Ratten personifizieren schon seit mehreren Jahrhunderten Krankheit und Unheil
    - der Aberglaube sagte ihnen nach, die Verwandlungstiere von Hexen und Kobolden zu sein,
    und man versuchte sich ihrer mit Hilfe von Heiligen mit Segens- und Bannsprüchen zu
    erwehren. Ratten sind ein Symbol für bevorstehendes Unglück ... Wenn sie ein Haus
    verlassen, soll diesem bzw den Bewohnern Unheil bevorstehen, verlassen sie ein Schiff, so
    soll dieses sinken. 
    Der Rattenfänger von Hameln" ist ein erstes
    Beispiel, in dem Ratten in der Literatur eine Rolle spielen: der Rattenfänger hat die
    Aufgabe, die Stadt Hameln von dem unangenehmen Rattenvorkommen zu befreien. Als die
    Bürger den Rattenfänger nicht für seine Arbeit entlohnen, wendet dieser seine
    Entführungskünste" auf die Kinder der Stadt an (...) 
    Auch in dem in dieser Zeitung behandelten Drama Die
    Ratten" von Gerhart Hauptmann werden Ratten zum Sinnbild einer verfallenen
    Gesellschaft. Der Dachboden wird zum Lebens- und Ereignisort für Ratten und
    menschliches Ungeziefer". 
    In dem 1947 erschienenen Roman Die Pest" von
    Albert Camus sind die Ratten ein erstes Zeichen für die bevorstehende Seuche. Die
    Ratten kriechen aus ihren Schlupfwinkeln und sterben auf Straßen und Plätzen ... bald
    darauf sterben die ersten Menschen an der Pest. Die Hauptfigur - der Arzt Rieux deutet den
    Vorgang so: "... dass der Pestbazillus niemals ausstirbt oder verschwindet und dass
    vielleicht der Tag kommen wird, an dem die Pest zum Unglück und zur Belehrung der
    Menschen ihre Ratten wecken und erneut aussenden wird, damit sie in einer glücklichen
    Stadt sterben ..." 
    Ratten gelten als sehr intelligente Tiere: besonders in
    der Geschichte "The Ratcatcher" von Roald Dahl wird diese Seite
    der Ratten hervorgehoben - um sie zu fangen oder zu vernichten, muss man sie genau
    beobachtet haben, muss man schlauer sein, um ihr Misstrauen, ihre Cleverness zu
    überlisten - so die Hauptfigur, der im Auftrag des Gesundheitsamtes die Ratten vernichten
    soll, aber selbst schon rattenhaft wirkt in Aussehen, Bewegungen und - auch in seiner
    Denkweise ... 
    Dass ein Mensch ein Rattenbewusstsein" annimmt,
    ist auch das Thema in der Horrorerzählung von Howard Philips Lovecraft The rats
    in the wall", die 1924 erschienen ist. Darin zieht ein Mann in ein Schloss ein
    und hört seltsame Geräusche in den Wänden und unter dem Fußboden, als er in den Keller
    - zusammen mit einem Freund - hinuntersteigt, geraten sie in die Welt einer Rattenarmee
    ... die Ratten dringen in das Bewusstseins des Mannes, was diesen dazu bringt, seinen
    Freund zu fressen. ... 
    "Auf Weihnachten wünschte ich eine Ratte mir, hoffte
    ich doch auf Reizwörter für ein Gedicht, das von der Erziehung des Menschengeschlechts
    handelt." So - ironisch und anspielungsreich - beginnt Günter Grass
    Roman "Die Rättin" (1986). Wie bei dem literaturnobelpreisverdächtigen
    Großromancier üblich, wird das Nagetier hier mehr als nur Symbol. Grass Tiere sind
    Allegorien, die mit dem fiktiven Ich-Erzähler und dessen "Romanpersonal"
    geradezu verschmelzen können. Die Tierfigur scheint ohnehin konstitutiv für die
    unbändige Phantasie des Autors: "Katz und Maus", "Hundejahre",
    "Der Butt", "Unkenrufe". 
    Literarische Ratten stehen für Tod, Verfall, Fäulnis,
    Krankheit und Seuche. Dabei haben Sie mit einer anderen, wesentlich niedlichereren Spezies
    eines gemeinsam: ihr grenzenlose Fruchtbarkeit. Die Rede ist vom Kaninchen, das als
    Fortpflanzungswunder bereits während einer Schwangerschaft erneut trächtig werden kann.
    Im Osterhasen wird diese Fruchtbarkeit zum Symbol neuen Lebens. 
    Ratten und Kaninchen hat Wolfgang Borchert in
    seiner Erzählung "Nachts schlafen die Ratten doch." (1946) sinnfällig
    zu Bild und Gegenbild komponiert. Der kleine Jürgen, der aus Pflichtbewusstsein vor den
    Trümmern seines Elternhauses den getöteten Bruder vor den Ratten bewachen will, wird
    mittels einer humanitär begründeten Notlüge von einem alten Mann ins Leben
    zurückgeführt. Er will ihm junge Kaninchen schenken.