III, 3 Leuthold erzählt seiner Frau:

 

"Frau, stell dir vor, als der Frießhart und ich heute Wache vor des Landvogts Hut auf der Stange hielten, lief der Tell mit seinem Sohn Walter, ohne sich vor dem Hut zu verbeugen, an uns vorbei. Frießhart wollte ihn natürlich gleich verhaften, doch Tell weigerte sich mitzukommen. Inzwischen hatten sich schon einige Bürger, unter ihnen auch Walter Fürst, um uns versammelt und versuchten, Tell, auch mit Gewalt, zu befreien. Mittlerweile wurden es immer mehr Menschen, aber glücklicherweise hatten wir die Situation noch unter Kontrolle. Als dann aber plötzlich der Landvogt, von seinen bewaffneten Knechten gefolgt, angeritten kam, trat allgemeine Stille ein. Natürlich wollte Gessler vom Geschehenen erfahren, also begann Frießhart zu erzählen. Nach einer kurzen Pause kamen Gessler und Tell dann ins Gespräch, wobei sich Tell herauszureden versuchte.

Doch anschließend hatte Gessler einen Einfall: Tell solle einen Apfel von seines Sohnes Kopf schießen. Wenn er beim ersten Versuch treffe, so wäre er frei, doch falls er ihn fehlte, würde er mit seinem Knaben sterben müssen. Alle gaben ein Zeichen des Entsetzens. Auch ich war schockiert, weil man so etwas nicht von einem Vater verlangen kann, nicht wahr? Deswegen fing die Diskussion also wieder an. Walter Fürst, der Schwiegervater Tells, bot sogar seine Bürgschaft an, um seien Enkel nicht in Gefahr zu bringen. Doch Gessler zeigte keine Gnade. Deswegen stellte man Tells Sohn Walter mit einem Apfel auf dem Kopf an einen Baum. Tell legte einen Pfeil auf, spann den Bogen und forderte die Anwesenden auf, Platz zu machen. Ich rechnete mit dem Schlimmsten. Wegen seiner Nervosität schoss er aber schließlich doch nicht, sondern bat dem Vogt, ihm den Schuss zu erlassen. "Hier ist mein Herz!", sagte er sogar (Vers 1984), weil er nicht seines Knaben Leben gefährden wollte. Doch Gessler wollte nur den Schuss. Tell machte sich also nochmals bereit. Davor griff er aber nach einem zweiten Pfeil aus dem Köcher und steckte diesen in den Koller. Sein Sohn befahl ihm zu schießen. Schließlich forderte ein Mann, dessen Name meines Wissens Rudenz war, Gessler auf, es nicht zu weit zu treiben. Sie fingen an zu diskutieren. Doch plötzlich begann einer zu schreien: "Der Apfel ist gefallen!" (Vers 2031) Tatsächlich, der Apfel war getroffen und der Knabe lebte. Alle Bürger waren erleichtert und bejubelten Tell. Gessler jedoch wollte wissen, wozu Tell einen zweiten Pfeil in seinen Koller gesteckt hatte. Tell antwortete ehrlich, dass der Pfeil, wenn er seinen Knaben getroffen hätte, für ihn bestimmt gewesen wäre. Daraufhin befahl mir der Landvogt, den Tell auf ein Schiff zu bringen, was nichts Gutes bedeutete. Da ich jedoch keine andere Wahl hatte, befolgte ich die Anweisung. Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen."