Nr. 1 /1. Jahrgang

Online-Sonderausgabe Montag, 19. September 1825

 € 2,50 / CHF. 3,80

 

Der Schlaf – Bruder des Todes

Tod durch Schlafentzug

ein Hintergrundbericht von Daniela Hilfinger

Noch heute sind viele Menschen der Ansicht, Schlaf sei verlorene Zeit. Vor einigen Jahren griff der Schauprediger Corvinius Feldau, der in Feldberg und in den umliegenden Dörfern predigte, diese Vorstellung auf. Manche können sich vielleicht noch an den Scharlatan erinnern, der das Schlafen als Sünde bezeichnete und dazu aufforderte, die Zeit nicht mit Schlafen zu verschwenden, sondern diese Zeit zum Lieben zu nutzen. 
Es bleibt nur zu hoffen, dass nicht allzu viele Zuhörer Corvinius Feldaus Predigt Glauben schenkten, denn der Schlaf ist für uns unverzichtbar und Schlafentzug kann sogar zum Tode führen.
Doch warum ist der Schlaf so wichtig? Ein Zitat des Philosophen und Naturwissenschaftlers Schopenhauer beantwortet diese Frage in einem Satz: „Der Schlaf ist für den ganzen Menschen, was das Aufziehen für die Uhr.“ Schlafen gehört zur täglichen Routine und bringt uns die notwendige Erholung vom Tage. Der Schlaf entspannt den Körper und lässt die Seele zur Ruhe kommen. Charakteristisch für den Schlaf ist das Herunterfahren bestimmter Funktionen im Körper: Blutdruck und Puls nehmen leicht ab, Stoffwechselfunktionen und Körpertemperatur werden herunter gesetzt. Die Reaktion des Körpers auf äußere Reize ist reduziert. Mit diesem Wissen dürfte uns wohl klar sein, dass die Zeit, in der wir schlafen, ganz und gar keine verlorene Zeit ist. Ohne ausreichenden Schlaf fehlt am folgenden Tag die Leistungsfähigkeit. Schlafentzug über mehrere Nächte kann schwerwiegende Symptome mit sich bringen: neben körperlichen Symptomen wie Gliederschmerzen und Zittern, gereizte Verstimmtheit, Gleichgültigkeit, Wahrnehmungsstörungen, Illusionen, Halluzinationen, Depressionen und Wahnideen. Längere Schlaflosigkeit kann zu Krankheiten und im Extremfall zum Tod führen. Schlafentzug wird zuweilen auch absichtlich herbeigeführt. Durch die Tatsache, dass dieser Todesursache sein kann, wurde der Entzug des Schlafes schon vor Jahrhunderten als Foltermethode angewendet.
Bekannt sind das sogenannte »Tormentum Vigiliae« (Marter des Wachseins), das schon bei den Römern angewandt wurde, und die im Mittelalter verbreitete »Tortura Insomniae« (Schlafentzugsmarter), die nicht nur Geständnisse erzwingen, sondern auch Dämonen austreiben sollte. Den Schlaf zu bezwingen wurde in den verschiedensten Kulturen als eine erstrebenswerte, obwohl sehr schwierige Aufgabe betrachtet. Der Kampf gegen den Schlaf wurde von großen Asketen hoch gepriesen, da die im Schlaf verbrachte Zeit, wie in manchen Kreisen heute noch, als »verlorene Zeit« galt. Noch am Ende des 18. Jahrhunderts preist der Dichter Novalis die Schlaflosigkeit, wenn er schreibt: »Je weniger Schlaf man braucht - desto vollkommener ist man«.

Ähnlich argumentierte auch Corvinius Feldau, doch müsste ihm mittlerweile aus eigener Erfahrung aufgefallen sein, dass das Erzwingen des ständigen Wachens Folgen mit sich trägt, die ganz und gar nichts mehr mit Vollkommenheit zu tun haben. Uns ist sicher noch im Gedächtnis geblieben, dass Feldau nach seinen Schaupredigten des öfteren ohnmächtig zusammenbrach, was beweist, in welchem Ausmaß Schlafentzug dem Körper schaden kann.


