Michael Seeger | Rezensionen | Forum |
Suhrkamp 978-3-518-36812-1 |
Hermann Hesse: Roman (1914)Bertelsmann Lesering 1961; 161 S. gelesen: im ICE 370 nach Berlin am 10.03.2025 |
Noch Luft nach oben bis zum Literaturnobelpreis
War das tatsächlich der Durchbruch des späteren Großschriftstellers? Man glaubt kaum, dass dieser Roman vom Autor des "Steppenwolf" und "Narziß und Goldmund" stammt.
Die Ehe muss den jungen Autor sehr belastet haben, so dass er quasi als Verarbeitung einer zum Scheitern verurteilten Lebensgemeinschaft diesen Ehe- und Künstlerroman schreiben musste. Stilistisch mutet das Werk impressionistisch an, es plätschert so dahin, ohne wirklich zu berühren: Der Maler Johann Veraguth zieht sich auf dem ostelbisch anmutenden Anwesen in sein Atelier zurück, lässt dort drei Räume anbauen, um ja nicht seiner Ehefrau zu nahe zu kommen. Die Ehe ist eigentlich schon erledigt. Der ältere Sohn Albert will vom Vater nicht mehr viel wissen, hängt ganz an der Mutter Adele. Mit Adele pflegt Johann lediglich noch gelegentlich gemeinsame Mahlzeiten. Dabei buhlt er um die Nähe und Gunst des siebenjährigen Sohnes Pierre, den er am liebsten ganz für sich hätte. Da Adele den Kleinen nicht frei gibt, wird die Ehe noch aufrecht erhalten.
Das Buch atmet in der Darstellung des sozioökonomischen Milieus ganz den Geist des Kaiserreichs. Da ist der willfähriger Diener Robert stets zur Stelle, dem der Herr kurz vor der Entlassung ausredet zu heiraten. Die Mägde besorgen den Haushalt, für den aus Indien angereisten Freund Otto werden für zwei Wochen die Zimmer gerichtet. Der umwirbt den Maler, ihn nach Indien zu begleiten. Großzügig werden die finanziellen Angelegenheiten gereget. Regelmäßig wird der kleine Pierre gefragt, was er denn einmal werden wolle. Der geht nicht darauf ein und möchte lieber ein Vogel sein.
Die emotionale Energie Veraguths ist ganz auf den kleinen Pierre fokussiert, vor allem als dieser erkrankt:
"... er sank in ihren Armen zusammen, und da sie ihn aufhob, stöhnte er schwach, senkte gequält das erbleichte Gesicht vornüber und schüttelte sich in einem Anfall von Erbrechen." (S. 113)
Der Leser ahnt schon hier, dass es sich um eine Gehirnhautentzündung handelt, und bevor der Arzt dies bestätigt, weiß man schon, dass der Junge sterben wird. Davor entschließt sich Johann, auf seinen Sohn Johann zu verzichten, weil er tatsächlich nach Indien reisen will. Durch den Verzicht fühlt er sich erstmals seiner Frau Adele überlegen (S. 121).
Fast zwangsläufig stirbt Pierre, was den Maler kaum berührt:
"Es war einzig Veraguth, der über alle Tatsachen hinweg bis zum letzten Augenblick seine Rolle weiterspielte und die Maske festhielt." (S. 155)
Das Finale zeigt den Maler als einsamen, aber nicht gebrochenen Mann, der eine neue Lebensstufe besteigt. Das Gedicht STUFEN klingt dem Leser in den Ohren.
"Er war, das sah er ganz genau, trotz allen Versuchen (sic!) und trotz aller nie ganz erloschenen Sehnsucht am Garten des Lebens vorübergegangen. ... Was ihm blieb, war seine Kunst. ... voll Trotz und unternehmerischer Leidenschaft sah er dem neuen Leben entgegen. ... Später und bitterer vielleicht, als Männer sonst es tun, hatte er von der süßen Dämmerung der Jugend Abschied geenommen. ..." (S. 158)
Soweit der Erzählkommentar des STUFEN-DICHTERS. Während etwa Thomas Manns ZAUBERBERG eine zwingende Aktualität versprüht, scheint Hesses Künstererzählung doch arg aus der Zeit gefallen.
Michael Seeger, im ICE 370 am 10.03.2025
© 2002-2025 Michael Seeger, Letzte Aktualisierung 10.03.2025