Geschichte: Besondere Schülerleistungen

 

Sparta und ich - aufgeraute Geschichtserzählungen [1]  [2]

Die DDR - Was bleibt?

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Im Zusammenhang mit der Vorverlegung des Geschichtsunterrichts in Klasse 6 wurde die "Narratio" wieder entdeckt. Michael Tocha zeigt, dass nicht nur durch den Lehrer die Geschichtserzählung didaktische Relevanz gewinnt. Vielmehr konstruiert das Kind für sich Geschichte in Geschichten. Ein schöner Beleg für diese These sind Arbeiten einer 7. Klasse zum Thema "Sparta und ich". Die Schüler liefern hier sogar unbewusst "aufgeraute" Erzählungen im Sinne von Rolf Schörken. Diese die fiktive Imagination aufrauenden Realitäts- und Interpretationspartikel sind in den folgenden Texten rot markiert. [1]  [2]


Mein Leben in Sparta

Eine (aufgeraute) Geschichtserzählung von Jannis Harder, Klasse 7b am Faust-Gymnasium Staufen, Februar 2004


Ich heiße Adrian und bin einer von 300 Kämpfern, die der riesigen Armee der Perser gegenüber stehen. Aber fangen wir die Geschichte von vorne an, als ich 13 war und in einem Dorf der Spartaner lebte:

Als ich meinen 7. Geburtstag feierte, kam ein alter Spartiat und nahm mich von meinen Eltern weg. Seit diesem Vorfall lebe ich hier. Seit ich zwölf wurde, werde ich zusehends schmutziger. Meine Aufgabe im Moment ist es, Holz zu hacken und zu lernen, weniger, aber witziger zu reden. Nachts schlafe ich mit vielen anderen Jungen auf Streuschütten aus Schilf. Wir leben sozusagen wie in einem Gefängnis, können dies aber nicht wahrnehmen, weil wir uns nicht an die Freiheit erinnern können und dürfen. Abends, vor dem Schlafengehen, singen wir noch öfters Lobgesänge auf gefallene Krieger oder Hohngesänge auf Feiglinge. Obwohl die Knochen in den Armen und Beinen morgens schmerzen, arbeiten wir weiter, weil wir keine Erfurcht vor uns selbst haben.

So lebte ich noch 7 Jahre, als dann etwas verändert wurde.

Wir bekommen eine neue Pflicht. Alle, ohne Ausnahmen, müssen an einer gemeinsamen Mahlzeit teilnehmen. Dort essen ungefähr 15 Krieger, zwischen 20 und 30 Jahren, zusammen zu Abend. Wir müssen jedes Mal Gerstenmehl, Wein, Käse, Feigen und einen großen Eisenklotz mitnehmen und der Gesellschaft geben. Das ist aber kein Problem, weil wir keine Gier und kein Verlangen nach Reichtum haben. So gibt es auch kein Vergleichen zwischen uns. Natürlich außer den Wettkämpfen, an denen die Kräfte aneinander gemessen werden. So leben wir eine zeitlang zufrieden, weil wir dem Vaterland ordentliche Arbeit leisten. Wir lernen eine knappe, aber treffende Sprache, werden mit der Zeit stärker und stärker, aber mutiger werden wir nur, weil die Alten uns nicht lehren, den Tod kennen zu lernen.

Wir hören, dass in diesem Jahr, 500 v. Chr., die Griechenstädte in Kleinasien von den Persern unterworfen wurden. Und nun starten sie einen Rachezug auf Griechenland. Griechenland will den Persern einen unerfreulichen Empfang bereiten. Aber alle Heeresführer fliehen mit ihren Kriegern. Also bleiben nur noch unsere Krieger unter sich.

