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Michael Köhlmeier:Madalyn (Hanser) München 2010, 173 S. ISBN 978-3-423-14127-7 gelesen 16/17.08. 2013 |
Was ist Wahrheit, was ist Lüge?
Eine recht anrührende Liebesgeschichte, die etwas an „Tschick“ erinnert, weil der 16-jährige Moritz, der notorische Lügner, auch so ein nicht zu fassender Typ ist. Spielt in Wien und erinnert in Teilen („eh“, Lokalkolorit) durchaus an Nöstlingers „Einen Vater hab ich auch“. Eigentlich ein Jugendbuch. Der auktoriale Ich-Erzähler Lukasser, den wir ja schon aus „Abendland“ kennen, verabschiedet sich über viele Dutzend Seiten, um im Finale wieder mächtig, nämlich als Wiederholungs-Lebensretter für Madalyn, aufzutauchen. Dazwischen schildert er das Innenleben der 14-Jährigen gekonnt und als Kenner weiblicher Pubertät. „Ein profunder Kenner ihrer Seele“ (Bruno Ganz in „Pane e tulipane“) Dabei erfahren wir die Seelen- und Phantasie-Zustände des Mädchens vor allem in inneren Monologen und in erlebter Rede – eben in monoperspektivischer personaler Erzählhaltung. Es wird aber so berichtet, als habe Madalyn dem Schriftsteller das alles beim Mittagessen im Restaurant erzählt. Wie der Erzähler aber zur Schilderung der inneren Vorgänge des Mädchens tatsächlich kommt, bleibt ein narratologisches Rätsel.
Von diesem Desiderat abgesehen – wir wollen es verzeihen, weil es geradezu konstitutives Kennzeichen der Literatur des 3. Jahrtausends zu sein scheint – ist der Plot überzeugend und mitreißend. Vor allem, weil sowohl für die Protagonistin, den Ich-Erzähler und damit natürlich auch für den Leser bis zum Schluss in der Schwebe bleibt, was Wahrheit und was Lüge ist. Das bezieht sich nicht nur auf den Freund Moritz, sondern auch auf die Mutter, die ambivalent zwischen böser, hysterischer Rabenmutter und verständnisvoller Freundin gezeichnet wird.
Michael Seeger, 18.August 2013