Michael Seeger

Der als Text 2 (http://www.zum.de/ZUM/Gentechnik/Anwendungen.html) zu untersuchende Artikel stammt einer größeren im www. veröffentlichten Abhandlung des Freiburger Biologen Prof. K. F. Fischbach:

Gentechnologie:

Wissenschaftliche Grundlagen, Anwendungsmöglichkeiten und der Versuch einer Einordnung von Chancen und Risiken

(www.zum.de/ZUM/Gentechnik/Einleitung.html)

 

Zeilenangaben beziehen sich auf den ausgeteilten Textauszug.

Der gesamte Duktus der Sprache und Argumentation macht deutlich, dass Prof. Fischbach ein Apologet der Genforschung und Gentechnik ist ist. In Kap 3.4. "Gentechnologie am Menschen" befasst sich der Autor hauptsächlich mit ethischen Fragen. In einem Punkt bezieht er eine klar gegen die Gentechnologie gerichtete Stellung, in der Frage des reproduktiven Klonens. (Z. 96ff) Der grundsätzliche Einwand wird gegen Ende des Artikels wiederholt:

"Es besteht bei dem gegenwärtigen Wissensstand ein breiter Konsens für das Verbot von Eingriffen in die Keimbahn des Menschen." (Z.192f).

Man hat aber den Eindruck, dass Fischbach diese Grenzen nur akzeptiert, um mit umso mehr Verve ethisch vor allem gegen die Skeptiker der Gentechnik zu argumentieren. Er dreht den konventionellen argumentativen Spieß um und macht die Kritiker der Gentechnik zu den unverantwortlichen "schwarzen Schafen":

"Wenn gentechnische Methoden zur Therapie von Körperzellen existieren, ist die Unterlassung der möglichen Heilung einer Krankheit am betroffenen Individuum nicht zu rechtfertigen." (Z 100f).

"Wer möchte die Verantwortung übernehmen, Experimente mit Aids-infizierten Mäusen als verantwortungslos zu bezeichnen, wenn sie die kleinste Hoffnung bieten, einen Impfstoff gegen Aids zu gewinnen? "(Z 71f)

Hier entdecken wir die Position des "technologischen Imperativs". In seiner ethischen Bewertung des Themas zieht Fischbach alle, auch weniger wissenschaftliche, eher populistisch-journalistische Register, etwa, wenn er ausführt:

"Ein Zurückdrehen der Uhr, d.h. ein Verzicht auf gentechnologische Methoden in der Forschung, ist völlig undenkbar und wird glücklicherweise wohl auch nirgends von ernstzunehmenden Gruppen in Erwägung gezogen. Ein Verbot würde einem Verbot der Grundlagenforschung überhaupt gleichkommen, wäre mit der Unterdrückung von Wissen identisch und nur in einem totalitären Staat vorstellbar." (Z. 128ff)

Die Metapher vom Zurückdrehen der Uhr wirkt sehr suggestiv. Der Gentechnik-Kritiker gilt Fischbach also als Fortschritts-, ja als Menschenfeind per se. Fischbach schwingt - quasi - als "Totschlag-Argument" die "Nazi-Keule". Wer in Deutschland in der öffentlichen Argumentation den Gegenüber in die Nähe des Nazis bringt, beendet damit in der Regel einen offenen Diskurs. Mit solchen Argumenten glaubt sich Fischbach als besonders demokratisch gesinnt darstellen zu können.

Fischbach argumentiert auch historisch und versucht durch Analogieschlüsse die Gentechnik-Kritiker ad absurdum zu führen. Das Modell für seine Argumentation sind typisch maschinenstürmerische Proteste gegen den Fortschritt (hier am Beispiel der Pockenimpfung 1798) zu Beginn der Industrialisierung:

"Gegen seine (Jenners; M.S.) Impfungen gab es damals wütende Proteste. Inzwischen gelten die Pocken als ausgestorben, nicht die Kühe und erst recht nicht die Menschen." (Z. 69f)

So betrachtet erscheint der Gentechnik-Kritiker wieder als ein Menschenfeind, weil er in die Nähe eines Pockenimpfungsgegeners gerückt wird und damit fiktiv verantwortlich gemacht wird für die Millionen Tote, die es ohne Pockenschutzimpfung gegeben hätte.

