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- Texte der AG "Befähgte":
Tagebuch lesen - Tagebuch schreiben (1995), 82 S.
hier eine Leseprobe: |
Georg Munz |
Niemand hat Macht über dich
- Jetzt, da er dein Gesicht nicht mehr in Händen
hält und du ihm zu entschwinden drohst; jetzt, da er Angst hat vor der Einsamkeit
nächtlicher Stunden, da du die Leere an seiner Seite nicht mehr mit Leben füllst, jetzt,
da er fällt, stürzt in bodenlose Tiefe, wo nichts ist, nichts; hält er sich verzweifelt
fest an der Erinnerung, krallen sich seine Finger tief in diesen Klumpen Ton, aus dem
heraus er dich neu erschafft.
- Schon formen seine Hände zierliche Füße und jene
Beine, die hinaufreichen bis in seine Träume. Über dein Geschlecht, das unerreichbare,
ihm verwehrte, fahren nun seine Finger, tief in warmer, feuchter, lehmiger Erde. Er hält
wieder deine Hüften, streicht deinen Bauch glatt und bohrt den olivenförmigen Nabel
tief. Die Wölbung deiner unscheinbaren, flachen Brüste hebt er leicht von dem mageren,
gerippten Brustkorb ab. Schließlich die Schultern, die langen, schmalen Arme, bis hinab
zu deinen Fingerspitzen. Deine Finger, die mit ihm nie etwas anzufangen wussten, die immer
etwas gelangweilt mit sich selbst, nie aber mit ihm spielten. Zuletzt den Hals, auf den er
nun dein ihm entrissenes Antlitz stellt. Ein weiches Kinn oder vielmehr ein rundes. Die
lange, gerade, ein wenig zu gerade Nase. Waren deine Augenbrauen nicht verwachsen? Eine
hohe Stirn? Alles eingerahmt von überschulterlangem, verwirrtem, leicht gelocktem,
dunkelbraunem Haar.
- Doch seine Hände wissen nichts mehr von der Form
deiner Lippen und dem Glanz deiner Augen. Dein lächelnder, von ihm geschaffener Mund
schaut spöttisch auf ihn herab. In deinen Augen ist keine Liebe, kein Leben. Da stehst du
nun auf deinem Sockel, von der Erinnerung rosarot verklärt. Das bist nicht du, denkt er,
und bist es doch. Unbeweglich, ja eingefroren erscheinen deine Züge. Auf einmal weiß er
nichts mehr mit dir anzufangen.
- Was bedeutest du ihm? Sein fragender Blick dringt
nicht durch dein lächelndes Sein. Unerträglich wird ihm diese Lächerlichkeit, hinter
der du dich vor ihm verbirgst.
- Du nimmst plötzlich so viel Platz ein.
- Wo soll er hin?
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- Was willst du hier?
- Er will dich nicht mehr sehen; kratzt dir die Augen
aus.
- Doch dein Mund lächelt immer noch, spöttisch und
kühl, als habe er Macht über dich. -
- Niemand hat Macht über dich, sie gleich gar nicht.
Du schlägst ihr ins Gesicht. Das kann sie nicht fassen Fassungslos stumm steht sie da.
Wie ein Fischmaul springen ihre Lippen auf. Du aber lächelst und schneidest ihr das Haar.
Der Zauber ist gebrochen. Nur eines noch: Schon stürzen deine Hände sie von ihrem Sockel
in unbewusste Tiefe, bis der Aufprall den noch feuchten Ton bis zur Unkenntlichkeit
verformt.
- Die Erinnerung verblasst. Du spürst wieder Boden
unter den Füßen; hast keine Angst mehr; bist nicht mehr einsam, nur allein.
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