Nr. 1 /1. Jahrgang

Online-Sonderausgabe Montag, 19. September 1825

 € 2,50 / CHF. 3,80

 

Die Zukunft eines

schwierigen Berufes: Hebamme

Von Frederic Hellstern

Eschberg, 14.30. Uhr.
Nach einstündiger Wanderung erreicht Amelie F. das kleine Dörfchen Eschberg, im tiefsten Vorarlberg. Sie ist 21 Jahre alt und seit vier Jahren vollausgebildete Hebamme. "Es war nie mein Traumberuf, ich bin da irgendwie reingeschlittert.", antwortet sie uns auf die Frage, warum sie sich gerade diesen Beruf ausgesucht hat. Nach kurzen Orientierungsschwierigkeiten tritt die Hebamme schwitzend in das Haus ein, in dem sie das Kind zur Welt bringen soll, schon das Dritte an diesem Tage. Der Hausherr überreicht der schnaufenden Hebamme die 20 Kreuzer, den Lohn, den sie für ihre Dienste erhält. Völlig freudlos und ohne die längst gebotene Eile macht sich die Hebamme an die Arbeit. Stets den Gedanken im Kopf, nach dieser Geburt den Beruf an den Nagel zu hängen und dem Gemeindediener die Kündigung einzureichen. Lustlos ordnet sie auf dem Waschtisch ihr Instrumentarium in der Reihenfolge, wie sie es auf der Hebammenschule gelernt hatte. Die Klistierspritze, daneben die Taufspritze, das Mutterrohr, die Wendungsschlinge, den Katheter und zum Schluss die Nabelschere. Währendessen schreit die werdende Mutter so furchtbar vor Schmerzen, dass sie noch weitab vom Haus zu hören ist. Nach einigen Minuten hält die Hebamme den blutbeklatschten Säugling in den Händen, in dem Wissen, dass dies die letzte Handlung in ihrem Beruf gewesen ist. Sie ist diese ewigen Händel mit dem Gemeindediener um die Bezahlung einfach leid. Sie hätte auch schon einen neuen, besser bezahlten Beruf in Aussicht, erzählt sie uns. So wie Amelie F. gibt es viele Hebammen in diesem Land, die aufgrund schlechter Bezahlung und hoher Strapazen ihren Beruf aufgeben und sich nach neuen Tätigkeiten umsehen. Vor etwa zehn Jahren gab es noch über doppelt so viele Hebammen in Vorarlberg wie heute. Und die Anzahl der Geburtshelferinnen sinkt weiter. Der Beruf Hebamme ist am Aussterben. Experten gehen davon aus, dass innerhalb der nächsten Jahre die Anzahl der Hebammen gegen Null gehen wird. Heißt das, dass bald jedes Kind in einem großstädtischen Krankenhaus das Licht der Welt erblicken wird? Für viele Frauen, vor allem die aus den kleineren Dörfern ist dieser Gedanke unvorstellbar. Es war bisher immer so üblich, sein Kind in den eigenen vier Wänden zu gebären. Doch ohne Hebammen ist es unmöglich, diese Tradition weiter zuführen. Trotz aller Zweifel der Landbewohner haben die städtischen Krankenhäuser auch ihre Vorteile. Es wird dort wesentlich mehr auf Hygiene geachtet und das Fachwissen der Ärzte ist meist größer als das der Dorfhebammen. Außerdem verfügen die Krankenhäuser über eine gute technische Ausrüstung. Es besteht die Hoffnung, dass sich die heute noch sehr hohe Sterberate der Neugeborenen deutlich verringern wird. In Zukunft wird jedoch jedes Kind in einem Krankenhaus zur Welt kommen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es einfach keine Alternative mehr geben wird. So sieht das auch Amelie F. Sie ist sich sicher, dass auch sie ihre Kinder in einem Krankenhaus gebären wird. Sie kann die Bedenken der Dorfbewohner überhaupt nicht nachvollziehen.

Johannes Elias Alder -

Ein verkanntes Genie?

