Nr. 1 /1. Jahrgang S. 4

Online-Sonderausgabe 18. Mai 1632

€ 2,50    

 

Gewinn und Verluste

eine Marketenderin spricht über den Krieg

Ein Interview von Lena Stetz

R: Frau Fierling, Sie sind jetzt seit mehr als 30 Jahren als Händlerin tätig? Würden sie sich über die Jahre hinweg als erfolgreich bezeichnen?

Anna Fierling:  Tja, ich leb’ noch, das ist schon `ne Art Erfolg.

R: Aber Sie haben ja einen schlimmen Verlust erlitten, der Krieg forderte die Leben ihrer drei Kinder. Also frage ich mich, wie eine Mutter wie Sie darauf kommt, mit ihren Kindern über die Schlachtfelder zu ziehen?

AF: Nun ja, irgendwie musst’ ich die drei Bälger ja durchbring’n, von den Vätern war ja nix zu erwart’n.

R: Gut, die damalige Situation betrachtend ist diese Entscheidung natürlich nachvollziehbar. Aber wenn sie jetzt zurückschauen, müssen Sie das doch bereuen? 

AF: Klar bereu’ ich den Tod von meinen Kindern, für wen halt’n Sie mich? Und die schlimmst’n Vorwürf’ hab’ ich mir auch gemacht. Aber wenn ich nicht gehandelt hätt’, wär’n sie mir schon im frühsten Kindesalter gestorb’n. Von was sollt’ ich denn leben? Und auch heut’ bin ich der Meinung, dass es meinen Kindern nichts nützt, wenn ich jetzt vor die Hund’ geh’. Deshalb geht bei mir alles nach `m Prinzip „the show must go on.“

 R: Ja, das ist Einstellungssache. Und Sie haben selbstverständlich Recht, das nützt Ihren Kindern rein gar nichts. Aber ich will nicht weiter auf Ihrem Verlust herumreiten. Nun, würden Sie sagen, dass der Krieg für ihr Geschäft fördernd war? 

AF: Aber sicher war er das. Wenn die Leut‘ nichts mehr zu beiß’n ham, sind sie bereit mehr fürs Essen herzugeb’n. Und bei `n Soldaten braucht immer jemand `n Schnaps oder`n Branntwein. Aber das sag’ ich nur als Händlerin, ich halt’ nix vom Krieg. 

R: Das heißt Sie würden einen anderen Beruf, der nicht so stark vom Krieg abhängt, dem Ihren vorziehen?

AF: Wenn er genauso viel einbringen tut... Ich glaub’ allerdings nicht, dass es den für `ne Frau wie mich gibt.

R: Während Sie den Schlachten gefolgt sind, haben Sie viele Menschen kennen gelernt. Wie erklären Sie sich diesen furchtbaren Krieg, und haben Sie wirklich Menschen getroffen, die ihn voll und ganz gut heißen? 

AF: Also der Grund wird wohl der gleiche sein wie der, warum ich Händlerin gewor’n bin: Geld zum Überleben. Es heißt zwar, es sei `n Glaubenskrieg, aber das is’ doch nur’n Vorwand. Und die ganzen jungen Burschen, die sich zum Kampf mel’n, wer’n doch nur geblendet mit dem Geschwätz. Die bekomm’ ihr Handgeld und `n Schnaps und fühl’n sich wie die großen Glaubenskrieger. Aber abschlachten lass’n sie sich dann doch nur für ihr’n König, der gern mehr Land un’ Geld hätt’. Un’ die sind wohl die einzigen, die `n Krieg gutheißen, weil sie dran verdien’ ohne sich die Hände schmutzig zu machen. 

R: Noch eine letzte Frage, Frau Fierling: Würden sie ein baldiges Ende des Krieges befürworten? 

AF: Ja, ich sehn’ mich nach `m Frieden, ich war jetzt lang genug im Krieg. Aber ich wär doch dankbar, wenn ich vorher meine War’n noch losschlagen könnt’. Den Verlust, den ich sonst hätt’, könn’ Sie sich gar nicht vorstellen. 

R: Vielen Dank für dieses Gespräch, Frau Fierling.

Leserbrief: 
"Überteuerte Preise!"

Courage als Namensgeberin

 

 

Anna Fierling, alias 
"Mutter Courage"

 

 

 

Leserbrief

„Überteuerte Preise!!!

Ich habe Mutter Courage schon selbst am Rande erlebt, als sie mit einem Koch um einen Kapaun handelte. Ich finde, dass sie ganz schön überteuerte Preise hat!! Sie lieferte total schwachsinnige Begründungen (das Vieh wäre talentiert gewesen usw.) und ließ einfach nicht locker... Sie nutzte dann schließlich die Situation aus, als ein Feldhauptmann kam und Fleisch essen wollte, um ihren Preis schließlich auf 1 Gulden (!!!) zu erhöhen. Was ich sagen möchte, ist, dass sie ohne Skrupel jede Situation nutzt, um ihre sowieso schon überteuerten Preise in die Höhe zu treiben!!! 

Mike Friedl

 

 

 

 

 

 

Courage als Namensgeberin

Brechts Mutter Courage hat sich unsterblich gemacht

von Michael Seeger

Der Stückeschreiber Brecht wäre sicherlich hocherfreut, wenn er wüsste, dass seine Hauptfigur des gleichnamigen Dramas „Mutter Courage“ als Namensgeberin sich unsterblich gemacht hat. Immer wieder werden Frauen, die in einigen Charakterzüge der Anna Fierling verwandt sind, mit ihrem Namen bezeichnet. Zwei Beispiele:

Mutter Courage des Ostens

Regine Hildebrandt (SPD),
Sozialministerin in Brandenburg bis 1999, 2001 viel zu früh an Krebs gestorben, sahen viele Bürger Ostdeutschlands als Fürsprecherin der kleinen Leute an. Wegen ihres robusten Auftretens und ihrer klaren Sprache jenseits aller „Political Correctness“ hat man sie “Mutter Courage des Ostens“ genannt.

Schwester Courage

nennt man die Ordensschwester Lea Ackermann wegen ihres Durchsetzungswillens und ihres Temperaments. Sie engagiert sich im Kampf gegen Sextourismus und Zwangsprostitution. Für ihre Verdienste wurde sie für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen, was dem Original natürlich nicht passieren könnte.

 

 

 

© 2005-2010 Michael Seeger, Faust-Gymnasium 79219 Staufen, Letzte Aktualisierung 14.05. 2010