Im Kapitel vier entdecken wir noch einen anderen Argumentationsstrang, den der klassischen Güterabwägung. Im Vergleich mit anderen Gefährdungen des Ökosystems - die die Menschheit stets hingenommen habe - erscheinen die Folgen der gentechnisch verursachten Einflüsse als kleineres Übel, quasi als "quantité négligiable":

Gemessen an diesen historischen Großereignissen (Einführung der Kartoffel, M.S.) und gemessen an der natürlich vorkommenden genetischen Variabilität ist die durch Gentechnik erzeugte Veränderung des Genpools auf dieser Erde noch auf unabsehbar lange Zeit vernachlässigbar klein." (159ff)

Fischbach reichert sein argumentatives Register auch mit einer literarischen Autorität an, indem er den Existenzialisten Albert Camus zitiert:

>Albert Camus in "Die Pest": "Das Böse in der Welt rührt fast immer von der Unwissenheit her, und der gute Wille kann so viel Schaden anrichten wie die Bosheit, wenn er nicht aufgeklärt ist".< (Z 162ff)

Sowohl im Kontext wie im Schlussabschnitt des vorliegenden Artikels wird deutlich, dass das verantwortungsethische Movens des Freiburger Wissenschaftlers in seinem engagierten Auftritt gegen die Überbevölkerung liegt, in einer rein biologisch "unmöglichen" "Ausbreitung der Monokultur Mensch". (Z. 144)

Resümee: Die Argumentation Fischbachs erscheint weniger wissenschaftlich seriös, als vielmehr demagogisch-suggestiv. Duktus, Stil, Beliebigkeit der "gezogenen Register" verweisen weniger auf einen wissenschaftlichen Diskurs als eher auf einen (partei)politischen Schlagabtausch. Wer den Gegenüber durch Argumentationsschläge so in die Enge treibt, wie Fischbach das tut, kann kaum auf ein Gespräch, mithin auf einen diskursiven Austausch hoffen. - Das hatten aber "Totschlag-Argumente" seit je so an sich...

Fischbachs Argumentationsweise ist nach einem bekannten Muster gestrickt. Max Frisch hat es in seinem Roman "Homo Faber" (Max Frisch , Homo Faber. Ein  Bericht, © Frankfurt 1957, 9. Auflage 1980, st 354) an der vom Autor überzogen dargestellten technologische Lebensweise des Protagonisten Walter Faber literarisch dargestellt. Der Leser des folgenden Auszugs wird fast alle bei Fischbach festgestellten Argumentationsmuster hier (wieder/schon/neu) entdecken:

"... Wo kämen wir hin ohne Schwangerschaftsunterbrechung? Fortschritt in Medizin und Technik nötigen gerade den verantwortungsbewussten Menschen zu neuen Maßnahmen. ... Zeugen und gebären und im ersten Jahr sterben lassen, wie es der Natur gefällt, das ist primitiver, aber nicht ethischer. ... Menschen sind keine Kaninchen, Konsequenz des Fortschritts: wir habe die Sache selbst zu regeln. ...  Der liebe Gott! Er machte es mit Seuchen; wir haben ihm die Seuchen aus der Hand genommen. Folge davon: wir müssen ihm auch die Fortpflanzung aus der Hand nehmen. Kein Anlass zu Gewissenbissen, im Gegenteil: Würde des Menschen, vernünftig zu handeln und selbst zu entscheiden. Wenn nicht so ersetzen wir die Seuchen durch Krieg. Schluss mit der Romantik! Wer die Schwangerschaftsunterbrechung grundsätzlich ablehnt, ist romantisch und unverantwortlich. ... Unfug der staatlichen Geburtenförderung in faschistischen Ländern, ... Es sind immer die Moralisten, die das meiste Unheil anrichten. ... Wir leben technisch, der Mensch als Beherrscher der Natur, der Mensch als Ingenieur, und wer dagegen redet, der soll auch keine Brücke benutzen, die nicht die Natur gebaut hat. Dann müsste man schon konsequent sein und jeden Eingriff ablehnen, das heißt: sterben an jeder Blinddarmentzündung. Weil Schicksal! Dann auch keine Glühbirne, keinen Motor, keine Atom-Energie, keine Rechenmaschine, keine Narkose - dann los in den Dschungel!" (S. 105-107)

Seitenanfang

Fragen und Kommentare an Michael Seeger  © 2000-2013 Faust-Gymnasium Staufen,  letztes update 18.09. 2013