Unser kleiner Trupp von 300 Hopliten macht sich, angeführt von Leonidas, auf den Weg und nun stehen wir vor dem riesigen Heer der Perser gegenüber. Bis hierhin weiß ich noch nicht, was der Tod bedeutet. Aber als der Kampf beginnt, sehe ich nun meine Freunde und Bettnachbarn in ihrem Blut liegen und weinen. Jetzt merke ich, dass ich weiterleben will. Zum Flüchten ist es aber zu spät. Darum will ich jetzt nur noch den Persern einen schwierigen Sieg gelingen lassen. Was ich nicht wissen kann, ist, dass unser Kampf Tausenden Menschen das Leben rettet. In der Zeit, in der wir kämpfen, können die Großstädte wie Athen, Korinth oder Sparta evakuiert werden. Dort, wo wir sterben, wird später ein Gedicht auf einer Gedenktafel stehen, welches Friedrich Schiller übersetzen wird. Als ich sterbe, kommen mir Bilder von meiner Kindheit in den Kopf, an die ich mich nie erinnern konnte. Da ist zum Beispiel eine Szene, in der ich nicht schlafen konnte und zu meinen Eltern ging, die zusammen lachend am Tisch saßen. Mir kommen die Tränen und ich frage mich, warum das alles passieren musste. Das letzte Gesicht, das ich sehe, ist von einem Perser, der mit gezogenem Schwert auf mich springt. Dann ist alles schwarz.


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Sparta: Der Weg in die Freiheit

Eine (aufgeraute) Geschichtserzählung von David Teschner, Klasse 7b am Faust-Gymnasium Staufen, Februar 2004


Ich komme langsam hinter der Ecke hervor und sehe mich ängstlich um. Ist er verschwunden? „Findet ihn auf der Stelle! Er hat es gewagt einem Krieger in die Augen zu sehen! Aber diesem Narr werde ich eigenhändig den Kopf umdrehen! Er hat den Kriegerstolz schwer verletzt!“ Oh nein, dieser hochgewachsene, bis an die Zähne bewaffnete Krieger hatte es wirklich auf mich abgesehen! Dabei hatte ich ihn beim Vorübergehen bloß so bewundert. Sein handgearbeiteter mit Mustern, Kreisen, Formen und Figuren verzierter und verschnörkelter Brustharnisch, der bronzene, in der Sonne funkelnde Helm, die vielen verschieden große Messer, die trotz ihrer hölzernen polierten Griffe doch scharf wie Rasierklingen und genau so tödlich gewirkt hatten. Das große, aus der mit eisernen Nieten besetzten Scheide teils hervorstehende Breitschwert und natürlich der riesige Rundschild, der ebenfalls mit eisernen Nieten und tödlichen Spitzen besetzt war und teils aus Holz und teils aus Metall bestand. Er hatte mehrere tiefe Kerben, die zweifellos von harten Kämpfen zeugten. Auf dem Rücken trug er noch Lanze und Bogen, sowie einen mit mehreren Pfeilen, die hässliche Wiederhaken hatten, gefüllten Köcher. Ein Anblick eines durch und durch wahren Kämpfers.
Neben ihm liefen zwei gebeugte, in Lumpen gehüllte Gestalten, die, mit ihren ausgemergelten Gesichtern und ihrer straff über die Knochen gespannte Haut, einen Anblick des Grauens abgegeben hatten. Und erst die Augen! Aus ihrem müden Blick, mit dem sie starr geradeaus starrten, sprach Angst, Grauen, Schmerz (zweifellos wurden sie oft geschlagen und gedemütigt) und am allerschlimmsten: Hunger. Ich hatte das Gefühl, dass sie jeden Moment röchelnd zusammenbrechen und sterben würden. Deswegen war ich um so verwirrter, als der Krieger plötzlich grollend aufschrie und auf seine Worte hin, die beiden Sklaven losrannten, dass jeder Sprinter Probleme bekommen hätte mitzuhalten! Doch schlimmer noch, sie kamen direkt auf mich zu. In Panik war ich hinter die Hausecke geflüchtet und wartete hier bis jetzt. „Hallo, du!“ Oh nein, jetzt ist es aus, sie haben mich erwischt! Ich schließe die Augen und warte auf mein Ende. Doch da höre ich ein lautstarkes Klagen. „Aber Herr! Es war ein Versehen, Herr! Ich wollte nicht, ich habe doch nur....“

Ich öffne die Augen und sehe einen kleinen, schlecht gekleideten Mann der ebenfalls stark ausgehungert ist. Verzweifelt versucht er sich den Griffen der beiden Sklaven zu entwinden. Doch die beiden halten ihn eisern fest. „ Du hast einem Krieger in die Augen gesehen, das ist eine Verletzung der Kriegsehre und wird hart bestraft“, donnert der Krieger. „Mit dem Tod!“ Panisch wirft sich der Mann auf den Boden, bittet um Vergebung und wimmert leise. Doch der Krieger hat bereits sein Schwert gezogen und schlägt ihm mit einem einzigen gezielten Hieb den Kopf ab. Dieser rollt, sich überschlagend, die Straße hinab. Blut quillt in Mengen aus dem Hals und ich wende mich angewidert ab. Ich glaube, ich muss mich übergeben! Das ist Sparta! Ein Kriegsstaat, der in Angst vor seinen eigenen Sklaven leben muss und gröbste Brutalität verwendet, um die Menschen unter Kontrolle zu halten. 

