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Eine ungewöhnliche Karriere

Gescheiterter Theologiestudent will Schauspieler werden.

"Eine unerhörte Tat!", so Pastor Spitta. Dies habe ihn innerlich gebrochen. Um seinen Sohn das Studium zu ermöglichen, kratzte er seine Pfennige mühsam zusammen. Dieser stehe nun kurz vor dem Examen und so erwarteten seine Eltern, dass er die Familientradition fortführen würde. Und nun dies! Der Junge müsse wahnsinnig sein, glaubt der Landpfarrer. Schuld daran sei nur die sogenannte wissenschaftliche Theologie und die Verführung der Großstadt.

Seit der Pastor die sechs Jahre ältere Schwester verstieß, hat Erich zu diesem kein gutes Verhältnis mehr. Als der Vater ihr nach einem Fehltritt keine Zuflucht gewährte, sah sie in ihrem Leben keinen Sinn mehr und brachte sich schließlich um. Erich Spitta könne aus diesem Grund nicht mitansehen, wenn einer seiner Mitmenschen ungerecht behandelt werde, da er in ihm seine tote Schwester wiedererkennen würde.

In den Augen des Herrn Spitta ist der Beruf des Pfarrers eine ehrwürdige und gesicherte Tätigkeit, während er von brotloser Kunst stets mit Verachtung spricht.

Theaterdirektor Hassenreuter, der Erich Spitta unterrichtet, empört sich über die Äußerung des Pfarrers:

„Ich selbst, der ich, wie ich hoffe, ein Mann von Ehre bin, bin selbst Schauspieler. Es ist ein schwerer Beruf, und man muss außerdem sehr viel Talent dazu haben."

 

abtrünnig: Erich Spitta

Ursprünglich kam Spitta als Theologiestudent nach Berlin, änderte dort seine Pläne und bewarb sich bei Direktor Hassenreuter. „Wenn es im Leben solche Käuze gibt wie mich, warum soll es nicht auch auf der Bühne solche Käuze geben?"

 

Er ist davon überzeugt, sein Schüler sei dafür völlig unbegabt, hat aber dennoch dessen Hartnäckigkeit nachgegeben. In seinem Umfeld stößt der junge Mann überall auf starken Widerstand; seine einzige Fürsprecherin fand er in seiner Freundin und Hassenreuters Tochter Walburga.

In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Ansichten der beiden grundlegend. Während Hassenreuter auf einer traditionellen Auslegung der Kunst besteht, möchte Spitta neue Wege gehen. Ein wohlklingendes Organ, womöglich verbunden mit der Schillerisch-Goethisch-Weimarischen Schule der Unnatur sei da eher schädlich. Er ist der Ansicht, vor der Kunst wie vor dem Gesetz seien alle Menschen gleich. So könne unter Umständen ein Barbier oder eine Reinemachefrau ebenso gut Subjekt einer Tragödie sein wie Lady Macbeth und König Lear. Weiter glaubt er, dass das deutsche Theater sich nur erholen könne, wenn es auf den jungen Schiller, den jungen Goethe des „Götz" und immer wieder auf Gotthold Ephraim Lessing zurückgreife: Dort würden Sätze stehen, die der Fülle der Kunst und dem Reichtum des Lebens angepasst, die der Natur gewachsen seien. Er ist wohl von dem derzeitigen Modetrend angesteckt, der sich „EXPRESSIONISMUS" nennt.

 

© 1999-2022 Michael Seeger, Faust-Gymnasium Staufen,  letztes Update 14.02.2022