchestag gehört, ordentlich gesoffen - dafür wird umso mehr geredet. Ich habe bei vielen Hessen die Erfahrung gemacht, dass sie extrovertiert alles rauslassen, was drin ist. Wenn das draußen ist, sind die Menschen leer. Diesen Typus zeichnet Maier dutzendhaft.

Man fragt sich, warum das alles durchgängig im Konjunktiv berichtet werden muss, der noch nicht einmal grammatikalisch konsistent duchgehalten werden kann. Außer der schlichten Einsicht, dass der Erzähler sich dadurch von der erzählten Welt distanziert und diese Welt nur als Geschwätz Wirklichkeit werden lässt, fällt mir nichts ein. Man hätte aber schon gerne gewusst, wer denn dieser Erzähler und was das Motiv seines Erzählens ist. An einer Stelle taucht dann wie Phönix aus der Asche ein auktorialer Erzähler auf: "Aber dazu später." (S. 243), um sofort wieder zu verschwinden.

Neben dem allgemeinen Dorfgewäsch bekommt der Roman gelegentlich eine melancholisch-existenzielle Tiefe, wenn die Figur Wiesner in (Selbst)Gesprächen etwa so räsoniert:

"Ich werde nicht mehr an die Vergangenheit denken, ich werde auch an keine Zukunft denken. Bucerius, ich kann diesen ganzen Unsinn nicht mehr ertragen. Ich möchte endlich meine eigenes Leben führen, verstehst du das! Ich habe keine Lust mehr (...), wie ein kleines Hündchen dazusitzen und nachher auf das Treffen mit der Katja zu warten, ich will das alles nicht mehr, ich möchte das aus mir herausbekommen, und ich schließe es jetzt einfach aus mir aus. Ich tue nichts mehr. Ich habe keine Verpflichtung. Nichts. Wenn ich morgen sterbe, ist mir das egal, und wenn du jetzt aufspringst und mir eine Bierflasche über den Schädel haust, dann ist es mir auch gleichgültig, denn ich werde auch das genießen, verstehst du, genießen! Ich schwöre hiermit auf den Augenblick. Besiegelt!" (S. 237f)

Dieser aufgesetzt wirkende Existenzialismus kommt im allgemeinen Wäldchestag-Gebabbel aber wie ein Fremdkörper daher. Fremdkörper bleibt die Lektüre bis zum Schluss und der Leser wundert sich über die Lobeshymnen auf diesen Debütroman.

Michael Seeger, 23. Juni 2017

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