Langsam füllt sich die Straße und große Trauben von Kriegern und Sklaven sind auf dem Weg zum Marktplatz. Was dort wohl los ist? Ich schließe mich der Menge an und tauche hier und da unter, um mich vor den Blicken der Krieger zu schützen. Diese kräftigen Rüpel suchen doch nur nach einer Möglichkeit einen Sklaven mit einem Schwerthieb aus dem Weg zu schaffen. Diesen Menschen geht man besser aus dem Weg.
Am Marktplatz hatte sich bereits eine riesige Menschenmenge versammelt, die gespannt und leise raunend auf ein Podest in der Mitte starrten. Dort steigt gerade einer der Krieger auf das Podest hinauf, um den jährlichen Kriegszustand zu verkünden, der mit erfundenen und erlogenen Missetaten der Heloten begründet wurde. Der Sprecher räusperte sich lautstark und die Menge wurde sofort ganz still. „Heloten“, begann der Krieger seine Rede, „es hat sich herausgestellt, das unter euch ein Komplott geplant wurde. Spione haben herausgefunden, dass geplant wurde, sich den Kriegern und dem hohen Rat der Alten zu widersetzen und die Könige zu ermorden. Eine solche Rebellion ist inakzeptabel und muss daher als Kriegserklärung uns gegenüber aufgefasst werden. Daher erklären wir euch hiermit offiziell den Krieg!“ Auf dem Platz herrschte nun solch eine Ruhe, dass man eine Feder hätte fallen hören können. Doch dann bricht ein junger Sklave die Ruhe: „Und nächstes Jahr wollen wir die Stadt einnehmen und euch versklaven, was?“ So etwas Anmaßendes können wir doch gar ...“. Doch weiter kommt er nicht, denn plötzlich zischt ein Pfeil heran und durchbohrt sein Herz. Der junge Mann bricht tot zusammen.

Die Rede der Krieger war kurz gewesen, aber eindeutig: Wer aufbegehrt, war so gut wie tot. Der junge Arbeiter hatte diese Regel gebrochen und war deswegen getötet worden. Aber er verkürzte nur eine knappe Frist: Die Arbeiter sind für die Krieger weniger wert als Vieh und werden noch schlechter behandelt. Sie leben außerhalb der Stadtmauern, manche in kleinen Baracken, die meisten aber unter freiem Himmel. Die Kloake läuft mitten durch ihr Wohngebiet, sie bekommen kaum zu essen und wer nicht an Krankheit, Hunger oder Kälte stirbt, stirbt an Arbeit oder wird von den Spartiaten getötet. Alter erreicht hier kaum jemand. Ein einziges Mal im Jahr werden die Arbeiter auf den Marktplatz gelassen, um dort die Rede zu hören. Die Wenigen, die überhaupt bis hineinkommen, erzählen es denen, die es nicht bis hinter die Mauern geschafft haben.

Die Rede ist vorüber, die Wachen treiben die Arbeiter wieder aus der Stadt. Ich allerdings folge einem der Krieger, heimlich, denn ich weiß wohin er mich führen wird: zum Wehrübungslager. Das Übungslager ist der Ort, an dem die absolute Elite der Kämpfer trainieren wird. Es ist ein hartes erbarmungsloses Training. Die sich in der Ausbildung befindenden jungen Krieger schlafen auf dem nackten Boden und trainieren von frühmorgens bis spät in die Nacht. Sie duellieren sich, klettern über Stangen, hängen an Seilen und Schwimmen lernen sie auch. Sie lernen mit Pfeil und Bogen und Lanze umzugehen. Sie lernen, wie man in einer Schlacht in unter oder mit gleicher Kämpferzahl strategisch vorgeht oder wie man den Feind aus dem Hinterhalt angreift. Ich habe mir fest vorgenommen, das zu sehen, denn ich will mir so viel wie möglich merken, um es auch zu lehren.
„Knacks“ - erschrocken bleibe ich stehen und hoffe, dass der Krieger nicht gehört hat, dass ich auf einen Ast getreten bin. Doch er hat sich bereits umgedreht. „Halt!“ Ich höre nicht hin. In Panik ergreife ich die Flucht und rase die Straße hinab. Das Rufen des Kriegers klingt mir noch in den Ohren, doch da bin ich schon in einer Gruppe von Arbeitern, die gerade die Stadt verlassen wollen, untergetaucht. Ob der Krieger mich nur bedrohen oder töten wollten, werde ich wohl nie erfahren, denn in diesem Augenblick trete ich durch das große Tor der Stadtmauern hinaus in die Freiheit, die doch gleichzeitig meine Gefangenschaft bedeutet.


