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Oliver Bottini: Im Sommer der Mörder Kriminalroman S. Fischer TB 16638, Frankfurt 2006 (42008), 457 S., 8,95 EUR |
"Das Leben davor - das Leben danach ..."
Im mörderisch heißen Juli 2003 löst ein zunächst als harmlos erscheinender Schuppen-Brand auf einer Weide nahe Kirchzarten eine Großfahndung der Freiburger Kripo aus, an deren Ende 7 Leichen zurückbleiben und die PHK'in Louise Boní, die nach einer Entziehungskur durch die Ermittlungen wieder in ihr altes Leben hineingleitet, leicht verändert, was aber im wesentlichen nur sie selbst wahrnimmt. Ihre polizeiliche Umgebung bis hinauf zum "Gemeinsamen Zentrum der deutsch-französischen Polizei- und Zollzusammenarbeit in Kehl" und vielleicht bis zum LKA in Stuttgart nimmt sie stigmatisiert als Alkoholikerin wahr. Dabei bekämpft Louise tapfer die "Dämonen", die vor allem nachts in ihrer Wohnung auf sie lauern. Nicht nur deswegen durchlebt sie 5 fast schlaflose Tage und Nächte. Neben den Aufregungen der harten Kripoarbeit lässt sie auch der nachtherapeutische Versuch, ihr Leben neu zu gestalten, nicht mehr schlafen. 43 Jahre alt, durchaus attraktiv, sucht sie einen Halt, eine Mitte in ihrem Leben, das auch von Polizistenleichen gepflastert ist, an deren Tod sie sich nicht ganz unschuldig fühlt. Den "Mitternachtsmann", den jungen Anatol hat sie verabschiedet, mit dem "Wintermann", einem distinguierten Wissenschaftler sucht sie ein Comeback; ob es gelingt, bleibt offen.
Für den Leser nicht mehr offen ist am Ende das verwobene Netz der eigentlichen atemberaubenden Krimistory: Unter dem Schuppen war ein Waffenlager, das nach dem Brand explodierte, angelegt von bosnisch-pakistanischen Terroristen, die sich gegenseitig bekämpfend es schließlich gesprengt haben. Als Feind-Freund und Rettung sowie reale Bedrohung für Louise kommt ein anonymer CIA-Profi mit seiner Mannschaft hinzu, der mit den Mitteln des Terrors die Demokratie schützen will. In die hochbrisante Affäre mischen sich das LKA, das BKA, der BND und das Auswärtige Amt ein und bringen die erhitzte, von argwöhnischer Konkurrenz geprägte Situation in den verschiedenen Ressorts der Freiburger Kripo noch weiter durcheinander.
Am Ende
sind die Terroristen besiegt: getötet oder verhaftet. Boní- erneut schwer
verwundet - sucht ihre frühere Mitverantwortung am Tod und schwerer Verletzung
von Kollegen gutzumachen, indem sie das Grab des ersten und den finalen
Aufenthalt des zweiten diesen in Konstanz aufsucht. Da sich für
ihr privates Glück keine sichere Perspektive ergibt, wirft sie sich weiter
risikofreudig und bedenklich zugleich in das abenteuerliche Ermittlerleben: "Manchmal
kommt es nicht darauf an, was man darf, sondern was notwendig ist!"
Der Roman besticht weniger durch seine - gegen Ende allzu ins Große ausgreifende - Story, als durch die packende Erzählweise Bottinis. Ein realistisches Lokalkolorit, eine gute Recherche der Polizeiarbeit bis ins Detail und die Fähigkeit, durch die Verbindung von Einzelschicksalen mit der Krimistory den Leser zu fesseln, machen die Faszination des Buches aus. Man versteht und akzeptiert die Schrulligkeit des Kirchzartener Postenleiters ebenso wie die Fast-Kapitulation des Kripoleiters, eines wirklich guten Menschen oder die schlichte Frauensolidarität der "kleinen" Polizistin Susi. Der Leser, zumal wenn er selbst ein Freiburger ist, verschlingt das Buch in einem Zug und mag es nicht mehr beiseite legen.
Bottini überrascht inmitten der akzelerierenden Handlung mit wahrhaftigen Aussagen über den Sinn des Lebens - nicht nur das von Polizisten. Es ist keine weit hergeholte Philosophie, auch kein platter Zen-Guru-Kitsch, sondern das Movens unseres eigenen Lebens inmitten beruflicher Betriebsamkeit, was uns gelegentlich immer wieder fragen lässt: Wozu eigentlich diese Anstrengung und Gefahr?
© 2008 Michael Seeger, Letzte Aktualisierung 07.08. 2008