| Michael Seeger | Rezensionen |
Renate FeylDas sanfte Joch der VortrefflichkeitKiepenheuer & Witsch, Köln 1999 ISBN: 3-453-21112-X 9,00 € gelesen im Oktober 2025 |
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Renate Feyl schlüpft meist glaubwürdig als Ich-Erzählerin in die Rolle von Schillers Schwägerin CAROLINE von WOLZOGEN
Was Caroline in ihrer Schiller-Biografie mit "Rücksicht auf noch Lebende" (S. 313) verschweigen/unterdrücken wollte/musste, ergänzt Feyl als Alter Ego von Schillers Schwägerin auf meist authentische Weise. Sie gibt der Dichterin C. von Wolzogen einen übergroßen Schuss Feminismus mit, bleibt aber meist schön bei den historischen Tatsachen.
Wer war diese von Wolzogen? Die ältere Schwester Charlottes, welche Schiller - gerne stets zwischen beiden Frauen stehend - als Eheweib gewählt hat, weil er die jüngere, weniger intellektuelle ganz in seinem Sinne "kneten" konnte:
Sch.: "Was Caroline dir voraus hat, mußt du von mir empfangen; deine Seele muß sich in meiner Liebe entfalten, und mein Geschöpf mußt du sein. ..." (S. 64)
Caroline dagegen bleibt dem Titanen stets geistig näher, inspiriert ihn auf Augenhöhe, ist seine Muse.
Im Kaff Rudolstadt umgarnen die Schwestern den jungen Dicher-Rebellen beim fast täglichen Picknick. Charlotte hat dabei den Anstands-Wauwau zu spielen. Schließlich ist Caroline mit dem steinreichen, angesehenen von Beulwitz (unglücklich) verheiratet. Der stattet sie schön mit Luxus aus, will aber nicht mit ihr reden und überhaupt nichts zu tun haben.
"Nachts ringelte ich mich in meinem Bett zusammen und träumte, mein wohlhabender Ehemann sei eine Gipsbüste und stünde auf dem Vertiko. Ich hätte ihm gern einen Lorbeerkranz aufgesetzt, wenn mir so seine Gesellschaft erspart geblieben wäre." (S. 23)
Der Leser ahnt früh, dass es zur Scheidung kommt. Caroline widmet sich neben ihrer eigenen Schriftstellerei ganz dem Austausch und auch dem Alltagsleben mit der Familie Schiller. In Jena hält sie Nachwache am Bett des schon früh erkrankten Titanen, lässt ihre adeligen Beziehungen spielen, um dem armen Poeten und seiner sechsköpfigen Familie ein dennoch karges Auskommen zu verschaffen. Rührend für mich, erneut zu erfahren, wie Schiller jeden Pfennig umdrehen muss und erst am Ende seines Lebens eine auskömmliche Existenz führt.
Das wiederholte "Was ist schon Geld?", es komme doch auf die geistige Freiheit an, ist eher Autosuggestion als wahres Empfinden. Caroline, an Luxus gewöhnt, sucht schließlich jede Gelegenheit um in der Weimarer Hofgesellschaft ihre Rolle zu spielen. So mietet sie beim Umzug nach Weimar mehrere - gar nicht voll bepackte - Packwagen, um bei der neugierigen Sozietät der Residenzstadt schon beim ersten Auftritt eine hochadlige Aura zu verbreiten. So verkehrt sie wie selbstverständlich mit Humbold, Herder, Dalberg, auch dem "Geheimrat" - sogar unangemeldet - , ja sogar dem Herzog selbst.
Mit solch stolzer Hochgestimmtheit ist diese starke Frau ganz "ein Kind nach meinem Herzen". Sie versteht sich als "Animal disputax" (S. 282). Mir gefällt ihre Unabhängigkeit, ihre Autonomie, ihre Resilienz. Von heftigen Schicksalsschlägen - Tode, die geradezu lakonisch erzählt werden - lässt sie sich nicht "herabziehen" (S. 195).
An Selbstbewusstsein mangelt es ihr nicht. Es kommt aus ihrer Herkunft, ihrer Bildung, ihrer Kommunikationsfähigkeit und vor allem aus ihrer Formulierungskunst. Sie genießt
"den Ruf, eine ganz im Geistigen lebende Frau zu sein. Das war das beste und gefiel mir. So ließ es sich im geheiligten Weimar unter all den Erben des Lichts gut aushalten. Man war dabei und stand trotzdem fern aller Zwistigkeiten. Für mich und Wilhelm (ihren zweiten Ehemann; M.S.) nicht die schlechteste Position." (S. 159)
Voller Ironie, gar Sarkasmus, erhebt sie sich - immer leicht arrogant - über die Niederungen der Hofgesellschaft. Die ist nicht weniger borniert als das Kleinbürgertum in Rudolstadt mit "dem ewig kleinen Lebensgeklimper" (S. 30). Von Schiller lernt sie:
"Wir konnten uns hinausarbeiten zu unseren Möglichkeiten, auch unsere kleinsten Talente entwickeln und mit dem Gebrauch der eigenen Vernunft uns die Freiheit schaffen, zu der wir geboren waren. das war ein großer idealer Daseinsentwurf, der mich begeisterte. Denken statt lamentieren. Sich selbst bestimmen ...." ( S. 29)
Ihr Pflichtbewusstsein bringt sie auch dazu, die eigene Dichter-Arbeit immer wieder zur Seite zu legen, wenn Care-Arbeit gefordert ist am Krankenbett von Schiller, Charlotte, der "Chère Mère", Wilhelms ....
Also, man darf, man muss diese früh emanzipierte Frau durchaus bewundern - und Renate Feyl hat nicht nur Schillern, sondern auch Caroline von Wolzogen ein Denkmal gesetzt.
Der Feyl unterlaufen manche stilistische Anachronismen, wenn sie in der Sprache und dem Bewusstsein des 21. Jahrhunderts schreibt:
Wir wollen es ihr nahsehen, weil wir nicht nur eine großartige Frau kennen lernen durften, sondern auch viel über die pekuniäre Situation im 18./19. Jahrhundert erfahren haben.
- Lotte "ging ganz pragmatisch vor." (S. 79)
- Sohn Adolf mokiert sich über "Musengelaber" und das ideale "Trallala". (S. 269)
Michael Seeger, 27.10.2025 ![]()
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