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14 Years later:

Die DDR - "real existierender" Sozialismus oder Treppenwitz der Weltgeschichte?



Ein Essay von Julia Borcherding, NF Geschichte 13 am
Faust-Gymnasium Staufen, Januar 2004


Wir schreiben das Jahr 2004. Vierzehn Jahre sind vergangen seit dem Fall der Mauer, seit dem - so scheint es - damals lange überfälligen Untergang der DDR. Nun sind wir ein Volk, vereinigt und doch nicht ganz vereint. Das "Schreckgespenst der DDR" ist vergangen - was bleibt?

Wir erleben das Revival der Spreewaldgurke und der Knusperflocke, der Bundestag begibt sich zum Jahresausflug ins Lichtspielhaus zu "Good Bye Lenin", der Film "Sonnenallee" beschwört cineastisch verklärt Bilder vergangener Zeiten herauf - Deutschland im Rausch der Ostalgie.
Was ist geschehen? Die Realität der DDR liegt, zwar historisch aufgearbeitet, jedoch schon halb vergessen, auf der Müllhalde der Geschichte, geblieben sind Plattenbau, hohe Arbeitslosigkeit und der immerwährende Ruf nach dem "Aufbau Ost". Was macht sie also aus, die "neue Aktualität" dieser Geschichte des "anderen" Deutschlands?
Obgleich sich der westliche Kapitalismus als das einzig tragfähige Modell erwiesen zu haben scheint, bleibt die Sehnsucht nach einer Alternative - das stumme Verlangen einer zwar erfolgreichen und fortschrittlichen, zugleich jedoch auch kalten und überindividualistischen Gesellschaft nach ein wenig "sozialistischer" Wärme und Geborgenheit. 
Ebenso und daher nicht ganz widerspruchsfrei passt die fortgesetzte Verniedlichung der Diktatur zur andauernden westdeutschen Furcht vor dem tumben Ostler, der bei den nächsten Wahlen wieder für die PDS votieren wird.
So wird also ein gewisser Geschichtsrevisionismus betrieben, die Vergangenheit wird zum Kabarett verkürzt, diffamierend und verharmlosend zugleich. Gehäufte Indizien dafür, das die Beschäftigung mit der DDR in eine Phase der Selbstparodie eintritt: Der Sozialismus erweist sich als gutes Geschäft, der Kapitalismus verkauft den Kommunismus - Ironie der Geschichte. 