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S. 5-7 Gesundheit und Medizin

Atemnot durch Tollkirschen

Junger Mann stirbt grausamen Erstickungstod an einer Überdosis Tollkirschen

von Anna Stärk

Eschberg: 
An einer Überdosis Tollkirschen starb gestern im Eschberger Wald ein junger Mann. Die genaueren Todesumstände sind derzeit noch nicht geklärt und können erst nach der Obduktion bekannt gegeben werden. Die Tollkirsche ist eine bis zu 1,5 m hohe, strauchartige Staude mit glockenförmigen, braunvioletten Blüten. Sie wächst in Wäldern und an Wegrändern, besonders im Bergland. Ihre reifen, süßlich schmeckenden Früchte sehen wie schwarzglänzende Kirschen aus, sind jedoch, wie die ganze Pflanze, sehr giftig. Schon der Verzehr von drei bis vier Beeren kann zum Tod führen, was in diesem Fall auf einen Suizidversuch schließen lässt. Das aus den Blättern und der Wurzel gewonnene Antropin wird unter anderem auch in der Medizin zur Behandlung von Augenkrankheiten verwendet, es erweitert die Pupille. Der 22-jährige Elias A. wurde von seinem Freund Peter A. im Wald tot aufgefunden, dieser brach neben dem Leichnam zusammen und wurde nach einiger Zeit von Waldarbeitern entdeckt. Nachdem Peter A. wieder bei Kräften war, wurde er von der ortsansässigen Polizei zum Tod des Elias A. und dessen näheren Umständen befragt. Das Verhör ergab eine fast unglaubliche Geschichte, die im Einzelnen noch von polizeilichen Ermittlern geprüft werden muss und aus diesen Gründen vorerst hier noch nicht Detail genau wiedergegeben werden darf. 

Offiziell sei jedoch, dass Elias A. einen bestimmten Plan verfolgte, seinem Leben ein Ende zu setzen. Die Ermittler glauben, dass der junge Mann auch noch andere giftige Pflanzen, in einem Zeitraum von ca. fünf Tagen, zu sich genommen hat. Denn man fand, nahe am Leichenfundort, einige vertrocknete Narrenschwämme (Pilzart), die ebenfalls als äußerst giftig für den menschlichen Organismus gelten. Zudem entdeckte man abgebrochene Äste einer Stechapfelpflanze, die als wirksames schmerzstillendes Heilmittel in der Volksmedizin gilt. Diese noch nicht rechtsgültigen Spekulationen decken sich mit den bisherigen Aussagen des Peter A. Aber was genau sich gestern um die Mittagszeit im Eschberger Wald abgespielt hat und welche Hintergründe es für diesen Suizidversuch gibt, wird erst in den nächsten Tagen geklärt werden können. Eines steht jedoch jetzt schon fest, das kleine Dorf Eschberg wird für die nächste Zeit mit diesem grausamen Tod konfrontiert sein.


 

 

 

 

"Schau mal, ein närrisches Kind!"

Wie der kleine Philipp und seine Familie mit dem Down- Syndrom umgehen

von Corinna Bobka

"Schau mal, ein närrisches Kind!" Diesen Satz hören die Eltern des kleinen Philipp sehr oft. Philipp hat das sogenannte Down- Syndrom eine Krankheit, mit der er und seine Familie schon von Geburt an leben mussten. "Es ist hart und manchmal würde ich ihn am liebsten wegtun, aber ich bringe das einfach nicht übers Herz! Er ist doch mein Fleisch und Blut!" Diese Gedanken hatte Agatha Alder schon oft. Seff Alder sagt zu der Krankheit seines Sohnes nichts. "Er sagt nie viel...", fügt Frau Alder hinzu. Die Familie weiß nicht genau, woran ihr jüngster Sohn leidet. "Die Leute sagen, er sei närrisch. Aber das glaube ich nicht. Ich kann mich mit meinem Bruder unterhalten.", gibt Elias, der älteste Sohn der Alders, zur Antwort. Elias zog Philipp auf, kümmerte sich um ihn, wann immer es ging und entwickelte eine gewisse Zuneigung zu seinem kleinen Bruder. Er lehrte ihm das Gehen und erfand mit ihm eine Sprache, die nur aus Lauten und Tönen besteht. Philipp entdeckte die Liebe zur Musik und Elias unterstützte ihn voller Freude. "Die beiden sind ein Herz und eine Seele. Ich bin richtig neidisch.", gibt Fritz, der andere Bruder Philipps, zu. Und das sieht man! Elias nimmt den kleinen Philipp auf Spaziergänge mit, nimmt ihn auf seine Schultern oder erzählt ihm Geschichten. Dabei hört der Kleine immer mit großen Augen zu. "Philipp imitiert Elias immer. Das sieht manchmal richtig lustig aus. Dann läuft er genauso manierlich und doch tänzelnd wie sein großer Bruder!", fügt eine Freundin von Elias lächelnd hinzu. Der kleine Philipp scheint also ein ganz normales Kind zu sein - er lacht, weint und spielt wie andere Kinder in seinem Alter. Doch die anderen Leute schauen ihn trotzdem komisch an. "In diesem Kind sind die ganzen Sünden der Eltern enthalten! Deswegen ist er so närrisch!", erzählt eine Nachbarin. Anscheinend weiß sie nicht, dass Philipp das Down-Syndrom hat und dies eine Erbkrankheit ist. Und sie weiß wahrscheinlich auch nicht, dass dies mit großer Wahrscheinlichkeit durch die Inzucht, die in diesem Dorf herrscht , verursacht wird. Doch die Familie steht zu Philipp. "Er ist trotz allem ein sehr liebes Kind.", flüstert Agathe Alder beim Abschied.

