Michael Seeger

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Rezensionen

 

Hier werden gerne Ergänzungen/Kritiken der Leser veröffentlicht.

 

zu G. Grass:

"Im Krebsgang"

 

1) 07. November 2002

Sehr geehrter Herr Seeger,

mit Interesse habe ich Ihre Rezension zu Günter Grass' neuestem Werk "Im Krebsgang" im Internet gelesen. Ihrer literarischen Wertung der Novelle kann ich freilich nicht zustimmen. Das Konstruktionsprinzip der verschiedenen Erzählebenen, die sich im Verlauf der Handlung zunehmend als komplementär zueinander erweisen und sich daher am Ende auch immer stärker durchdringen, finde ich sehr gelungen.  Dadurch dass Grass sich dem Gustloff-Thema aus mehreren Perspektiven "im Krebsgang" nähert, ist seine Novelle eben gerade nicht dogmatisch oder oberlehrerhaft, weshalb ich Ihren Vorwurf, alles sei "sehr belehrend", nicht teilen kann. Dass die historischen Fakten sehr genau und gut recherchiert sind, empfinde ich nicht als störend bei der Lektüre. Grass geht zu seinem Sujet ja keineswegs auf Distanz; das Spiel zwischen dem Ich-Erzähler und dem "Alten" als Kontrollinstanz im Hintergrund würde ich eher als ein stilistisches Mittel sehen, mit dem Grass das "Versäumnis", nicht früher über die Geschehnisse berichtet und das Thema den (nicht grundlos häufig des Revanchismus bezichtigten) Vertriebenenverbänden überlassen zu haben, sprachlich geschickt reflektiert. Schon der Beginn der Novelle ist wie in Stein gemeißelt: "Warum erst jetzt, fragte jemand, der nicht ich bin". Von "uneigentlichem Erzählen" kann hier keine Rede sein! Da die historische Ebene in die private familiäre Gegenwart Paul Pokriefkes und seines Sohnes Konny hineinwirkt, kann man auch nicht über einen Mangel an fiktivem Geschehen klagen. Im Gegenteil ist meiner persönlichen Ansicht nach "Im Krebsgang" auch aus dem Grund so fantastisch gelungen, dass sehr spannend und zielstrebig im Hinblick auf die beiden dramatischen Höhepunkte - den Untergang der "Gustloff" und den Mord an Wolfgang Stremplin - hin erzählt wird, was den neuen Grass zu einer gut geeigneten Schullektüre macht - nicht zuletzt auch, weil die Generation von Konrad Pokriefke und Wolfgang Stremplin ein großes Identifikationspotential für die SchülerInnen darstellt, das die Thematisierung der Gegenwartsrelevanz von Geschichte und des Problems des Rechtsradikalismus ermöglicht. Daher sollte man "Im Krebsgang" nicht als "Enttäuschung" abtun, sondern gerade auch für den Deutschunterricht fruchtbar machen. Zu einer differenzierteren Sichtweise kann das Buch mit seiner Vielschichtigkeit (Frankfurter, Marinesko, Tulla Pokriefke...) allemal beitragen. Und das sollte man bei diesem wichtigen Thema nicht ignorieren, denn wir wissen ja: "Das hört nicht auf. Nie hört das auf."

In der Hoffnung, die eine oder andere Anregung zu Ihrem Internet-Auftritt geben zu können, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen

T. Wiese, Universität Osnabrück


2) 21. Februar 2003

Ich habe mit Interesse deine Kritik zu Walser gelesen - der ich bis ins letzte Komma zustimme: Ich hatte sogar den Verdacht, dass Walser "absichtlich" ein schlechtes Buch schreiben wollte. Kann man seinen Erzählstil so verlieren? Zu Grass kann ich nichts sagen, ich habe das Buch nach ein paar Seiten weggelegt - es war mir zu verquast!

Dr. Felix Emminger, LBI Santiago de Chile

 

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