Nicht unbedeutend ist der Legitimationsschub, den das Scheitern des Staatssozialismus der demokratischen BRD verschaffte und der wohl auch die deutsche Linke moderater werden ließ. "Die Weltgeschichte ist", wie Schiller sagte, "das Weltgericht". Wer am Ende gewinnt, der war von Anfang an im Recht. So kann sich heute selbst der westdeutsche Marktwirtschaftler die marxistisch- leninistische Geschichtswissenschaft zu Eigen machen. Doch wie verhält es sich damit genau?
Eine kleine Rückblende: Zwar hatte selbst die westdeutsche Linke zu DDR Zeiten erhebliche Vorbehalte gegenüber dem "real existierenden" Sozialismus, der so offensichtlich zu einer ruinösen Diktatur verkommen war. Die nicht umsetzbaren sozialistischen Ideale waren innerlich aufgegeben während die zugehörigen Sekundärtugenden Ordnung, Disziplin, kurzum die "Normen des sozialistische Zusammenlebens" immer mehr in den Vordergrund traten und vom Politbüro zur Erhaltung des Staates erzwungen wurden. Die Machtfrage war letztendlich eine der zentralen Fragen des Sozialismus - eine Entwicklung, die in der Ideologie selbst begründet liegt.
Dennoch wurde der SED- Führung geradezu verzweifelt vorgeworfen, sie kritisiere ein an sich sehr wünschenswertes historisches Projekt. Der Protest richtete sich gegen das Regime, jedoch nicht unbedingterweise gegen den Sozialismus an sich. Auch wenn die DDR sich langsam aber sicher dem wirtschaftlichen Abgrund zu bewegte, war es durchaus nicht ohne Logik, dass die DDR mit ihren verstaatlichten Produktionsmitteln rein "objektiv" eine Stufe höher gekommen war als die BRD mit ihrem wesentlich erfolgreicheren kapitalistischen System. Wohnen wollte dort deswegen noch nicht sehr viele. So war es wohl sehr einfach, sich zwar vom nicht sehr rosigen "realen" Sozialismus zu distanzieren, gleichsam jedoch die eigene Ideologie und Gefühlswelt mit Geschichtsbüchern und Schallplatten aus der DDR zu bereichern. Ein wenig scheint sie heute zurückgekehrt, diese westdeutsche DDR- Kultur, die auch damals die Menschen des Friedens und des Fortschritts mit ein wenig wohliger Wärme umfing. Doch die wahren Überzeugungen scheinen dahingeschwunden, wohl mühsam wäre es, das heimatlose Denken fortzuführen. Noch mühsamer, es denkend der Mauer gleich zu überwinden. Doch war dies wohl auch einfacher, schließlich sah man die Alternative vor sich, heute hingegen scheint diese selbst wieder ein wenig auf der Suche nach einem Gegenpart.
Doch war die DDR wirklich nur ein Treppenwitz der Weltgeschichte? Waren alle sozialistischen Ideale letztlich wirklich nur eine Hohlform, der Macht des Politbüros zu dienen? 
Sowohl im Westen als auch im Osten hätte die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg eine Denkpause, eine Zeit des ideologiefreien Reflektierens verlangt, einen dogmafreien Raum. Aber an der Schwelle zum Kalten Krieg ließ die weltpolitische Lage weder hier noch dort Parteilosigkeit zu. 
Ebenso wie die drei westlichen Besatzungszonen wurde auch die Sowjetische Besatzungszone nicht nur geographisch, sondern auch ideologisch okkupiert. Gewissermaßen unter Zeitdruck haben Adenauer hier und Ulbricht dort die Bevölkerung mit einer neuen Ideologie überrannt und überfordert. Nur dass Ulbricht ohne das nachträgliche Totschlagargument der wirtschaftlichen Prosperität für den Sozialismus streiten musste. 
Was der DDR im Nachhinein den Charakter eines Treppenwitzes gab, war wohl in erster Linie ihr bitteres Scheitern, gekrönt durch die finale Ironie des Gorbatschowschen "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben". Der "Juniorpartner DDR" - plötzlich nichts mehr als eine armselige und verunglückte Kopie eines gescheiterten und längst überholten Systems, verlassen und vom Lauf der Zeiten überrollt. Das "Gelobte Land" degradiert zum rückständigen Überbleibsel einer scheinbar längst überwundenen hohlen Utopie.

Dem Versuch, diesen Arbeiter- und Bauernstaat mit den ideologischen Träumen von Gleichheit und Geborgenheit zu errichten, ist an sich schließlich durchaus nichts Komisches abzugewinnen. Je hehrer jedoch die Ziele, desto größer der Spott, wenn sie nicht erreicht werden. Umso größer jedoch auch die Ent- täuschung der Menschen, die letztlich doch an ihrer Verwirklichung gearbeitet haben. Die Ziele der russischen Revolution oder - vielleicht ungefährlicher - der marxistischen Lehre sind den Menschen schließlich nicht fern gewesen, sind es bis heute nicht.
Die Deutschen in der DDR ließen sich mit den Wunden des Dritten Reichs im Rücken vielleicht umso naiver auf die propagierten Werte von Solidarität und Gemeinwohl ein, sobald sie ihre Ideologie- Resistenz überwunden hatten oder dazu gezwungen wurden. Und dies macht wohl zudem die Bitterkeit des Treppenwitzes aus; dass man diesmal geglaubt hatte, für das Gute zu kämpfen und sich letztlich weder von der wirtschaftlichen Prosperität im Westen noch von feindlichen Bomben widerlegt sah, sondern in erster Linie von der Falschheit und Machtgier der eigenen Führung. 
Hier scheint sich zudem ein durchaus widersprüchlicher Zusammenhang aufzutun: Einerseits die von oben diktierte Ideologie der Gleichheit und Menschlichkeit, die den Menschen scheinbar aufgezwungen werden musste und schon dadurch ad absurdum geführt war.
Andererseits entstand genau durch die Opposition gegen diese Ideologie des diktatorische Regimes, das seinen Bürgern die Freiheit raubte, das allein wissen wollte, was gut sei für das Volk, eine bemerkenswerte Integrität der ursprünglichen Lehre. Es entwickelte sich ein Zusammenhalt zwischen den Menschen, welcher in unserer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft so vielleicht nie möglich sein wird. Die ständige Überwachung und der staatliche Zwang verbündeten die Menschen und trugen letztendlich dazu bei, die SED- Herrschaft auch von innen heraus zu stürzen.
In unserer heutigen Gesellschaft rufen die Klänge des "Wir sind das Volk" durchaus das ein oder andere wehmütige Sehnen danach hervor, was der Sozialstaat sein könnte, wenn das "sozial" nicht nur für Rentenkasse und Sozialabgaben stünde. 