Eine Reportage von Dominik Lienert

Nach dem grandiosen Erfolg von Johannes Elias Alder beim Feldberger Orgelfest, gingen in unserer Redaktion mehrere Anfragen zur Herkunft des jungen Mannes ein, die wir in der folgenden Reportage beantworten wollen. Wir werden uns hauptsächlich mit seinem Leben als "verkanntes Genie" befassen, mit den beruflichen Aspekten, dem Erfolg den er hätte haben können und seinem Untergang. Die Schlüsselstelle in Johannes Elias Alders Leben ist die Stelle an der Emmer, an dem der geschliffene Stein lag, der ihn so magisch anzog. Je näher Elias zum wasserverschliffenen Stein kam, je unruhiger ging sein Herzschlagen. Dann irgendwann geschah das Wunder. An diesem Nachmittag hörte der fünfjährige Elias das Universum tönen. Dies war erst der Anfang der Veränderungen, die sich mit dem Gehör und dem ganzen Körper des Jungen vollzogen. Sein Körper hatte angefangen zu pubertieren. Geräusche, Laute, Klänge und Töne taten sich auf, die er bis dahin in dieser Klarheit noch nie gehört hatte. Elias hörte nicht bloß, er sah das Tönen. Sah, wie sich die Luft unaufhörlich verdichtete und wieder dehnte. Sah in die Täler der Klänge und sah in ihre gigantischen Gebirge. Es war wirklich unglaublich, was sich mit dem kleinen Elias vollzog. Sein Gehör wurde so stark, er in hundert Meilen weit entfernte Landschaften hören konnte. Es stellt sich hier die Frage, wieso? Wieso passierte dies alles, und vor allem, warum mit Johannes Elias Alder? Hatte hier Gott seine Hände im Spiel? Wollte er wieder einmal zeigen, dass er der große Schöpfer ist, indem er einem kleinen Jungen eine Gabe gab, die es ihm ermöglichte, die Menschen zu begeistern, ihre Stimmungen zu beeinflussen? Ein neues Genie? Aber wieso ausgerechnet er und in diesem scheinbar gottverlassenen Dorf? Denn seine Stimme brachte ihm nicht unbedingt Glück. Seine ehemals gläserne Stimme war mutiert. Sie war angeschwollen, hatte an Umfang und Volumen gleichermaßen zugenommen. Das Organ des Kindes hatte sich zu einer volltönigen Bassstimme entwickelt. Diese merkwürdige Stimme erregte im Dorf ein so breites Aufsehen, dass die Eltern vor lauter Scham beschlossen, dem Elias im Gaden einzusperren und ihn hinkünftig zu halten wie einen Fallsüchtigen. So verbrachte Elias den Großteil seiner Kindheit in seinem Gaden, verspottet von den anderen Kindern und den meisten Eschbergern, die ein Talent, seine einzigartige Gabe, verkannten oder einfach ignorierten. Vermutlich hätte er mit seinem Talent zu singen und zu musizieren einen Mozart alt aussehen lassen, wenn er nur, wie auch Mozart, von seinen Eltern oder seinem Lehrer gefördert worden wäre. Aber stattdessen ließ man ihn in seinem Gaden verkommen. Ein weiteres Motiv, Johannes Elias Alders Talent nicht zu unterstützen ist der blanke Neid, der den Feldberger Domorganisten Goller auffraß. Dieser versuchte mit allen Mitteln eine Weiterntwicklung von Johannes' Fähigkeiten zu verhindern. Auf diese Weise sind vermutlich viele junge Menschen, die ein ähnliches Talent besitzen oder besessen haben, um ihren möglichen Erfolg gebracht worden. Doch so verschwand auch dieses Genie unbeachtet durch einen tragischen Selbstmord vom Antlitz der Erde.
home
S. 11-13 Karriere und Beruf

 

 

 

 

Unterdrücken oder Fördern

Konkurrenz durch den Nachwuchs am Beispiel eines Organisten

Von Michael Steiert

In Eschberg, einem Bergdorf im mittleren Vorarlberg, ging der Dorfschullehrer Oskar Alder seit eh und je dem Amt eines Organisten nach, der pflichtbewusst und mit redlichem Bemühen jede Messe mitgestaltete. Er postludierte oft mehr als eine Stunde und versuchte meist vergebens wieder zur Grundtonart zurückzufinden. Trotz seines nur geringen Talentes hielt er sich für einen begnadeten Spielmann Gottes, worin er sich gerne von unmusikalischen Ohren bestätigen ließ. Mit der Zeit bemerkte er, dass eines seiner Schulkinder, welches den Blasebalg für sein unglückliches Spielen trat, erhebliches Interesse an der Kunst des Musizierens zeigte und mit einer Singstimme von unmenschlichem Tonumfang sein gar bescheidenes Spiel ausbesserte! Die Bitte dieses Jungen mit dem Namen Elias Alder, ihm die Kunst des Orgelspiels beizubringen, stieß bei seinem Onkel Oskar auf taube Ohren. Er allein sei der Organist von Eschberg. So war es, so sollte es bleiben! Doch das junge Musikgenie verschaffte sich mit List Zutritt zur Kirchenempore und lernte heimlich sogar eigene Stücke zu komponieren. Allmählich wurde dem Lehrer, in Folge Elias‘ Reparatur der maroden Orgel, seine Art, mit dickfingrigen, hilflosen Akkorden zu spielen, bewusst. Auch die Eschberger Bauern bezeichneten ihn nun als einen unmusikalischen Fallot. Tief gedemütigt griff Oskar Alder schließlich zur Branntweinflasche und erhängte sich kurz nach Ostern an einer Kälberkette. Der pure Neid wurde diesem egoistischen und selbstverliebten Musiker so zum Verhängnis. Wenn er dieses Nachwuchstalent unterrichtet und gefördert hätte, hätte er wahre Größe gezeigt. Doch wie so oft wollte ein wahrer oder auch nur vermeintlicher Meister seines Faches nicht über seinen Schatten springen und einem Wissbegierigen sein Können und seine Erfahrungen weitervermitteln. Viele wollen in ihrer Kleinkariertheit nicht die Chance erkennen, die sie mit der Förderung einer Nachwuchshoffnung ergreifen könnten. Auch ein nur mittelmäßig Begabter, egal welcher Profession, kann ein begeisternder und verständiger Lehrer und Mentor seines Schützlings sein! Hätte der Eschberger Organist seinen Neid und seine Sturheit unterdrücken oder gar vergessen können, wäre bestimmt auch auf ihn der Ruhm und der Ertrag des beinahe sicheren Erfolges des Elias Alder gefallen!

 

 

 

Oskar Alder

 

 

 © 2002-2008 Michael Seeger, Faust-Gymnasium 79219 Staufen, Letzte Aktualisierung 03.11. 2008