Versönliche Verwechslungen und Zufälle

Wenn man schon auf dem Dorothenstädtischen Friedhof in Berlins Chausseestraße vor Arnold Zweigs Grab stand, kann man auch - wieder zu Hause - getrost einmal ins Regal greifen und den Erzählband herausnehmen. Die kurzen und kurzweiligen Texte eignen sich bestens als Einschlaflektüre: leicht, humorvoll atmen sie den Geist eines tiefen Humanismus. Die Spuren des Ersten Weltkrieges sind zu sehen und zu spüren, aber über der Gegenwart liegt der Segen des Friedens. Wir wisssen ja, dass Zweig sich während des Ersten Weltkrieges vom Militaristen zum Pazifisten gewandelt hat. Und so ist in der Titelerzählung (1926) das zuhauf vergossene Blut des Krieges nur noch blasse Erinnerung und wird schön kontrastiert mit zwei Tropfen Blutes, welche auf den Daumen eines Einzelhändlers in Berlin rinnen. Der verkauft - aufgrund zufälliger Verwechslung - an einen geizigen Schotten erfolgreich ein Rasierklingenschleifgerät. Was sich als alltägliche Begegnung zweier ehemaliger Feinde abspielt, kann fast schon Männerfreundschaft genannt werden. Michael Seeger, 18. Januar 2023   © 2002-2023 Michael Seeger, Letzte Aktualisierung 18.04.2023