Hinterher ist man immer schlauer. Man hätte es aber auch schon vorher sein können, spätestens seit Russlands Annexion der Krim 2014. Die Autoren waren schon in der Vergangenheit dem imperialen Russland gegenüber kritisch; die meisten Politiker in Deutschland leider nicht, allen voran die prominenten SPD-Granden: Schröder, Steinmeier, Gabriel, Patzeck, Heino Wiese (mir bis zur Lektüre unbekannt), Schröder-Köpf, Weil, Sellering, Schwesig, Woidke, Voscherau, v. Dohnanyi, Eppler, Momper und leider auch Klingbeil in seinen früheren Jahren. Das Buch liest sich fast wie ein Thriller und lässt einen als SPD-Sympathisanten frustriert zurück. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass die fast schon "heilige" Entspannungspolitik der Brandt und Bahr machtpolitisch blind war und dass deren "Friedens-Erbe" die Partei-Nachfahren dem gefräßigen russichen Bären ausgeliefert haben. Nur wenige haben dem fatalen SPD-Mainstream Widerstand geleistet: Heiko Maas, Michael Roth, Nils Schmid, in Ansätzen Martin Schulz, Fritz Felgentreu. Von Gernot Erler ist nur eine Bemerkung dokumentiert. Aus ökonomischem Interesse waren die Wirtschaftsführer Warnig, Mangold, Maschmeyer, Tönnies, Roßmann, Knauf ..., organisiert über den Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, Teil des Kartells. Auch Unionspolitiker waren z.T. heftig in die Moskau-Connection verstrickt wie auch der Künstler Lüpertz.

Die Autoren haben tiefgründig mit zahllosen Belegen recherchiert, dass und wie Putin - männerbündisch und geheimdienstlich - die eitlen, macht- und geldgeilen Deutschen an sich und seine imperialen Interessen gebunden hat. Immerhin hat Merkel - nach dem Hackerangriff auf den Bundestag und ihren persönlichen E-Mail-Account - dies schon früh als "hybride Kriegsführung" erkannt, gleichwohl aber immer wieder auch beschwichtigt, weil sie wie Steinmeier ("Nebenkanzler") wenigstens über das Wirtschaftliche (Nordstream 2) eine Brücke zum autoritären Russland halten wollte.

Im Schlusskapitel versuchen die Autoren, eine Logik für die freiwillige Abhängigkeit vom bellizistischen Russland zu finden. Neben Testosteron, Herrenabenden, Korruption und echter Friedensliebe machen sie auch ein gehöriges Stück Antiamerikanismus aus. Interessant ist auch, wie sich Niedersachsen mit seiner Hauptstadt Hannover als das Epizentrum einer SPD-Nebenaußenpolitik aufbläht. Hier entstand auch der für Schröder so wichtige "Soziotyp des SPD-nahen Kapitalisten" vom Schlage Maschmeyer, Rürup, Hartz, Roßmann. Geradezu als Russen-Kitsch müssen dem Leser die rauschende Feste mit Kaviar, Krimsekt und Wodka in der russischen Botschaft erscheinen, bei der die Gala-Politiker so gerne brillierten.

Es müssen unzählige Gespräche gewesen sein, mit denen die Autoren die Mosaiksteinchen zum diabolischen Wimmel-Bild zusammengetragen haben. Sicherlich wurde da manchem Informanten Quellenschutz/Vertraulichkeit zugesichert. Ärgerlich bleibt es dennoch, wenn es nach wörtlichen Zitaten heißt, sagt "ein ranghohes Regierungsmitglied" (S. 191), oder "diese Darlegung wird von informierter Seite bestätigt." (S. 232). Bewusst ist das Buch im Präsens verfasst, wohl um den Reportagecharakter hochzuhalten. Das aber geht im Präsens gar nicht: "Damals sprechen ...." (S. 164).

Davon abgesehen ist die Recherche ausgesprochen verdienstvoll. Ich frage mich allerdings, warum das Buch so wenig Resonanz erfahren hat, warum die Lanz' und Illners ihre Gesprächspartner nicht auf unangenehme ehemalige Positionen festnageln. Bei der Opposition ist es klar:

"Es gibt in Deutschland ... keine Partei, die Interesse an ... einer vertieften Ursachenforschung hat". (S. 276)

Michael Seeger, 07.08.2023

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