 

 

 

 

 

Frühkindliche Traumatisierungen

Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung

Ein (fiktives) Schlafes Bruder - Interview mit Robert Schneider

dh/red. Es war kein glückliches Leben, welches das musikalische Genie Johannes Elias Alder bis zu seinem tragischen Selbstmord führte. Schwere Traumatisierungen in seiner Kindheit waren möglicherweise Ursache für Elias Minderwertigkeitskomplexe und mangelnde Selbstachtung, wegen derer er zeitlebens nicht glücklich wurde. Ein Interview mit dem sachkundigen Robert Schneider soll Aufschluss über die Auswirkungen der seelischen Erschütterungen in Elias Kindheit geben. Die Fragen stellte Daniela Hilfinger.

  Schlafes Bruder: Herr Schneider, wie würden sie Elias Alders Kindheit beschreiben? 

Schneider: Elias frühe Jugend liegt im Dunkeln. Seine Eltern versteckten den Gelbseich aus Angst vor Gespött vor dem Zugriff der Öffentlichkeit. Sie kerkerten ihn unter Maulschellen, Ohrfeigen und Stockhieben in seinen Gaden ein, den er unbefragt nicht mehr verlassen durfte. Die Bewohner Eschbergs verhöhnten ihn ob seiner Augen, gelb wie Kuhseiche, und glaubten, dass Gottes Fluch auf dem Jungen liege. 

SB: Welche Auswirkungen hatten die Beschimpfungen und die Abschottung auf Elias Persönlichkeitsentwicklung?

Schneider: Nun, Kinder scheinen mit zwei unterschiedlichen Grundmustern auf frühe traumatische Ereignisse zu reagieren: Entweder sind sie aggressiv und destruktiv oder erstarrt, depressiv und klammernd. Bei den von allen als Gelbteufel beschimpften Elias traf das Letztere zu. Er empfand zu dieser Zeit Gefühle absoluten Unwertes und trug viele Selbstzweifel in sich. Diese Erlebnisse seiner Kindheit wirkten sich äußerst negativ auf Elias Persönlichkeitsentwicklung aus. 

SB: Wären Elias wenigstens seine Eltern beigestanden, so hätten sich die schrecklichen Ereignisse in seiner Kindheit nicht so negativ auf seine Psyche ausgewirkt. Warum kümmerten sich Seff und Agatha Alder nicht um ihren Sohn? 

Schneider: Aufgrund seiner Andersartigkeit und der Tatsache, dass er unehelich war, wurde Elias von seine Eltern vernachlässigt. Seine Mutter unterließ alles, was einer günstigen Entwicklung des frühreifen Jungen hätte förderlich sein können. Und der Vater? Seff und der verwunschene Bub hatten sich lieb, das ist wahr. Doch wegen seiner Unfähigkeit, Gefühle auszuleben oder sie zumindest auszusprechen, gab Seff dem ausgegrenzten Kind nie die Liebe und Zuneigung, die es gebraucht hätte. 

SB: War diese Gefühllosigkeit des Vaters womöglich der Grund für Elias Unvermögen seine Gefühle auszudrücken?

Schneider: Vermutlich. Der Gelbseich, der als Außenseiter aufwuchs, und dem selbst nie etwas Nettes gesagt wurde, brachte es später auch nicht fertig, seiner angebeteten Elsbeth seine Liebe zu gestehen. 

SB: Eine entscheidende Rolle in Elias missglückter frühkindlicher Beziehung zu seinem Vater spielte wohl auch Elias Entdeckung, dass sein Vater die Mörderbande anführte, die Eduard Lamparter auf grausame Weise umbrachte. Wie wirkte sich dieses Ereignis auf Elias Psyche aus?

Schneider: Elias, der diesen schrecklichen Mord beobachtete, verlor dadurch bis zu seiner späteren Aussprache das Vertrauen in Seff. Es handelte sich hierbei um eine ambivalente Vaterbeziehung: Elias fühlte seinem Vater gegenüber Zuneigung und Verehrung einerseits, Ablehnung und Angst andererseits, was man als ödipalen Konflikt, als „double-bind“, bezeichnet.


 

 

 

 

 © 2002-2008 Michael Seeger, Faust-Gymnasium 79219 Staufen, Letzte Aktualisierung 03.11. 2008