Nr. 1 /1. Jahrgang

Online-Sonderausgabe Montag, 19. September 1825

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Das Wort zum Sonntag

Was Gott mit Elias Alder vor hatte

Von Kurat Beuerlein

Js/red: Die Geschichte von Elias Alder kennen wir wohl alle: Das musikalische Genie aus Eschberg, der am 9. September 1825, 22-jährig Selbstmord wegen der unglücklichen Liebe zu seiner Cousine Elsbeth Alder begangen hatte. Nun sind Aufzeichnungen des damaligen Kuraten Beuerlein aufgetaucht, die er nach einem Besuch des verzweifelten Elias machte.

Juli 1825. Der Elias war gerade bei mir. Rot vor Zorn, heftig atmend stand er plötzlich vor mir. War total verzweifelt, der Bub. Wollte wissen, was für ein Gott meiner wäre, dass er so grausam mit ihm umspränge. Erzählte mir dann, dass er die Elsbeth liebe, und dass der Peter sie dem Lukas versprochen hätte, dass Elsbeth jetzt von diesem schwanger. Er verfluchte Gott, fragte mich Dinge, die ich ihm nicht beantworten konnte. Hatte es schon schwer, der Bub. Konnte Orgel spielen, wie ich es noch nie gehört habe. Jaja, was hat bloß unser Herrgott mit uns vor? Schenkt dem Elias die Gabe der Musik und der Liebe, aber in einem solchem Ausmaß, dass es für den Bub im Unglück endet. Die Tragödien nehmen in Eschberg kein Ende mehr, die Leut' kommen zu mir, beichten mir ihre Sünden, klagen über ihr Leid. Machen Gott dafür verantwortlich. Sehen sie denn nicht, dass Eschberg nicht den Menschen gehören darf? Das sie diesen Ort unrechtmäßig in Beschlag nahmen, dass Gott sie hier nicht will? Doch was spielt Elias für eine Rolle im Plan Gottes? Ist er die Chance, um die ich Gott schon so lange bitte? Ist er unser Ausweg, unsere Sünden wieder gut zu machen? Überhäufte er den Elias mit soviel Wunder, um uns die Augen zu öffnen? Wir aber verschlossen sie, dem stechenden Gelb der Wahrheit zu entkommen. Nein, Elias Alder, Gott ist nicht grausam zu dir, er liebt dich, du bist sein Sohn. Er gab dir Gaben, die keiner von uns hat, was du daraus machst, ist deine Aufgabe, deine Verantwortung. Aber was immer du auch tust, er ist bei dir. Ja, auch dir gibt er seine Kraft, auch du hast sie schon gespürt. Verzweifle nicht, Elias Alder, Gott ist bei dir, er lässt dich nicht allein. Ich werde für dich beten.“

Blasphemie oder Autonomie

Ein Mann erlöst sich selbst von religiösem Zwang

Ein Kommentar von Margit Joos

Gesetzt die Möglichkeit, dass in einem gottverlassenem, von Bigotterie und Inzucht verseuchtem Dorf, Gott selbst ein Genie setzte es zu quälen und zu strafen der Sünden, begangen von dessen Geschlecht, zu zeigen, dass Er und nur Er den Schicksalsteppich webe und alles nur in Seinem Willen endet? So gibt es sie wohl, geschehen zu Eschberg, einem winzigen vorarlbergischen Dorf, dessen junger Organist Johannes Elias Alder aus ungeheurer Verzweiflung über seine unglückliche Liebe die Frechheit besaß, in der Kirche selbst sich blasphemisch auszulassen, unter höhnischem Gelächter das geweihte Wasser zu trinken und gar herumzuplärren. Er war in die Kirche gestürmt ein Ende zu machen mit Gott, dessen Wille er stets meinte zu folgen, wenn er nur seiner Liebe zu seiner Cousine und seinem musikalischem Talent fröne. Gottes Vollkommenheit anzuzweifeln und anzuklagen, ohne Hass nicht existieren zu können. Nach eigenem Kundtun verfluchte er Gott, sprach sich selbst von göttlicher Fügung und Schicksal frei, als sich nach seinem Behaupten Gott selbst sich ihm unter von einer unbestimmten Kraft gespielter Orgelmusik in Gestalt eines zerlumpten Kindes mit verbundenem Haupt zeigte. Ein todgeweihtes Kind mit schwarzen Flecken an den Schläfen und, was der jenseitigen Herkunft Beweis zu scheinen meint, ohne Nabel. Als dem Gotteskind bei dem Versuch zu sprechen die Wunde aufriss und ihm gar das Blut aus dem Mund floss, habe er das Bewusstsein verloren und es erst am nächsten Morgen wiedererlangt. In der selben Nacht, so wurde es von der Mutter des Elias beschworen, sei ihr Herr Gatte aus seiner Schwachsinnigkeit erwacht und soll bei klarem Verstand gesprochen haben. Auch erlangte der junge Organist, der seit seiner Kindheit an gelbfiebrigen Augen litt, seine ursprüngliche grüne Augenfarbe wieder zurück. Sei dies ein Wunder, ein Zeichen einer über alles stehenden Macht auch in der selbst zu einem Ort wie Eschberg vordringenden Industrialisierung? Oder zeigt dies nur den andauernden Sieg der bigotten Sturheit in einem räumlich und geistig beschränkten Horizont bedauernswerter Menschen? Hat Johannes Elias Alder sein Leben nun wirklich selbst in der Hand?
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S. 14-15 Kirche und Welt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Todesanzeige

Wir nehmen Abschied von unserem hochwürdigen

Kuraten Elias Benzer (1750-1803),

 

der auf tragische Weise von uns genommen wurde.

 

Aus bekanntem Grund muss auf die Trauerfeier mit anschließender Beisetzung verzichtet werden.

 

In stiller Trauer die Eschberger Weiber.

 

 

 

 

 

 

 

 © 2002-2008 Michael Seeger, Faust-Gymnasium 79219 Staufen, Letzte Aktualisierung 03.11. 2008