Michael Seeger | Rezensionen | Forum |
Franz KafkaDer Verschollene (Amerika)[1911-1914], Anaconda Köln 2009,320 S., 3,95 € ISBN: 78-3-7306-0234-8 gelesen März 2015
|
Für Kafka-Tragik geradezu heiter!
Im Gegensatz zu „Schloss“ und „Prozess“ sind die grotesken Züge hier so stark, dass das Geschehen den Leser geradezu erheitert. Immer wieder musste ich lachen. Den – natürlich jeweils verhängnisvollen - Fortgang der Geschichte kann man vorausahnen. Zwar fehlt es auch hier nicht an hoffnungsstiftenden Helferfiguren beiderlei Geschlechts (Oberköchin!), doch ist die Abwärtsspirale unausweichbar. Dem jugendlichen Helden Karl Roßmann kommt dies alles aber gar nicht so sehr ins Bewusstsein, so schnell richtet er sich nach kurzen Protestanläufen in der je schlimmeren Situation ein und zeigt für seine Peiniger immer auch Verständnis. Die amerikanische Welt ist ein Riesenbetrieb (40 Liftjungen im Hotel Occidental!), streng hierarchisch beamten-mäßig organisiert, obwohl alles Privatwirtschaft ist! Die Vergleiche zu den Gerichtszimmern im "Proceß" drängen sich auf. Schuld ist ein zentraler Begriff, obwohl Karl sich in jeder Situation ethisch tadellos verhält. Mitmenschen und Systeme sind ihm aber immer Verhängnis. Die erzählte Welt ist äußerst skurril (Oberportier, die fette Brunelda, der Student, das Theater). Die Unternehmen und der endlose Verkehr, die Menschenmassen sind Signum der anonymisierten amerikanischen Maschinenwelt.
Wie bei Kafka üblich erlebt der Leser die Erzählte Welt aus der eingeschränkten Perspektive des naiven Protagonisten. Mit dem Mittel der erlebten Rede, wovon Kafka hier reichlich Gebrauch macht, wird der Leser hinein in den Bann des absurden Geschehens gezogen und legt das leicht lesbare Buch nicht mehr aus der Hand.
Im Vergleich zum Proceß eine leichte Kost!Michael Seeger, 26. März 2015
© 2002-2022 Michael Seeger, Letzte Aktualisierung 19.10.2019