Die Tiefe der Wunde, welche durch das Scheitern der DDR bei vielen Bürgern der heutigen Neuen Länder entstand, birgt wohl auch den Grund für die anhaltend schwierige Versöhnung mit den deutschen Brüdern im Westen und der inklusiv gelieferten kapitalistischen Ideologie. Anstatt die grundlegende Ernsthaftigkeit des sozialistischen Versuches an der Basis anzuerkennen, so wohl der Eindruck vieler ehemaliger DDR- Bürger, hat man in den Alten Bundesländern hauptsächlich Augen für den Treppenwitz. Versucht man jedoch, den sozialistischen Versuch im Osten des Landes ernst zu nehmen, lässt man sich einmal hernieder, das herrschende und siegreiche System auch etwas kritischer und weniger alternativlos zu sehen, so gewinnt man dem eigenen Siegerlächeln vielleicht etwas Selbstironie ab, wird es vielleicht auch den Menschen aus der ehemaligen DDR erst möglich, die eigene Geschichte mit mehr Humor zu sehen.
Die Lehre aus dem Kalten Krieg und dem geteilten Deutschland sollte nämlich beileibe nicht sein, die eine Ideologie als Treppenwitz der Weltgeschichte und die andere als der Wahrheit letzter Schluss anzusehen, sondern vielmehr, dass Ideologien an sich mehr Relativität und Abstand zu betrachten sind.
So bedeutet der Zerfall der DDR vielleicht doch auch auf eine gewisse Weise einen Verlust. Die DDR war der BRD nicht nur Bedrohung, sie war ihr auch Ansporn. Die westdeutsche Politik hatte sich gegen die "Konkurrenz im Osten" zu behaupten und musste versuchen, dem dortigen Gesellschaftsmodel ein eindeutig besseres entgegensetzen. Dies war vielleicht oberflächlich schnell geschehen, besinnt man sich jedoch beispielsweise einmal auf die Aussprüche des Marktwirtschaftlers Erhardt, so war ein oberstes Ziel der Wirtschaftspolitik, nämlich die Vollbeschäftigung, in der DDR zumindest erreicht. Doch war der Preis, den die Menschen in der DDR für ihr recht auf Arbeit zu zahlen hatten, zumindest anfänglich vielleicht so manchem Bundesbürger nicht so offensichtlich, sodass es galt, neue politische Konzepte zu entwerfen um die Zufriedenheit mit dem eigenen System sicherzustellen. Die immerwährende Auseinandersetzung mit dem so nahen und doch so anderen Deutschland gab der Politik der BRD sicherlich viele neue Impulse, stellte auch immer wieder die Frage nach der Integrität des eigenen Systems, sowohl in wirtschaftlicher und sozialer als auch gesellschaftlicher und menschlicher Hinsicht und damit auch dem eigenen Wertekatalog.
So beweisen auch bei der Reflexion über Vergangenheit und Gegenwart der DDR die Worte des wohl prominentesten in den Osten gereisten Westlers wohl wieder ihre Gültigkeit: 


 © 1996-2013 Michael Seeger, Faust-Gymnasium Staufen,  mail an m. seeger Letzte Aktualisierung 15. 09. 2005